Zeit ein straßenbreites Hindernis von blökenden Kamelen und schreienden Weibern, in deren Mitte wir steckten.
»Komm, Omar!«
Mit diesem Rufe drängte ich mein Pferd zwischen zwei Frauen hindurch, hinter denen zwei Kamele so standen, daß
sie eine schmale Lücke bildeten, welche durch den sie verbindenden Strick geschlossen war. Ich nahm mein Pferd hoch
und kam glücklich über den Strick hinweg. Die Frauen kreischten; die Kameltreiber schimpften; Omar aber lachte fröhlich
auf und nahm das Hindernis ganz in derselben Weise. Das war für dieses Mal genug, und es handelte sich nur noch
darum, seine Ausdauer kennen zu lernen.
Auf der Straße von Kairo nach den Pyramiden kommt man an zwei Fellachendörfern vorüber, welche links liegen.
Rechts dehnen sich grüne Flächen aus, welche von Kanälen bewässert werden. Die Pyramiden hat man gerade vor sich
liegen. Sie erscheinen von weitem als dreieckige Flächen, treten aber, je mehr man sich ihnen nähert, um so plastischer
hervor. Das Mena- Menahouse-Hotel liegt am Fuß derselben. Es führt von ihm aus ein ziemlich breiter, auch fahrbarer
Weg hinauf, welcher, um nicht vom Sande verschüttet zu werden, zu beiden Seiten mit Mauern versehen ist. Er gleicht
einem Hohlwege, weil der Sand die Höhe der Mauern erreicht. Auf diese Höhe gibt es keinen eigentlichen Weg, doch
führte aus dem von mir bestellten Zimmer eine Tür heraus auf sie, und man konnte da, allerdings nur über ungebahntes
Geröll, direkt nach den Pyramiden kommen, ohne unterwegs von den in dem Hohlwege befindlichen Passanten gesehen
zu werden. Es ist nicht ohne Absicht, daß ich diesen Umstand besonders in Erwähnung bringe.
Am östlichen Fuße der Pyramiden liegt das arabische Dorf el Kafr, dessen Bewohner, von den Touristen vollständig
verdorben, in rücksichts- und charakterloser Aufdringlichkeit das Menschenmöglichste leisten. Sie halten, vereinzelt
aufgestellt, schon in weiter Entfernung von den Pyramiden auf der Straße Wache, um über die aus der Stadt kommenden
Fremden herzufallen und, wenn sie auch nicht engagiert werden, doch wenigstens ihre falschen Münzen, geschickt
nachgemachten Skarabäen und andere wertlose Imitationen an den Mann zu bringen.
Heut sah ich keinen einzigen von ihnen auf der Lauer stehen. Es mußte irgend ein Grund vorhanden sein, der sie
abhielt, ihrer einträglichen Herumlungerei jetzt obzuliegen. Ich erfuhr ihn sogleich, als ich das Hotel erreichte. Die gestern
auf dem Platze Ibrahim Pascha beobachteten fremden Pilger waren heut heraus nach den Pyramiden gezogen, um ihnen,
die für den Wüstenbewohner noch größere Wunderwerke als für uns zivilisierte Menschen sind, einen Besuch
abzustatten. Sie hatten in das Hotel eindringen wollen, waren aber abgewiesen worden, was freilich mit der allergrößten
Vorsicht hatte geschehen müssen, um ihre Rachgier nicht herauszufordern. Der mich nach meinem Zimmer führende
Kellner teilte mir lachend mit, daß man mit einigen wie zufällig vorübergetragenen, geräucherten Würsten und
Schweineschinken diesen Zweck sehr schnell und ohne alle üblen Folgen erreicht habe. Die über diesen Anblick ganz
entsetzten Mohammedaner waren schreiend davongelaufen und hatten es nun ganz gewiß aufgegeben, das für sie jetzt
für verpestet geltende Haus zu betreten. Sie hatten dann zunächst el Kafr einen Besuch gemacht, um sich Nahrungsmittel
zu erbetteln, und waren dann nach dem Granittempel gestiegen, um an der Sphinx vorüber nach der Cheopspyramide zu
kommen und diese zu besteigen. Natürlich hatte sich Alles, was in Kafr wohnte und laufen konnte, diesen Pilgern
angeschlossen, welche im Bahr bela Ma (* »See ohne Wasser.«) zwischen Setrah und dem Dschebel Burgheh zu Hause
waren.
Es verstand sich nun eigentlich ganz von selbst, daß es keinem der Bewohner oder Gäste des Hotels einfallen konnte,
nach den Pyramiden zu gehen, solange sich diese fanatischen Menschen oben befanden, doch als ich mich nach den
beiden Chinesen erkundigte, erfuhr ich, daß sie hinauf gegangen seien, und Mr. Waller war ihnen mit seiner Tochter
später nachgefolgt.
Welch eine Unvorsichtigkeit! Freilich nur von dem Amerikaner, denn als die Chinesen aufgebrochen waren, hatten
sich die Pilger noch nicht eingestellt gehabt; Waller aber war erst nach deren Ankunft weggegangen und durch keine
Warnung von diesem Wagnisse abzu- abzuhalten gewesen. Es war mir ganz, als ob ich ihnen folgen müsse, doch konnte
ich dadurch leicht den Anschein erwecken, als ob ich für sie ein größeres Interesse besitze, als sie mir erlauben wollten,
und so unterließ ich es. Ich öffnete die erwähnte Tür meines Zimmers; nahm einen Stuhl mit hinaus und saß nun oben auf
dem hoch aufgewehten Sand. Der tief in demselben eingeschnittene Weg nach den Pyramiden lag so weit von mir
entfernt, daß ich seinen Grund nur an derjenigen Stelle sehen konnte, wo er einer Krümmung nach links herüber folgte.
Der eigentliche Körper der Pyramiden wurde in Stufenform aufgebaut und dann mit einer platten Bekleidung belegt,
unter welcher die Stufenform verschwand. Von dieser Bekleidung ist jetzt nur noch an der Spitze der zweiten, derjenigen
des Chefren, ein Rest zu sehen, während von der Cheopspyramide die Spitze ganz verschwunden ist, wodurch sich oben
eine vielleicht zehn Quadratmeter große Fläche gebildet hat, zu welcher man von der nordöstlichen Kante aufsteigen
kann, weil dort die vielleicht einen Meter hohen Stufen am gangbarsten sind. Der Aufstieg geschieht gewöhnlich mit Hilfe
dreier Beduinen, von denen zwei stets voran sind, um zu ziehen, während der dritte schiebend hinterher zu folgen hat.
Ist man oben angelangt, so hat man, in umgekehrter Richtung der Aussicht vom Dschebel Mokattam, nach Osten zu
das Grün des kanalisierten Landes in der Nähe, die Stadt aber in ziemlich weiter Ferne liegen. Nach Nordwest, West und
Süd dehnt sich die Wüste mit ihren braungelben Sandflächen, aus denen hungernd und dürstend nackte Klippen ragen.
Nach Südwest steigen die andern Pyramiden auf; tief unten aber schaut die Sphinx nach Osten, doch kann sie den
Aufgang der Sonne nicht mehr sehen, weil der Sand von Jahrhunderten rund um sie her so hoch »gewachsen« ist, daß es
für sie einen Morgen nicht mehr gibt.
Der Name Sphinx ist für die ägyptischen Steingebilde falsch angewendet; er ist griechisch, und sie aber hatten mit
der thebaischen Tochter des Typhon und der Schlange Echidna nichts zu tun. Sie hießen bei den Aegyptern »Neb«, d. i.
»Herr«. Ihre aus dem Felsen herausgewachsene, für unzerstörbar gehaltene und in majestätischer Einfachheit und Größe
vor den Tempeln ruhende Vereinigung der Tier- mit der Menschenform sprach wohl auch ein tiefes, schweres Rätsel aus,
fügte aber, sie durch sich selbst verratend, sogleich die Lösung hinzu, daß nur die aus dem Geist geborene Kraft die Welt
regiere. Materialisten also waren die alten Aegypter nicht, und gerade darum gelang es ihnen, den Stoff selbst in seiner
gewaltigsten Schwere mit Hilfe der einfachsten Gesetze zu beherrschen.