tiefer, tiefer Sand, in dem wir abwärts ritten. Ich bemerkte, daß Omar einen weiten Bogen nach dem Hotel beabsichtigte.
Wir sahen es einige Male liegen, aber immer wieder kehrte er um; ich wußte nicht warum. Als ich ihn fragte, verstand er
zwar nicht meine Worte, dafür aber meine Gesten, und als er mir antwortete, brachte ich ihm ganz dasselbe
Unverständnis für das, was er sagte, und aber auch dieselbe Einsicht für die sprechenden Bewegungen seiner Arme und
Finger entgegen. Er sagte mir durch diese Zeichen, daß das Hotel ringsum eingeschlossen sei, weil ich von den nach
meinem Blute dürstenden Pilgern abgefangen werden solle.«
»Sie haben ihn richtig verstanden,« bemerkte ich, als er eine Pause machte. »Diese Leute stehen überall, woher Sie
kommen könnten, und werden wohl die ganze Nacht hindurch stehen bleiben, wenn sie nicht durch einen Zufall erfahren,
daß Sie entschlüpft sind.«
»Was dieses Entschlüpfen betrifft, so war es gar nicht leicht,« fuhr er fort. »Ich weiß nicht, was für eine Weisung Sie
Omar gegeben hatten, aber er schien mich nicht nur überhaupt sondern auch ganz unbemerkt durch die Reihen dieser
Posten bringen zu wollen. Einmal, als wir wieder hinter einer Erhöhung hervorlugten und mehrere Wachen stehen sahen,
schien ihm ein guter Gedanke zu kommen. Er sprach lange und eindringlich auf mich ein und nahm dabei alle
Fremdwörter zu Rate, deren er in seinem Gedächtnisse habhaft werden konnte. Als ich trotzdem so unwissend blieb, wie
ich war, stieg er ab und forderte mich auf, dasselbe zu tun. Dann deutete er nach der Gegend, in welcher das Hotel
lag,und machte eine Zeichnung in den Sand. Auf einen Punkt dieser Zeichnung deutend, wiederholte er mehrere Male die
beiden Worte "Bab" und "Chambre". Daß Chambre das französische Wort für "Zimmer" ist, weiß Jedermann, und aus
dem Plan von Kairo ist mir zufällig bekannt, daß Bab soviel wie Tür oder Tor bedeutet. Der Sejjid sprach also von einer
Zimmertür, aber von welcher denn? Wie es ihm gelungen ist, mich endlich klug zu machen, das weiß ich nicht, aber es
kam doch der Augenblick, an welchem ich ihn mit Hilfe seiner Zeichnung begriff: Ich hatte den Haupteingang zu
vermeiden und mich oben nach der von der Cheops-Pyramide abfallenden Sanddüne zu wenden, auf welcher das erste
Stockwerk des Hotels auf dieser Seite ein Paterre [Parterre] bildet. Dort gibt es eine offenstehende Tür, nach welcher ich
zu gehen hatte. Als ich ihm unter fleißiger Anwendung von "Bab" und "Chambre" klar gemacht hatte, daß er verstanden
worden sei, strahlte sein Gesicht vor Freude. Er zog seinen Mantel aus, unter welchem er ein langes, helllbraunes,
hemdartiges Gewand trägt, und gab ihn mir um. Dann ballte er meinen neuen Hut zusammen, schob ihn in seine weite
Hosentasche und setzte mir dafür seinen Tarbusch auf, an dessen Stelle er sich mein Taschentuch um den Kopf wickelte.
Dann stieg er auf sein Pferd, nahm das meinige am Zügel und ritt davon, absichtlch so, daß ihn die Posten bald
bemerkten. Sie rannten auf ihn zu, wodurch sie mir den Weg freigaben. Er ließ sie nicht an sich herankommen. Sie
schrien ihm zu und verdoppelten ihre Eile, mit ihm zu reden. Dadurch lockte er sie immer weiter fort, und ich ging
langsamen Schrittes nach der mir vorgeschriebenen Gegend. Sie sahen mich von Weitem, achteten aber nicht auf mich,
weil sie mich infolge des Tarbusch und des Mantels für einen Araber hielten. Ich erreichte die Düne, ging ihr entlang und
kam an die bewußte Tür, welche, was ich freilich nicht geahnt hatte, die Tür der Wohnung meines Retters ist.«
Nun hielt der Erzähler inne. Er hatte in einem heiteren Ernste gesprochen, der ihm weit besser zu Gesichte stand als
der selbstbewußte, schnarrende Ton, der ihm sonst so eigen war. Er kam mir jetzt ganz anders vor, gar nicht so ungesund
fromm und salbungsvoll, wie ich ihn bisher gesehen hatte. Welchen viel, viel besseren Eindruck macht doch der Mensch,
wenn in ihm die gute Natur über das künstlich Gemachte siegt!
»Und nun aber der Dank!« erinnerte seine Tochter. »Oder war es wirklich dein Ernst, nicht von ihm sprechen zu
wollen?«
Ich wehrte mit der schnellen Bitte ab, dies Wort weder jetzt noch später zu erwähnen. Da klopfte es an, und als ich ein
lautes »Fut!« (* »Herein!«) gerufen hatte, kam der Sejjid herein, welcher meldete, daß er glücklich angekommen sei und
die Pferde nach dem Stalle geschafft habe. Ich wußte, wie man Orientalen seines Standes und seiner Art zu nehmen hat,
reichte ihm meine Hand, was an und für sich schon eine Auszeichnung war, und sagte:
»Du hast deine Sache gut gemacht, Omar. Ich engagiere dich; du wirst mein Diener sein und mich begleiten dürfen.
Stände Mohammed, dein Prophet, an meiner Stelle, so würde er dir ganz dasselbe sagen, was ich dir schon gesagt
habe: Du sollst vor allen Dingen ein guter Mensch sein, und du bist es heut gewesen. Bleibe stets und immer so, wie du
an diesem Tage warst!«
Mr. Waller gab ihm den Mantel und den Tarbusch wieder, wofür er sein Taschentuch und den freilich sehr
zusammengedrückten Hut zurückbekam, und bat mich, dem Sejjid die Worte zu übersetzen, die er ihm zu sagen habe.
Sie lauteten:
»Ich habe dich um Verziehung zu bitten. Gieb mir deine Hand!«
Omar befand sich infolge meiner Rede in gebobener Stimmung. Die Bitte des Amerikaners aber schien ihm noch
tiefer zu gehen. Seine Augen bekamen einen feuchten Glanz. Er streckte ihm die Hand in bescheiden zögernder Weise
hin und antwortete:
»Ich habe dir meine Hand, wenn auch nur die Unsichtbare, schon draußen an der Pyramide gegeben, als du geritten
kamst, um dich von mir führen zu lassen. Und ich habe dir dann noch mehr gegeben, indem ich dir meine Kleider gab,
welche ich wieder anlegen werde, ohne sie reinigen zu lassen, obgleich ein Christ sie getragen hat. Wenn Allahs Hand an
die Güte eines Menschen klopft, soll dieser nicht nach dem Glauben seiner Brüder fragen. Das ist es, was ich heut gelernt
habe. Und daß ich es gelernt habe, das macht mich so froh, wie ich noch nie gewesen bin!«
Er ging.
Waller sah mich, als ich ihm diese Worte übersetzt hatte, erstaunt an und sagte:
»Der spricht ja genau wie ein Christ! Sollte man das für möglich halten? Uebrigens ein prächtiger Mensch, den man
lieb haben muß!«
Ich hütete mich, zu seinen Worten irgend eine Bemerkung zu machen. Es hatte ihn in diesem Augenblick die Hand
eines lieben, von allem Erdenstaube reinen Engels berührt, und solche Momente lassen nur dann die Spur der
Engelshand zurück, wenn sie durch keine Störung unterbrochen werden. Er schien von einem Gefühl hierfür geleitet zu
werden, indem er aus dem Zimmer hinaus in das Freie trat.
»Bitte, stören wir ihn nicht!« bat seine Tochter. »Ich möchte, daß dieses Erlebnis in dem friedlichen Tone ausklinge, in
welchem das - - -«