»Nun, wenn ich auch mein Examen gemacht hätte, so würden Sie doch nicht wünschen, daß ich Geistlicher würde.«
»Es kommt hier nicht darauf an, was ich wünsche, daß Sie tun sollen; ich denke, Sie haben Ihr eigenes Gewissen. – Aber da kommt Herr Lydgate, ich muß ihn meinem Onkel melden.«
»Mary,« sagte Fred, indem er ihre Hand ergriff, als sie aufstand, »wenn Sie mir nicht ein ermutigendes Wort sagen, so werde ich nicht besser, sondern schlechter werden.«
»Ich will Ihnen kein ermutigendes Wort sagen,« erwiderte Mary errötend, »das würde Ihrer Familie ebenso unlieb sein, wie der meinigen. Mein Vater würde es für eine Schande halten, wenn ich einen Mann heiratete, der Schulden hat und nicht arbeiten will!«
Fred fühlte sich in tiefster Seele gekränkt und ließ ihre Hand wieder los. Sie ging nach der Tür, aber hier wandte sie sich um und sagte:
»Fred, Sie sind immer so gütig, so großmütig gegen mich gewesen. Ich bin nicht undankbar. Aber sprechen Sie nie wieder so mit mir.«
»Seht gut,« entgegnete Fred, indem er mit einem Ausdruck von mürrischem Trotz nach seinem Hut und seiner Reitpeitsche griff. Auf seinem Gesichte zeigten sich blassrote und todesbleiche Flecken. Wie so mancher durchgefallene träge junge Mensch war Fred sehr verliebt, und zwar in ein häßliches Mädchen, das kein Geld hatte; aber mit der Aussicht auf Herrn Featherstone's Landbesitz, und mit der Überzeugung, daß Mary, sie mochte sagen, was sie wollte, ihn doch wirklich gern habe, war er nicht allzu verzweifelt.
Zu Hause angelangt, gab er seiner Mutter vier von seinen fünf Pfundnoten und bat sie, ihm dieselben aufzubewahren.
»Ich will das Geld nicht ausgeben, Mutter, ich will eine Schuld damit bezahlen. Bewahr' es mir daher so auf, daß ich nicht daran kann.«
»Brav, mein lieber Junge!« sagte Frau Vincy.
Sie schwärmte für ihren ältesten Sohn und für ihre jüngste sechsjährige Tochter, die beiden Kinder, welche von Anderen für ihre wenigst geratenen gehalten wurden. Und doch täuscht sich das Auge der Mutter nicht immer in seiner Parteilichkeit, wenigstens kann sie am besten darüber urteilen, ob ein Kind zärtlich und kindlich gesinnt ist. Und Fred liebte seine Mutter wirklich sehr. Vielleicht war es seine Liebe zu noch einer anderen Person, was ihn zu einer so ängstlichen Vorsicht gegen die Möglichkeit seiner Verausgabung der hundert Pfund trieb. Denn der Gläubiger, welchem er 160 Pfund schuldig war, hatte eine Bürgschaft in Gestalt eines von Mary's Vater unterzeichneten Wechsels in Händen.
15
Black eyes you have left, you say,
Blue eyes fail to draw you;
Yet you seem more rapt today,
Than of old we saw you.
Oh, I track the fairest fair
Through new haunts of pleasure;
Footprints here and echoes there
Guide me to my treasure:
Lo! she turns – immortal youth
Wrought to mortal stature,
Fresh as starlight's aged truth –
Many-namèd Nature!
Ein großer Historiker, wie er sich beharrlich selbst nannte, der so glücklich war, schon vor einhundertundzwanzig Jahren zu sterben und seinen Platz unter den Kolossen einzunehmen, zwischen deren ungeheuren Beinen unser lebendes kleines Geschlecht hindurchwandelt, rühmt sich seiner zahlreichen Anmerkungen und Degressionen als des unnachahmlichsten Teiles seines Werks, und namentlich jener Einleitungskapitel zu den einzelnen Büchern seiner Geschichte, in welchen er gleichsam seinen Lehnstuhl auf das Proszenium rückt, um mit dem Publikum in dem ganzen gesunden Behagen seiner schönen Sprache zu plaudern. Aber Fielding lebte, als die Tage länger waren (denn wir messen die Dauer der Zeit gleich dem Werte des Geldes nach unsern Bedürfnissen), als es lange Sommernachmittage gab, und die Uhr an Winterabenden langsam tickte. Wir späteren Geschichtsschreiber dürfen uns nicht einfallen lassen, seinem Beispiele zu folgen, und wenn wir es täten, würde unser Geplauder wahrscheinlich dürftig und übereifrig ausfallen, wie wenn wir auf einem Feldstuhl in einem Vogelhause den Papageien predigten. Ich wenigstens habe so viel damit zu tun, gewisse menschliche Geschicke zu entwirren und die Fäden bloßzulegen, aus denen sie gewebt und mit einander verwebt waren, daß ich alles Licht, welches ich zu verbreiten im Stande bin, auf dieses besondere Gewebe konzentrieren muß und dasselbe nicht über die verführerischen Erscheinungen des gesamten Universums zerstreuen darf.
Zunächst muß ich Alle, die sich für den neuen Ansiedler Lydgate interessieren, besser mit demselben bekannt machen, als es selbst Diejenigen sein konnten, welche ihm seit seiner Ankunft in Middlemarch am nächsten getreten waren; denn es wird doch Niemand in Abrede stellen wollen, daß ein Mann poussiert und belobt, beneidet, lächerlich gemacht, als Werkzeug willkommen geheißen, und sogar geliebt oder wenigstens zum künftigen Gatten gewählt werden, und doch in Wahrheit ungekannt bleiben kann – gekannt nur als ein ergiebiger Stoff für die falschen Voraussetzungen seiner Nachbarn.
Der allgemeine Eindruck war jedoch, daß Lydgate kein ganz gewöhnlicher Landarzt sei, und ein solcher Eindruck bedeutete in jener Zeit in Middlemarch, daß man große Dinge von ihm erwarte. Denn jeder Arzt einer Familie war besonders tüchtig und hatte selbstverständlich ein außerordentliches Geschick in der Behandlung und Einschränkung der kapriziösesten und bösartigsten Leiden. Der für die Geschicklichkeit jedes dieser Ärzte beigebrachte Beweis gehörte zu jenen unwiderleglichen Beweisen einer höheren intuitiven Natur; denn er bestand in der unerschütterlichen Überzeugung der weiblichen Patienten und war demgemäß für jedes Argument unanfechtbar, soweit nicht diesen Intuitionen andere gleich starke entgegenstanden; denn jede Dame, welche in dem »stärkenden System« und seinem Vertreter Wrench die medizinische Wahrheit erblickte, betrachtete Toller und dessen »herabstimmendes System« als das medizinische Verderben.
Die heroischen Zeiten reichlicher Blutentziehung und spanischer Fliegen waren noch nicht vorüber, noch viel weniger die Zeiten durchgreifender Theorien, wo die Krankheit im Allgemeinen mit irgend einem schlimmen Namen bezeichnet und demgemäß ohne unschlüssiges Zaudern angegriffen wurde, wie wenn man z. B. eine Krankheit einen »Aufruhr« nennen wollte, den man nicht mit bloßen Pulverpatronen unterdrücken könne, sondern bei dem Blut vergossen werden müsse. Die Anhänger sowohl des »stärkenden« als des »herabstimmenden« Systems waren Alle wenigstens in der Meinung irgend Jemandes »geschickte« Leute, und mehr kann man doch in der Tat von keinem lebenden Talente sagen. So ausschweifend war noch Niemandes Einbildungskraft gewesen, daß er auf den Gedanken, gekommen wäre, Lydgate könne es an ärztlichem Wissen mit Dr. Sprague und Dr. Minchin, den beiden konsultierenden Ärzten aufnehmen, auf welche allein man noch zu hoffen wagte, wenn ein Kranker in der äußersten Gefahr war und der schwächste Schimmer einer Hoffnung eine Guinea wert schien.
Dennoch hatte man, ich wiederhole es, allgemein den Eindruck, daß Lydgate etwas weniger Gewöhnliches sei als die Praktiker in Middlemarch. Und dem war so. Er war erst siebenundzwanzig Jahre alt, ein Alter, in welchem viele Männer noch nach etwas Höherem streben, Bedeutendes zu leisten hoffen, Abwege entschlossen meiden und glauben, daß der Mammon nie Herr über sie werden solle.
Lydgate hatte seine Eltern verloren, als er eben in eine öffentliche Schule eingetreten war. Sein Vater, ein Offizier, hatte seinen drei Kindern nur wenig hinterlassen, und als der Knabe Tertius den Wunsch aussprach, Arzt werden zu wollen, schien es seinen Vormündern geratener, diesen Wunsch zu erfüllen, indem sie ihn zu einem praktischen Arzt auf dem Lande in die Lehre gäben, als seinem Verlangen aus Rücksichten auf die Würde der Familie entgegenzutreten. Er war einer der seltenen Knaben, welche frühzeitig eine entschiedene Richtung einschlagen, Neigung zu einer bestimmten Tätigkeit fassen, und sich darüber klar sind, daß es etwas Besonderes für sie im Leben zu tun gibt, welches sie um seiner selbst willen und nicht, weil ihre Väter es getan haben, tun möchten.
Die meisten Menschen, die ein