gegen seine Nachbarn richtete und mit einigen höflichen Worten begleitete. Das lenkte die Augen von dem Amerikaner in
der Weise ab, daß er schon jetzt den richtigen Augenblick für gekommen hielt, den ihm gegebenen Rat zu befolgen.
Ich kehrte ihm den Rücken zu und hütete mich, mich nach ihm umzudrehen, als mir ein plötzliches Stampfen der
Pferdehufe sagte, was geschah; aber der Schech sprang wieder auf und mit ihm alle, welche sich vorher unter so viel
Umständen in die Stellung niedergelassen hatten, welche der Orientale »das Ruhen der Glieder« nennt. Waller war auf
das Pferd gesprungen, welches sich nur einige Augenblicke sträubte, seiner Führung zu gehorchen, und dann mit ihm
davonschoß, nach aufwärts, der zweiten Pyramide zu. Nun stand ich natürlich auch rasch auf und sah zu meiner
Genugtuung, daß er allerdings kein schlechter Reiter war.
Zunächst gab es eine allgemeine Anstrengung, so laut zu schreien, wie es Jedem möglich war; dann folgte der
Gedanke, dem Fliehenden nachzueilen. Man riß sich um die vorhandenen Esel und Kamele; die ersteren ließen sich
sofort lenken; die letzteren aber wurden durch den vielstimmigen Lärm störrisch gemacht; sie waren nicht von der Stelle
zu bringen. Wer einen Esel erwischt hatte, trabte schleunigst fort; den Kamelen versuchte man, durch Schläge Gehorsam
beizubringen. Das gab eine Szene, welche nicht weniger lebhaft war, als ich erwartet hatte. Der Schech war am
schnellsten gewesen und als erster dem Amerikaner auf einem Esel nachgeritten; er zeigte sich auch als der
Umsichtigste von allen, denn er kehrte schon nach kurzer Zeit wieder um, kam zurück und rief seinen Leuten zu:
»Seid still, und gebt euch keine Mühe! Das sind keine Kamele, wie man sie braucht, um ein Pferd einzuholen. Dieser
Hund ist uns entschlüpft, aber nur einstweilen! Sein Ziel ist das Hotel; aber wir lassen es ihn nicht erreichen. Es war eine
Torheit von ihm, nicht direkt dorthin zu reiten. Der Bogen, den er macht, ist so groß, daß wir ihm zuvorkommen werden.
Vorwärts alle! Wir laufen![«]
Er schwang sich von seinem Esel, ließ ihn stehen und rannte fort; seine Leute alle hinter ihm her. Die meisten der
Fellachen von el Kafr folgten; die Besitzer der zurückgebliebenen Tiere wollten diese besteigen und auch fort; ich hinderte
sie daran, weil ich nicht wünschte, daß die beiden Chinesen und Mary laufen sollten, und sie waren gegen die
gewöhnliche Bezahlung und ein Extrabakschisch damit einverstanden.
Ich hatte den drei Genannten bis jetzt natürlich keine besondere Aufmerksamkeit schenken können; nun war es mir
möglich, mich auch ihrer anzunehmen. Da sie nicht arabisch verstanden und sie, als ich mit Waller redete, nicht so nahe
gewesen waren, um meine Worte deutlich hören zu können, so befanden sie sich über den Zusammenhang zwischen
meinem Erscheinen und seiner Flucht im Unklaren. Mary war leichenblaß. Sie hatte unbeschreibliche Angst um ihren
Vater ausgestanden und war auch jetzt noch nicht befreit von ihr. Ich versuchte, sie zu beruhigen.
»Haben Sie keine Sorge! Wir reiten jetzt nach dem Hotel. Ihr Vater wird, wenn wir dort ankommen, entweder schon da
sein oder sehr bald eintreffen.«
»Wissen Sie denn, wohin er ist?« fragte sie.
»Ja. Ich habe ihm das Pferd gebracht, damit er fliehen könne, und Sejjid Omar hat an der zweiten Pyramide auf ihn
gewartet, um ihn sicher nach dem Menahouse zu bringen.«
»Sejjid Omar, der Eseltreiber, den er so schwer beleidigt hat?«
Sie sah mich an, als ob sie sich dies gar nicht denken könne. Dann fügte sie, indem ihre Blässe einer tiefen Röte
wich, hinzu: »Und Sie, Sie sprechen deutsch! Sie haben also gehört und verstanden, was - - was - -«
»Ich habe,« unterbrach ich sie, »nichts verstanden und nichts gehört als nur das Eine, daß Mr. Waller in Gefahr sei und
aus derselben herausgeholt werden müsse. Er befindet sich jetzt vollständig in Sicherheit, während aber wir daran zu
denken haben, daß wir nicht hier bleiben dürfen, wenn der Zorn der Mekkapilger sich nicht nun auch gegen uns richten
soll. Bitte, steigen Sie auf! Wir müssen uns beeilen, heim zu kommen; dann werden Sie Alles erfahren, was Sie jetzt noch
nicht wissen.«
Sie folgte dieser Aufforderung. Die Chinesen hatten schon zwei Kamele in Beschlag genommen. Sie sprachen nicht,
doch sah ich ihnen an, daß ich für sie nicht mehr bloß der fremde, gleichgültige Tischnachbar war.
Wir schlugen den geraden Weg nach den kleinen Pyramiden ein. Als wir uns ihnen näherten, kam der Schech el
Beled von da, wo links die Gräber der fünften Dynastie liegen, herbeigeritten. Er hatte sich den Verfolgern beigesellt
gehabt, um nötigenfalls Unheil zu verhüten, und erkundigte sich bei den uns begleitenden Treibern, wo der fremde Schech
sei. Sie unterrichteten ihn über die Absicht dieses Mannes, die ihn wieder mit Besorgnis zu erfüllen schien. Er kam an
meine Seite, sah mir aus halb zugekniffenen Augen in das Gesicht und fragte, indem er leise lächelte:
»Du bist ein Christ?«
»Ja,« antwortete ich ruhig. Der Wohlstand seines Dorfes hing von den Besuchern der Pyramiden ab, und von
Fanatismus konnte bei ihm keine Rede sein. Ich brauchte also nicht heimlich gegen ihn zu tun.
»Und du bist schon öfters hier gewesen?« erkundigte er sich weiter.
»Ja.«
»Ich kannte dein Gesicht, hielt dich aber doch für einen Moslem, für einen vornehmen Effendi. Nun aber habe ich es
mir überlegt. Du bist mit Absicht zu Pferde gekommen? Du hast gewollt, daß der Angeklagte auf ihm fliehen soll?«
»Ich leugne es nicht.«
Da reichte er mir seine Hand und sprach:
»So habe ich dir zu danken! Diese Flucht hat mich von einer schweren Sorge befreit. Man hätte den Amerikaner
gegen meinen Willen getötet, von der Behörde in Kairo aber wäre die ganze Verantwortung auf mich geworfen worden.
Du scheinst ein kluger Mann zu sein, und so darf ich vielleicht deine Einsicht bitten, mir einen Wunsch zu erfüllen?«
»Sprich!«
»Verschweig in der Stadt, was hier geschehen ist und was vielleicht noch geschehen wird! Auch die Leute des Hotels
werden nicht davon sprechen, weil das Gerücht, daß die Besucher der Pyramiden ihres Lebens nicht sicher seien, die
Zahl der Gäste sehr vermindern wurde. Dieser zornige Schech aus dem Bahr bela Ma wird sich zwar nicht ganz bis zum
Menahouse wagen, aber seine Leute doch von Weitem so aufstellen, daß der Amerikaner ihm in die Hände fallen muß.
Das macht mir schwere Sorge. Konntest du ihm denn nicht sagen, daß er direkt nach dem Hotel fliehen solle?«
»Nein. Als ich mit ihm sprach, hatte ich schon eine andere, bessere Vorbereitung getroffen, welche der Angelegenheit
ein ruhiges, unbemerktes Ende geben wird. Ich wollte verhüten, daß dieser Vorfall in den Mund der Leute gebracht werde.
Denke dir aber im Gegenteile, welches Aufsehen es erregt hätte, wenn