Florence lächelte breit, beugte ihren eleganten, was sonst, Hals ein wenig vor und ließ sich genüsslich den letzten Schluck aus ihrem Glas im Gaumen munden.
„Ihr wollt also, dass ich mein gesamtes Liebesleben hier vor euch ausbreite, ja?“
Alle drei nickten eifrig und einig. Sie schauten sich in der Runde an und lachten albern.
„Dabei gibt´s gar nicht viel zu berichten.“ Florence hob bedauernd die Hände. „Ich sah ihn und wusste, der ist es. Das war´s.“
Wieder ein breites Grinsen, ein Schulterzucken und Florence schwieg.
„Moment, Moment“, sagte Carolin. „Und er? Wie erlebte er dich denn? War es bei ihm genauso? Wie kamt ihr zusammen? Das hat sie uns noch nie wirklich erzählt, stimmt´s?“
Sie sah Zustimmung heischend in die Runde.
„Nö“, sagten Bernadette und Inga wie aus einem Mund und lachten.
Florence atmete tief durch. Sie versetzte sich gedanklich zurück in die Zeit, als sie Jo kennenlernte, das war jetzt unglaubliche fünfundzwanzig Jahre her. Die anderen drei schwiegen erwartungsvoll und hingen mit großen Augen leicht vorgebeugt an ihren Lippen. Nach einer kleinen Weile wurde ihr bewusst, was für ein komisches Bild sie abgeben mussten und sie kicherte wieder. „Jetzt aber mal Butter bei de Fische“, hätte Inga fast dazwischen trompetet, konnte sich aber gerade noch zurückhalten. Der Moment hatte einen gewissen Zauber, dem auch sie sich nicht entziehen konnte. Florence schaute ihre drei alten Freundinnen nacheinander in Ruhe an und begann zu erzählen.
„Er hatte sich zuerst verliebt. Wohl schon Monate, bevor ich ihn überhaupt wahrnahm. Der Arme. Ich war damals völlig fasziniert von meinem Studium und ging darin so auf, dass ich in den ersten Monaten gar nichts mitkriegte um mich herum. Ich hatte ja meine Fotolehre hinter mir, die mir technisch und künstlerisch gut gefallen hatte, aber ich war auf der Suche nach einem Thema. Einem Inhalt. Und als ich an der Uni anfing, war ich so begeistert, dass ich immer ganz weg war, geistig. Ihr kennt mich ja, wenn ich so konzentriert und gefangen bin von irgendetwas, dann merke ich gar nichts, was auch immer um mich herum passiert.“
Die anderen nickten. Florence konnte dermaßen abwesend sein, dass man manchmal eingreifen musste, damit sie nicht gänzlich den Anschluss verpasste. Einmal hatte es einen Feueralarm gegeben, als sie im ASTA-Raum eine Aktion der Frauengruppe vorbereiteten. Florence hatte weder die Sirene noch die Durchsage gehört und kriegte auch nicht mit, dass eine Kommilitonin nach der anderen den Raum verließ. Erst, als Bernadette ihr die Hand auf die Schulter legte und berichtete, was passiert war, erwachte sie aus ihren Gedanken.
„Und wie ist er dann zu der Ehre deiner Aufmerksamkeit gekommen?“ erkundigte sich Carolin.
„Er sagte etwas Intelligentes im Seminar. Ganz einfach. Also, er sagte es ganz einfach. Vollkommen uneitel. Wir hatten eine dieser Diskussionen, in der alle meinten sich profilieren zu müssen, besonders die männlichen Studierenden. Den meisten merkte man damals schon an, in was für Jobs sie hinterher ihre endlosen Beiträge abzulassen gedachten. Und dann sagte Jo am Schluss etwas, was die ganze Debatte vorher über den Haufen warf. Und er sagte es präzise und pointiert. Aber diese kurze Bemerkung hatte mehr Wissen im Hintergrund, als alle anderen schwafeligen Kommentare vorher. Und da sah ich ihn zum ersten Mal wirklich an.“
„Und er?“ Bernadette fragte es geradezu atemlos.
„Er sah mich an“, antwortete Florence schlicht. „Wir sahen uns an und nahmen uns gegenseitig wahr, sozusagen. Und lächelten uns irgendwann an wie zwei Komplizen der Gelehrsamkeit in einem Heer von tumben Trotteln.“
„Arrogant wart ihr also gar nicht“, stichelte Inga.
„Doch, unendlich“, gab Florence offen zu. „Wir fühlten uns wie die Eingeweihten eines geheimen Ordens und der Prof war mit von der Partie. Er hatte alles mitgeschnitten, er war später unser Trauzeuge.“
„Und was machte es aus? Ich meine, diese plötzliche Anziehung?“ begehrte Carolin zu wissen.
„Das lässt sich schwer beschreiben. Es war überwältigend, im wahrsten Sinne des Wortes. Körperlich überwältigend. Wir wurden so zueinander hingezogen, dass unsere Finger ständig die Berührung miteinander suchten, völlig unkontrolliert, wir wollten uns dauernd anfassen. Es war so stark, dass wir uns irgendwann richtig zusammenreißen mussten. Die anderen im Seminar wollten ja nicht dauernd ein Pärchen neben sich haben, das sich gegenseitig tätschelte und mit den Blicken auffraß.“
„Und wie lange hielt das an?“
Inga sah Florence durchdringend an.
„Du willst es aber auch ganz genau wissen, hm?“
Florence lächelte und hob die Hände in einer Geste, die so etwas sagte wie: Kann ich doch auch nichts dafür.
„Es hält immer noch an. Das liegt wahrscheinlich daran, dass wir uns nicht dauernd sehen. Also nicht ständig zusammen sind. Ich bin viel unterwegs, Jo auch öfters. Wir haben eigentlich ständig ganz viel Sehnsucht nacheinander.“
„Habt ihr ein Glück“, seufzte Carolin halb neidisch, halb gönnerhaft.
„Moment, Moment“, rief Inga dazwischen. „Ich kann´s gar nicht glauben. So viel Harmonie auf einmal gibt es doch überhaupt nicht. Ihr müsst euch doch über irgendwas streiten oder aneinander reiben. Irgendwas muss euch doch auch aneinander nerven.“
„Wenn wir zusammen tanzen, dann streiten wir wie die Kesselflicker“, lachte Florence.
„Das hätte ich jetzt gerade nicht gedacht“, sagte Bernadette erschüttert. „Ich meine, wo du so eine gute Tänzerin bist und Jo auch so schlank und sportlich… Ihr seht doch umwerfend zusammen aus.“
„Ja, aber das ist es ja gerade. Wir erwarten voneinander die absolute Perfektion, und dann meckern wir hemmungslos aneinander herum. Da ist es wirklich besser, wir tanzen mit anderen, da hält man sich viel mehr zurück.“
„Und…“ Carolin zögerte und suchte nach Worten. „Und geistig? Ich meine, dass ihr körperlich so voneinander angezogen wurdet, heißt ja nicht automatisch, dass ihr euch auch ansonsten viel zu sagen haben müsst…“
Carolin merkte selbst, dass sie nicht wirklich überzeugend klang.
„Also, mit der geistigen Anziehung hatte es ja angefangen. Und das ist auch bis heute so geblieben.“
Florence lehnte sich zurück und überließ sich der Erinnerung.
„Ich glaube, wir hatten einfach das Glück, auf jemanden zu treffen, der genau unseren jeweiligen Vorstellungen entsprach. Beidseitig. Das ist einfach Glück, da kann man nichts machen.“
„Da kann man nichts machen“, wiederholte Carolin mit dunkler Stimme. Und gleich nochmal: „Da kann man nichts machen. Sehr ermutigend. Besonders für jemand wie mich, die ich gerade anfangen will mit der Suche…“
„Was soll ich sagen?“ fragte Florence betont unschuldig. „Habt ihr nicht damit angefangen?“
„Also, ich glaub´s ja immer noch nicht.“ Inga war hartnäckig. „Das kann doch gar nicht sein, keine Krise über die lange Zeit, kein Seitensprung, kein gar nichts…“
Florence hob wieder die Hände, das machte sie gern.
„Inschallah… Wir sind beide genügsam in der Hinsicht, glaube ich. Und wir fangen nicht gerne was Neues an. Wir sind aufeinander eingespielt. Wir genießen unsere Gewohnheiten. Wenn wir mal Alltag zusammen haben, dann kosten wir das richtig aus. Diese Rituale wie nachmittags zusammen Tee zu trinken und zu fragen: Wie war dein Tag?“
Florence fragte letzteres mit übertriebener Stimmlage, um die Idylle, die sie beschrieb, ein bisschen zu karikieren.
„Aber