»Laß nur, Fred! Du sollst es mir selbst bringen, Mary, und hierher legen,« sagte Herr Featherstone. »Und jetzt geh' wieder fort, bis ich Dich rufe,« fügte er hinzu, als sie ihm die Weste auf's Bett gelegt hatte. Es war für ihn eine unentbehrliche Würze des Lebens, einer Person seine besondere Gunst dadurch zu beweisen, daß er gegen eine andere besonders unangenehm war, und Mary war als willkommenes Gewürz immer bei der Hand. Wenn seine eigenen Verwandten ihn besuchten, behandelte er Mary besser.
Jetzt nahm er langsam ein Schlüsselbund aus der Westentasche und zog ebenso langsam einen Blechkasten unter der Bettdecke hervor.
»Du denkst wohl, ich werde Dir jetzt ein kleines Vermögen schenken, wie?« sagte er, indem er über seine Brille hinwegsah und in dem Öffnen des Deckels innehielt.
»Durchaus nicht, Onkel. Du warst so gut, neulich zu sagen, daß Du mir ein Geschenk machen wollest; sonst würde ich natürlich gar nicht daran gedacht haben.«
Aber Fred war in einer hoffnungsvollen Stimmung, und schmeichelte sich mit der Aussicht auf eine Summe, welche gerade groß genug sein würde, ihn aus einer dringenden Verlegenheit zu ziehen. So oft Fred Schulden machte, schien es ihm immer höchst wahrscheinlich, daß irgend etwas, wenn er sich auch nicht klar bewußt war, was, sich ereignen und ihn in den Stand setzen würde, seine Schuld zur rechten Zeit abzutragen. Und jetzt, wo das Eingreifen der Vorsehung so augenscheinlich nahe bevorstand, würde es ja absurd von ihm gewesen sein, zu glauben, daß die Unterstützung nicht ausreichen werde, das Bedürfnis zu decken – gerade so absurd, wie ein Glaube, welcher aus Mangel an Kraft, an ein ganzes Wunder zu glauben, an ein halbes Wunder glauben würde.
Der Alte ließ viele Banknoten, eine nach der andern, durch die Finger seiner hagern, mit Adern bedeckten Hände gleiten und legte dieselben wieder ausgebreitet hin, während Fred, der in seinem Stuhl zurückgelehnt dasaß, es verschmähte genau zuzusehen. Er hielt sich für einen echten Gentleman und fand es unter seiner Würde, dem Alten seines Geldes wegen den Hof zu machen.
Endlich sah ihn Herr Featherstone wieder über seine Brille hinweg an und überreichte ihm ein kleines Bündel Banknoten. Fred konnte nur soviel bestimmt sehen, daß es ihrer fünf waren, da auf der ihm zugewandten Ecke die Wertzahl nicht stand; es konnten also möglicherweise lauter 50-Pfundnoten sein.
Er nahm die Noten mit den Worten zu sich: »Ich bin Dir sehr verbunden, Onkel,« und war im Begriff sie, anscheinend ohne an ihren Wert zu denken, aufzurollen. Aber das war nicht nach dem Sinne des Alten, der ihn scharf beobachtete.
»Komm, hältst Du es nicht der Mühe wert, sie zu zählen? Du nimmst ja Geld, als wärst Du ein Lord; da wirst Du es auch wohl wie ein Lord wieder verlieren.«
»Ich dachte: ›Einem geschenkten Gaul sieht man nicht ins Maul‹, Onkel. Aber ich werde die Banknoten mit Vergnügen zählen.«
Fred's Vergnügen war jedoch etwas geringer, nachdem er sie gezählt hatte. Denn sie hatten wirklich die Absurdität, eine geringere Summe darzustellen, als seine hoffnungsvolle Phantasie sie ihm vorgespiegelt hatte. Es war eine böse Erschütterung für Fred, als er fand, daß er nicht mehr als fünf 20-Pfundnoten in der Hand hielt. Nichtsdestoweniger sagte er, indem er mehrmals rasch die Farbe wechselte: »Es ist sehr freundlich von Dir, Onkel.«
»Das wollt' ich meinen,« sagte Herr Featherstone, indem er seinen Blechkasten schloss und wieder unter die Decke schob, dann seine Brille bedächtig abnahm und, als habe ein tieferes Nachdenken ihn noch inniger von der Wahrheit dieser Worte überzeugt, noch einmal wiederholte: »das wollt ich meinen, daß es freundlich ist.«
»Ich versichere Dich, Onkel, daß ich Dir sehr dankbar bin!« erwiderte Fred, welcher inzwischen Zeit gehabt hatte, sich zu fassen und wieder eine heitere Miene anzunehmen.
»Das mußt Du auch sein. Du möchtest gern etwas in der Welt vorstellen, und Peter Featherstone ist, glaube ich, der einzige Mensch, auf den Du Dich verlassen kannst.«
Bei diesen Worten schien sich in den unheimlich glänzenden Augen des Alten die eigentümlich gemischte Genugtuung darüber zu malen, daß dieser schmucke Junge sich auf ihn verlasse und doch eigentlich ein Narr sei, das zu tun.
»Ja, es ist wahr, ich habe mich von Haus aus keiner sehr glänzenden Aussichten zu erfreuen; wenige Menschen sind mehr geplagt worden als ich,« sagte Fred, nicht ohne ein gewisses bewunderndes Staunen über seine Tugend, wenn er bedachte, wie bös ihm mitgespielt worden sei. »Es ist doch wirklich gar zu arg, einen Lungenpfeifer reiten zu müssen und um sich her Leute zu sehen, die es nicht halb so gut verstehen wie man selbst; und die für ihre schlechten Einkäufe Berge Geld wegwerfen können.«
»Nun, Du kannst Dir ja jetzt ein schönes Reitpferd kaufen. Achtzig Pfund sind ja dazu wohl genug, denke ich, und dann hast Du noch zwanzig Pfund übrig, um Dich etwa aus einer kleinen Verlegenheit zu ziehen,« sagte Herr Featherstone, indem er leise in sich hinein lachte.
»Du bist sehr gütig, Onkel,« sagte Fred im vollen Bewusstsein des Widerspruchs seiner Worte mit seinen Empfindungen.
»O ja, ein besserer Onkel als Dein Onkel Bulstrode, – was? Von dem würdest Du, glaube ich, bei all seinen Spekulationen nicht viel herausbringen. Er hat Deinen Vater häßlich am Bande, nach dem, was ich höre, wie?«
»Mein Vater teilt mir nie etwas über seine Geschäfte mit, Onkel.«
»Nun, das ist ganz verständig von ihm. Aber andere Leute wissen von seinen Geschäften Bescheid, ohne daß er ihnen etwas davon sagt. Er wird Dir nie viel zu hinterlassen haben. Er wird höchst wahrscheinlich ohne Testament sterben, er ist ganz der Mann dazu, sie mögen ihn soviel zum Mayor von Middlemarch machen, wie sie wollen. Aber Du würdest nicht viel Vorteil davon haben, wenn er ohne Testament stürbe, obgleich Du der älteste Sohn bist.«
Fred meinte den alten Featherstone noch nie so unangenehm gesehen zu haben, wenn er ihm auch noch nie so viel Geld auf einmal gegeben hatte.
»Soll ich diesen Brief von Herrn Bulstrode vernichten, Onkel?« fragte Fred, indem er mit dem Brief in der Hand aufstand, als ob er denselben ins Feuer werfen wolle.
»Ja, ja, ich verlange ihn nicht, er ist für mich keinen Heller wert.«
Fred warf den Brief ins Feuer und half dem Verbrennungsprozess eifrigst mit dem Poker nach. Er sehnte sich danach, fortzukommen, aber er schämte sich ein wenig vor sich selbst und vor seinem Onkel, gleich, nachdem er das Geld eingesteckt hatte, wegzulaufen. In diesem Augenblick erschien der Verwalter des Pachthofes, um seinem Herrn Bericht zu erstatten, und Fred wurde zu seiner unaussprechlichen Genugtuung mit der Weisung entlassen, bald wieder zu kommen.
Er hatte sich danach gesehnt, nicht nur von seinem Onkel freizukommen, sondern auch Mary Garth aufzusuchen. Sie saß jetzt an ihrem gewöhnlichen Platze am Kamin, mit einer Näharbeit in der Hand und einem offenen Buche auf dem neben ihr stehenden kleinen Tische. Ihre Augen sahen nicht mehr so gerötet aus und ihr Gesicht hatte wieder den gewöhnlichen Ausdruck von Selbstbeherrschung.
»Soll ich hinaufkommen?« sagte sie halb aufstehend, als Fred ins Zimmer trat.
»Nein, ich bin nur entlassen, weil Simmons gekommen ist.«
Mary setzte sich wieder hin und nahm ihre Arbeit wieder auf. Sie war in ihrem Benehmen gegen Fred ersichtlich gleichgültiger als gewöhnlich, sie wußte nicht, wie zärtlich entrüstet er vorhin oben um ihretwillen gewesen war.
»Darf ich ein wenig hier bleiben, Mary, oder inkommodiere ich Sie?«
»Bitte, setzen Sie sich,« sagte Mary, »Sie werden mich ganz gewiß nicht so inkommodieren, wie Herr John Waule, der gestern hier war und sich zu mir setzte, ohne mich um Erlaubnis zu fragen.«
»Der arme Kerl! ich glaube, er ist in Sie verliebt.«
»Davon weiß ich nichts. Und es gehört für mich zu den widerwärtigsten Seiten in dem Leben eines Mädchens, daß kein Mann freundlich gegen sie und sie keinem Manne dankbar sein darf, ohne daß die Menschen gleich an ein Verlieben zwischen ihr und diesem Manne denken. Ich hätte gedacht, daß ich wenigstens von dergleichen verschont bleiben würde. Ich habe keine Ursache