Der Feind in meiner Ehe. Wally Gruber. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wally Gruber
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783991078210
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Schultanzkurses, bekam ich keine Antwort mehr. Die Brieffreundschaft war eingeschlafen, Matthias mit seiner Familie an einen anderen Ort gezogen. Sehr viel später sollte ich erfahren, dass er schlichtweg eifersüchtig war. Er behauptet, er sei damals schon in mich verliebt gewesen.

      Jener Matthias also, den ich 17 Jahre nicht mehr gesehen hatte, rief bei meinen Eltern an, bei denen ich an diesem Tag zu Besuch war. Es war, als würde nach langer Zeit ein alter Freund mit mir Kontakt aufnehmen. Es fühlte sich vertraut an.

      Matthias sagte, er hätte in nächster Zeit geschäftlich in meiner Gegend zu tun und würde sich auf ein Treffen mit mir freuen.

      Zwei Wochen später trafen wir uns zu einem schönen Abendessen. Er war sehr großzügig und übernahm die Rechnung. Der Abend war kurzweilig und sehr amüsant. Matthias hatte viele Geschichten zu erzählen. Als Geschäftsführer einer Werbeagentur war er sehr erfolgreich. Hauptsächlich produzierte er Musik für Rundfunkwerbespots in seinem Tonstudio. Ich war beeindruckt. Sportlich hatte er sich die Ausdauersportart Schwimmen ausgesucht. Das passte wie die Faust aufs Auge zu meinem Leben. Ich hatte Musik und Sport studiert und war an einer Realschule als Lehrerin tätig.

      Ein gut aussehender, charmanter, junger Mann. Witzig, großzügig, humorvoll, interessant. Wir hatten viel Spaß schon am ersten Abend. Es fühlte sich schon wieder vertraut an.

      In drei Wochen würde ich in seiner Stadt zu einem Tanzworkshop sein. Seine Einladung, an jenem Wochenende bei ihm zu übernachten, konnte ich quasi nicht ablehnen. Es prickelte zu sehr.

      Das Wochenende wurde ein sehr verliebtes. Ein Livekonzert in einer Diskothek tat ihr Übriges. Ich hatte Feuer gefangen.

      Unsere Wohnungen lagen 200 Kilometer voneinander entfernt. Wir besuchten uns gegenseitig abwechselnd an den Wochenenden. Wir beide waren unfassbar verliebt. Nach bereits sechs Wochen feierten wir inoffiziell Verlobung und tauschten Ringe.

      „Weg von der Straße!“ – Das war mein Spruch. Ich hatte mich festgelegt.

      Die offizielle Verlobung fand mit Familien und Verwandten weitere vier Wochen später statt. Die kleine Feier war stilvoll und jeder konnte nun sehen: Wir gehören zusammen. Mehr als 17 Jahre nach unserem ersten Zusammentreffen hatten wir uns dazu entschlossen.

      Die weiteren Wochen und Monate waren geprägt von gegenseitigen Besuchen an den Wochenenden. Jeden Montag wartete ein großer Blumenstrauß vor meiner Wohnungstür. Ich war sehr beeindruckt von so viel Aufmerksamkeit.

      Heute weiß ich, dass Narzissten Meister darin sind, eine positive Fassade aufzubauen: freundlich, redegewandt, charmant, attraktiv, interessant, erfolgreich – das sind die Attribute, mit denen Narzissten im frühen Stadium einer Beziehung beschrieben werden. „Love Bombing“ ist das Mittel der Wahl. Die Begehrte wird mit Aufmerksamkeiten quasi überschüttet, damit nicht der leiseste Zweifel an der Ernsthaftigkeit der entgegengebrachten Zuneigung entsteht. Diese Hingabe ist aber nicht ehrlich gemeint, sondern pures Kalkül und dient nur dazu, den anderen zu manipulieren. Kritische Gedanken beim Partner werden mit der Taktik „ganz schnell und ganz viel“ weggewischt. Mit Aufmerksamkeiten und Schmeicheleien lullen Narzissten andere Menschen ein, von denen sie sich narzisstische Zufuhr versprechen und die sie deshalb rasch und fest an sich binden möchten.

      Die Schulferien verbrachte ich in seiner Stadt, lernte die Mitarbeiter der Werbeagentur kennen und Matthias und ich hatten eine wirklich schöne Zeit mit viel Verliebtheit und großer gegenseitiger Zuwendung. Ganz besonders schön war ein Trip zum Jahreswechsel 1992/93 nach Verona, Florenz, Siena und Venedig. In Venedig fiel mir zum ersten Mal auf, dass Matthias die italienischen Namen aus dem Reiseführer unglaublich übertrieben aussprach, so als wollte er zeigen, wie toll sein Italienisch sei. Das war irgendwie verstörend für mich, brauchte er die italienische Sprache doch genau wie ich in erster Linie dazu, um im Restaurant die richtigen Speisen zu bestellen. Warum diese Übertriebenheit? Komisch.

      Das nächste komische Gefühl: Eines Morgens, es war nach dem Frühstück in meiner Wohnung, hatte ich kurz das Gefühl, dass mich dieser Mann genau in diesem Moment, an diesem Ort stören würde. Verwirrend! Ich konnte mir dieses Bauchgefühl nicht erklären, schob es ganz schnell beiseite und begab mich wieder in meine heile Welt. Alles war doch gut so, wie es war … Aus heutiger Sicht würde ich sagen: Hätte ich doch bloß auf mein untrügliches Bauchgefühl gehört!

      Wir waren verliebt! Die montäglichen Blumensträuße blieben. Matthias bemühte sich sehr um mich und war ein toller Partner an meiner Seite. Mir gefielen seine Kreativität und sein Humor, seine coolen und selbstbewussten Sprüche. Sein Auftreten war souverän, das Benehmen vorbildlich. Er kam aus einem guten, soliden Elternhaus. Der Großvater war nach dem Zweiten Weltkrieg sehr schnell zu einem erfolgreichen Großindustriellen aufgestiegen. Der Vater Physiker, die Mutter als evangelische Katechetin an verschiedenen Schulen beschäftigt. Die Eltern hatten sich getrennt, als Matthias 15 Jahre alt war. Der jüngere Bruder studierte Physik, die jüngere Schwester Psychologie. Matthias hatte einige Semester Jura studiert, bevor er das Angebot von seinem zukünftigen Geschäftspartner bekam, in die Werbeagentur einzusteigen. Das Studium hatte er also abgebrochen und war von da an nur als kreativer Kopf, Musiker und Produzent in der Agentur beschäftigt. Der Erfolg gab ihm recht. Es ging steil bergauf und die Agentur hatte große Aufträge an Land gezogen. Mehrere Mitarbeiter wurden eingestellt.

      Als ich 1992 den Betrieb kennenlernte, waren außer den beiden Geschäftsführern eine Grafikerin und eine Sekretärin beschäftigt. Bald kamen Texter und Produzenten dazu. Auch der Vertrieb wurde erweitert. Sänger*innen und Sprecher*innen gingen ein und aus und es war ein sehr interessantes neues Umfeld, das ich kennenlernen durfte. Berühmte Synchronstimmen wurden gebucht. Faszinierend außerdem die Kontakte zu privaten und öffentlichen Rundfunkstationen, bei denen die Werbespots eingebucht wurden. Überall interessante Menschen, die mich beeindruckten und ihre Spuren in meinem jungen Leben hinterließen. Einblick zu bekommen in ein Metier, das ich bisher nicht kannte, fand ich unglaublich bereichernd und freute mich auf jeden Besuch in seiner Stadt und seiner Wohnung.

      Im April 1993 stellte ich mit deutlicher Überraschung fest, dass ich ein Kind erwartete. Nun gut, ich war Ende zwanzig und bereits verlobt. Wir überlegten, was wir tun sollten, und kamen zum Entschluss bald zu heiraten.

      Alles wurde schnell und gründlich organisiert und somit heirateten wir im Juli 1993 – lustigerweise in derselben Kirche, in der seine Eltern geheiratet hatten – und feierten ausgiebig mit circa hundert Gästen auf dem Land in der Nähe meines damaligen Lebensmittelpunktes. Als Hochzeitsgeschenk überreichte mir mein Mann eine Geige, die er für mich hatte anfertigen lassen. Ich war völlig geplättet!

      Ich hatte nicht gewusst, dass er Kontakt zu meinem Geigenbauer aufgenommen und die Geige in Auftrag gegeben hatte. Vor Monaten hatte er mich gefragt, was ich mir wünschen würde, wenn ich viel Geld zur Verfügung hätte. Mir fiel damals spontan eine Meistergeige von „meinem“ Geigenbauer ein, die ich mir wahrscheinlich in meinem ganzen Leben nicht hätte leisten können.

      Ich selbst stamme aus eher, wie man so schön sagt, bescheidenen Verhältnissen. Eine fleißige Arbeiterfamilie. Eine Großmutter, die den Krieg durchgestanden hat und vergebens auf ihren im Krieg gefallenen Mann gewartet hat.

      Trotz der sehr bescheidenen Verhältnisse hatte meine Großmutter in einer bayerischen Kleinstadt ein Haus gebaut und einen großen Garten angelegt. Hühner, Enten, Gänse und Hasen gehörten genauso zur Familie wie ein bis zwei Schweine, die gefüttert wurden, um sie später zu schlachten. Mit viel Fleiß und Hartnäckigkeit ernährte die Großmutter die Familie. Kochte, versorgte Vieh und Garten. Im Urlaub war sie so gut wie nie. Bei ihr bin ich aufgewachsen, da meine Eltern beide arbeiten mussten. Wir alle wohnten in einem Haus. Die Eltern hatte ich nicht vermisst. Ich hatte ja die Oma. Eine resolute, dicke Frau. Sie war es, die so lange im Wald Heidelbeeren gesammelt und sie verkauft hatte, bis sie es sich leisten konnte, mir ein Akkordeon zu kaufen. Ich wollte zwar lieber Klavier oder Orgel spielen, aber diese Instrumente waren für meine Familie zu teuer. Also ging ich drei Jahre in den Musikunterricht und lernte Akkordeon spielen. Zur Geige kam ich im Gymnasium, als mein Musiklehrer mich fragte, ob ich das Instrument spielen wolle. Er bräuchte Nachwuchs für sein Schulorchester. Also erlernte ich zusätzlich auch das Geigenspiel und spiele heute noch regelmäßig