Epidemiologie für Dummies. Patrick Brzoska. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Patrick Brzoska
Издательство: John Wiley & Sons Limited
Серия:
Жанр произведения: Медицина
Год издания: 0
isbn: 9783527837212
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einmal die Cholera aus. Der erste Fall war ein englischer Seemann namens John Harnold, der gerade aus Hamburg zurückgekehrt war. Er übernachtete in einer Seemannsherberge, erkrankte dort an Cholera und verstarb. John Harnold war der sogenannte Indexfall in diesem Ausbruch.

      

Der Indexfall ist der erste bekannte Fall in einem Krankheitsausbruch.

      Ein Matrose, der kurz darauf im gleichen Zimmer übernachtete, erlitt das gleiche Schicksal. John Snow vermutete, dass die Cholera in diesem Fall durch verschmutzte Bettwäsche übertragen wurde. Miasmen schienen keine Rolle gespielt zu haben.

      Durch seine Arbeit als Armenarzt beobachtete John Snow, dass Süd-London besonders schwer von der Cholera betroffen war. Die Haushalte im Süden von London bezogen ihr Trinkwasser direkt aus der Themse. Eigentlich war das ein großer Fortschritt: Im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts verlegten private Wasserwerke Wasserrohre von der Themse in die Haushalte. Erstmals mussten die Menschen das Wasser nicht mehr mühsam mit den Eimern heranschleppen. Dadurch gab es auch genügend Wasser für Spültoiletten. So wurde ein zweites Rohrnetz angelegt, das die Fäkalien abtransportierte – direkt in die Themse. Was eigentlich ein großer hygienischer Fortschritt hätte werden können, endete in einem gesundheitlichen Debakel.

      

Bedenken gesundheitlicher Art gab es damals nur wenige – es herrschte ja die Miasma-Theorie vor. Die Menschen beklagten sich allenfalls über trübes, schlecht riechendes Trinkwasser aus der Leitung.

      Hypothesenbildung

      Basierend auf seinen Beobachtungen beim Cholera-Ausbruch 1848/49 bildete John Snow drei neue Hypothesen, die im Gegensatz zur Miasma-Theorie standen:

       Cholera wird von Kranken auf Gesunde übertragen.

       Überträger ist eine Substanz, die er »morbid matter« nannte. Sie muss sich im Körper der Erkrankten vermehren, sonst könnten nicht zunehmend mehr Menschen an Cholera erkranken.

       Auch Trinkwasser überträgt die »morbid matter« von Kranken auf Gesunde.

      Wie konnte John Snow seine Hypothesen überprüfen? Er konnte ja nicht einfach gesunden Menschen verschmutztes Wasser zu trinken geben und beobachten, ob sie an Cholera erkrankten. Selbst nach den ethischen Standards des 19. Jahrhunderts war das nicht zulässig. Eher zufällig ergab sich eine Situation, die es ihm ermöglichte, seine Hypothesen auf elegante Weise zu überprüfen.

      Den südlichen Teil von London, der von der Cholera besonders schwer betroffen war, versorgten zwei Wasserwerke: Southwark & Vauxhall und Lambeth. Sie konkurrierten direkt miteinander; in einigen Stadtvierteln versorgten die Unternehmen direkt benachbarte Häuser. 1852 verlegte Lambeth die Wasserentnahme flussaufwärts (oberhalb der Stadt). Die Gründe waren wirtschaftlicher Natur: Das Wasser roch besser und war klarer. Lambeth versprach sich davon einen wirtschaftlichen Vorteil gegenüber der Konkurrenz.

      Datenerhebung

      John Snow begann, Daten zu sammeln. Zunächst brachte er in Erfahrung, in welchen Häusern in den vergangenen Tagen Menschen verstorben waren. Die entsprechenden Informationen erhielt er vom »Registrar General«, der alle Todesfälle in London registrierte. John Snow besuchte alle diese Haushalte, um herauszufinden, wer an Cholera gestorben war (der ihn interessierende »Outcome«) und woher derjenige sein Trinkwasser bezogen hatte (Wasser von Southwark & Vauxhall war in seiner Untersuchung die »Exposition«). Sie sehen, epidemiologische Detektivarbeit kann eine Menge Herumlaufen und Fragen erfordern. Mithilfe seiner Daten beantwortete Snow die drei epidemiologischen Fragen.

      Die drei epidemiologischen Fragen: Wer? Wann? Wo?

      Bis heute untersuchen Epidemiologen ein Gesundheitsproblem in der Bevölkerung, indem sie die drei epidemiologischen Fragen beantworten: Wer? Wann? Wo?

       Wer erkrankt? Zunächst einmal bedeutet das: Wie viele Menschen erkranken? Und dann: Welche Personengruppen erkranken? Unterscheiden sie sich nach Geschlecht, Alter, Familienstand, Bildung oder Einkommen?

       Wo erkranken die Menschen? Mit anderen Worten: Wo tritt eine Krankheit häufig und wo tritt sie selten auf? Gibt es Häufungen in bestimmten Regionen eines Landes? Erkranken Menschen nur in bestimmten Stadtteilen oder in der ganzen Stadt? Tritt eine Erkrankung in bestimmten Ländern häufiger auf als in anderen?

       Wann tritt eine Erkrankung gehäuft auf? Zur Beantwortung dieser Frage vergleichen die Epidemiologen verschiedene Zeiträume. Bei einem akuten Krankheitsausbruch können das einzelne Tage sein. Bei saisonal auftretenden Krankheiten vergleichen sie die Häufigkeit in bestimmten Monaten über viele Jahre hinweg.

      Wer verstarb an Cholera?

      Bevor Snow von Tür zu Tür gehen konnte, um Cholerafälle aufzuspüren, benötigte er eine Falldefinition. Das ist eine standardisierte Liste von Fragen, mit deren Hilfe Epidemiologen herausfinden, ob eine Person eine bestimmte Krankheit hat (beziehungsweise hatte) oder nicht. Falls die betreffende Person verstorben ist, befragen die Epidemiologen die Angehörigen.

      Da im 19. Jahrhundert der größte Teil der Cholerapatienten verstarb, setzte Snow folgende einfache Falldefinition ein:

       plötzlicher Todesfall

       vorangehende, heftige Durchfälle

      

Sie müssen eine Falldefinition genau ausarbeiten, bevor Sie mit der Befragung beginnen. Das ist ganz besonders wichtig, wenn mehrere Interviewer oder Untersucher unterwegs sind.

Wasserversorgung Zahl der Todesfälle
Southwark & Vauxhall Water Company 286
Lambeth Water Company 14
Direkt aus dem Fluss 22
Brunnen oder Graben 8
Unbekannt 4
Gesamt 334

      Bevor Sie weiterlesen, werfen Sie einen Blick auf die Tabelle: Welche Art der Wasserversorgung, glauben Sie, birgt ein besonders hohes Risiko für Cholera? Da Sie ja die Hypothese untersuchen, dass Lambeth sauberes Wasser und Southwark & Vauxhall verschmutztes Wasser liefern, können Sie die anderen Versorgungswege außer Acht lassen.

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