aber fast bis ganz zu ihm heran, sprang ab, legte die Hände, doch nur für einen kurzen Augenblick, um nicht als
gewöhnlicher Mann zu gelten, auf die Brust und grüßte die am Boden sitzenden Personen.
Es war leicht zu erraten, welcher von ihnen der fremde Schech war, denn er hatte das Hama#ïl, um welches es sich
handelte, vor sich liegen. Sein Anzug befand sich, wie auch diejenigen aller seiner Leute, in einem Zustand, den Omar
sehr richtig als »schmutzig und zerrissen« bezeichnet hatte, doch war seinem ernsten, sonnenverbrannten Gesichte die
Gewohnheit des Befehlens deutlich aufgeprägt. Er nickte stolz mit dem Kopf und ließ nur ein kurzes »Sallam!« als Antwort
hören. Wenn ich mir diesen Mangel an Höflichkeit gefallen ließ, so hatte ich von vornherein verspielt. Er mußte mich für
einen Mann halten, der sich das nicht bieten zu lassen brauchte, darum sagte ich in strengem Tone:
»Du bleibst sitzen, indem du mit mir sprichst, und siehst doch, daß ich stehe? Ich vermute, daß ihr in Mekka gewesen
seid, über welchem das Andenken des Propheten glänzt. Hast du etwa dort deine Höflichkeit im Sand von Chandamah
vergraben?«
»Wo liegt Chandamah?« fragte er schnell und erstaunt.
»Geh zwischen dem Suq el Lel und dem Schib el Maulid, wo das Geburtshaus des Propheten steht, vor die Stadt
hinaus, so siehst du es zur linken Seite des Dschebel Qubehs liegen.«
Da stand er auf, und alle Andern mit ihm, kreuzte die Hände auf der Brust, verbeugte sich tief und sagte:
»Verzeih! Ich wußte nicht, daß du ein Kenner der Heiligtümer bist. Du wirst mir erlauben, deinen Namen zu erfahren!«
»Allerdings, doch nicht eher, als bis ich dich nach dem deinigen gefragt habe. Vorher aber will ich das Wichtigere
wissen. Sind wir bei den Pyramiden von Gizeh, oder befinden wir uns im Wadi Fatimeh, wo das Gesetz der Wüste gilt?
Ich sehe eine Dschemma versammelt und Messer in der Erde stecken. Wer hat hier zu richten, und wer soll gerichtet
werden?«
Ich sah ihm so scharf und fest ins Auge, daß mir sein Blick nicht ausweichen konnte. Die Erwähnung von
Oertlichkeiten, welche nur dem Kenner von Mekka geläufig sind, tat das Ihrige. Er antwortete in nicht ganz sicherem Tone:
»Es ist eine Beleidigung geschehen, welche nur mit Blut gesühnt werden kann. Ich will es dir erzählen.«
Nichts konnte mir willkommener sein als diese seine Bereitwilligkeit, denn sie sagte mir, daß ich ihm imponiert hatte.
Er berichtete mir, natürlich in seiner mohammedanisch gefärbten Weise, was geschehen war. Als er geendet hatte, sagte
ich:
»Der Kuran ist dir jedenfalls bekannt. Nach ihm und der Sunna muß Recht gesprochen werden. Aber weißt du auch,
was Khalil Ibn Ishak, der berühmte Erklärer derselben, über die Pflichten der Dschemma sagt?«
»Nein; das weiß ich nicht,« sah er sich gezwungen, einzugestehen.
»Nicht? Aber ihr habt bedacht, daß dieser Fremde die Heiligkeit des Hama#ïl nicht kennt und dich vielleicht gar nicht
hat beleidigen wollen? Habt ihr ihm erlaubt, sich zu verteidigen?«
»Er hat es durch den Mund seines Dragoman (* Dolmetscher.) getan.«
»Ist dieser Dragoman gerecht und vorsichtig gewesen? Ich werde das sogleich erfahren.«
Der Dolmetscher stand höchst verlegen da. Er hörte mich arabisch sprechen und wußte nun also, daß ich Alles
verstanden hatte, was auf dem Dschebel Mokattan von ihm über mich geäußert worden war. Ob er mich wohl auch jetzt
noch für einen Franzosen hielt?
»Imschi, ia Budala- Pack dich, Dummkopf!« fuhr ich ihn an, denn ich wollte ihn nicht hören lassen, was ich dem
Amerikaner zu sagen hatte.
Er zog sich erschrocken bis unter die Zuschauer zurück, und nun wendete ich mich an Waller, und zwar in deutscher
Sprache:
»Sagen Sie schnell: Können Sie reiten?«
»Ja,« antwortete er, indem er mich verwundert ansah.
»Galopp und ohne Sattel, so daß Sie ja nicht etwa herabfallen?«
»Ich sitze fest. Sie reden deutsch? Good lack! Warum fragen Sie?«
»Es handelt sich um Ihr Leben. Die Situation ist ernster, als Sie meinen, und nur die Flucht kann Sie retten. Wenn Sie
das vielleicht bezweifeln, so fehlt mir die Zeit, es Ihnen zu erklären.«
»Ich glaube es,« versicherte er. »Das sind ja ganz desparate Menschen hier!«
»So passen Sie auf, was ich Ihnen sage! Ich werde jetzt zu diesen Leuten weitersprechen. Sobald Sie sehen, daß ihre
Aufmerksamkeit ganz auf mich gerichtet ist, springen Sie auf mein Pferd und reiten so schnell, wie Sie können, fort - - -«
»Man wird mich verfolgen,« fiel er ein.
»Allerdings; aber die paar Esel und Kamele, welche hier stehen, haben Sie nicht zu fürchten. Da oben steht die zweite
Pyramide. An ihrer linken, hinteren Ecke treffen Sie auf meinen Diener. Er erwartet Sie dort und wird Sie so führen, daß,
wenn Sie ihn nur erst erreicht haben, die Gefahr für Sie vorüber ist. Werden Sie tun, was ich Ihnen vorgeschlagen habe?«
»Natürlich! Aber ich habe nicht nur an mich, sondern auch an meine Tochter zu denken. Was soll -«
»Ihr wird nichts geschehen,« unterbrach ich ihn; »ich gebe Ihnen mein Wort. Also, tun Sie, was ich gesagt habe, aber
plötzlich, schnell, und ohne daß Sie es etwa durch Blicke oder Bewegungen vorher verraten!«
Ich hatte während dieser kurzen Unterweisung den fremden Schech im Auge behalten und bemerkte zu meiner
Beruhigung an ihm kein Zeichen des Mißtrauens. Als ich mich ihm jetzt wieder zuwendete, sagte er:
»Es ist ganz überflüssig; daß du diesen Christen fragst, denn er kann dir nichts Anderes erzählen, als was ich dir
schon gesagt habe. Der Schech el Beled will nicht, daß er getötet werde, aber wir sind freie Beduinen, die sich um die
Gesetze des Beherrschers von Aegypten und um die Ansichten fremder Konsuln nicht zu kümmern brauchen, und werden
also nur nach den Vorschriften handeln, welche jeder Bekenner des Islam zu befolgen hat. Du hast unsere Beratung
unterbrochen; wir setzen sie jetzt fort und werden schnell ein Ende machen. Habe die Güte, dich zu setzen, damit auch wir
uns wieder setzen können!«
Diese Aufforderung hatte ich nicht erwartet. Sie bewies mir, daß er mich nicht nur unbedingt für einen
Mohammedaner, sondern auch für eine Person hielt, nach deren Stand und Namen er nicht wieder fragen könne, ohne
gegen die ihr schuldige Achtung zu verstoßen.
Der Araber setzt sich in Gegenwart eines Fremden nicht so kurz und einfach nieder, wie wir es tun, sondern es
geschieht mit einer Umständlichkeit, welche um so größer ist und um so mehr Zeit in Anspruch nimmt, je mehr er diesen
Fremden ehren und sich selbst als wohlerzogenen Mann betrachtet sehen will. Da vorhin alle seine an der Dschemma
beteiligten Stammesgenossen mit ihm aufgestanden waren und nun auch wieder