Das ist die eine Art, den Menschen zu helfen. Epidemiologen helfen auch, aber anders. Sie befassen sich mit der Frage, warum so viele Menschen in der Bevölkerung an Herzinfarkt erkranken und was Gesunde tun können, um ihre Gesundheit zu erhalten. Das ersetzt nicht die Arbeit der Ärzte, sondern ergänzt sie (und natürlich gibt auch der Arzt die Erkenntnisse der Epidemiologen an seine Patienten weiter, wie sie Krankheiten vorbeugen können).
Um gesund zu leben, brauchen Menschen viel mehr als nur Medikamente – die benötigen sie meist nur, wenn sie krank sind. Epidemiologen schauen über den unmittelbar medizinischen Bereich hinaus. Sie versuchen nicht, die Symptome von Krankheiten zu heilen (das ist die Aufgabe der Ärzte), sondern die Ursachen zu finden und zu beseitigen. Sie legen den Begriff »Gesundheit« also sehr breit aus und folgen damit der Definition der Weltgesundheitsorganisation WHO:
Gesundheit ist »ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur die Abwesenheit von Krankheit oder Gebrechen.«
Sie können die Sache auch weniger wissenschaftlich betrachten: Gesundheit ist ein Thema, das alle Menschen – einschließlich uns selbst – angeht und allein deshalb spannend ist. Wir machen uns Sorgen über mögliche Gesundheitsgefahren und wollen verlässliche Aufklärung, wie groß die Gefahren wirklich sind – da helfen die Forschungsergebnisse der Epidemiologen. Schließlich: Wem läuft nicht ein leichter Schauder über den Rücken, wenn er von großen Epidemien liest?
Epidemiologen sind vielseitig interessiert
Im Alleingang können Epidemiologen die Gesundheit der Bevölkerung nicht verbessern. Wir arbeiten daher eng mit anderen Fachrichtungen zusammen. Das geschieht unter dem gemeinsamen Dach der Gesundheitswissenschaften.
»Gesundheitswissenschaften« ist die deutsche Übersetzung des gebräuchlicheren englischen Begriffs »Public Health«. Darunter verstehen die meisten Gesundheitswissenschaftler heute das gemeinsame Handeln, um die Gesundheit nachhaltig und bevölkerungsweit zu verbessern.
Besonders häufig und intensiv tauschen wir uns mit Forschern aus folgenden Fachgebieten aus:
Medizin – etwa wenn es um die Messung von Outcomes wie Herzinfarkt geht, die von Ärzten diagnostiziert werden
Biologie – wenn es um die Eigenschaften von Krankheitserregern geht, beispielsweise um Viren
Ernährungswissenschaft – etwa wenn es um Risikofaktoren für Übergewicht geht
Sozial- oder Gesellschaftswissenschaften (Soziologie, Psychologie, Pädagogik, Pflegewissenschaft, Demografie) – beispielsweise wenn es um soziale Benachteiligung geht oder um geeignete Ansätze zur Krankheitsvorbeugung
Versorgungsforschung – wenn es um die Strukturen des Gesundheitssystems oder die Nutzung von Versorgungsangeboten geht
Gesundheitsökonomie, Managementwissenschaft – etwa wenn es um Kosten von präventiven Maßnahmen geht
Das bedeutet: Epidemiologische Arbeit ist abwechslungsreich und bietet Einblick in ganz unterschiedliche Arbeitsfelder.
Epidemiologen denken kritisch
Als Wissenschaftler wollen wir Epidemiologen etwas über die Welt erfahren, besonders natürlich über die Zusammenhänge zwischen Expositionen und Krankheiten. Oft erfordert das regelrechte Detektivarbeit – beispielsweise bei der Untersuchung von Krankheitsausbrüchen (lesen Sie dazu Kapitel 2, 18 und 19).
Detektive sollten nicht auf falsche Spuren hereinfallen. Das geht Epidemiologen nicht anders. Wir müssen lernen, kritisch zu denken, dabei aber konstruktiv zu sein (eine Fähigkeit, die auch im Alltag weiterhilft). Wenn wir einen wissenschaftlichen Aufsatz über eine epidemiologische Studie lesen, hinterfragen wir die eingesetzten Methoden und ganz besonders die Ergebnisse. Wo es angebracht ist, kritisieren wir. Brauchbare Kritik erfordert aber sorgfältige Vorarbeiten. Dazu gehört:
Hintergründe der Studie und ihrer Methoden gründlich recherchieren
Kritische Anmerkungen sauber und nachvollziehbar begründen
Präzise für den eigenen Standpunkt argumentieren
Um all das tun zu können, benötigen Epidemiologen nicht nur einen gesunden Menschenverstand, sondern auch solide Methodenkenntnisse. Wir legen Ihnen daher die Kapitel 9 bis 13 in diesem Buch besonders ans Herz.
Epidemiologen entwickeln Studiendesigns
Ein klein wenig stolz sind wir schon auf unsere eleganten und ausgefeilten Typen von epidemiologischen Studien – wir sprechen gerne von »Studiendesigns«. Mit den schon erwähnten Kohortenstudien beispielsweise blicken wir zeitlich nach vorn und vergleichen, ob Exponierte im Laufe der Zeit häufiger erkranken als Nichtexponierte (dieses und weitere Studiendesigns lernen Sie in den Kapiteln 9 bis 13 genauer kennen).
Für jede neue Kohortenstudie passen wir das Studiendesign an und entwickeln es weiter. An der grundlegenden Idee halten wir aber fest. Zudem beschreiben wir in wissenschaftlichen Veröffentlichungen unsere Methoden sehr genau. Warum? Ein Aspekt von Wissenschaft ist die Wiederholbarkeit der Studien. Wenn wir bekannte Studientypen benutzen und Abwandlungen genau beschreiben, ermöglichen wir es anderen Epidemiologen, eine ähnliche Studie durchzuführen und unsere Ergebnisse kritisch zu prüfen.
Epidemiologen können mit ihren noch so durchdachten Studiendesigns nur ein vereinfachtes Bild der Wirklichkeit erzeugen. Das mag nicht immer zufriedenstellend sein. Es ermöglicht ihnen aber, komplizierte Zusammenhänge zwischen Expositionen und Erkrankungen zu erklären. Zudem ist es für andere Wissenschaftler überprüfbar und nachvollziehbar.
Epidemiologen handeln
Epidemiologie hat einen starken Anwendungsbezug. Anders formuliert: In vielen von uns steckt ein kleiner Sam Daniels (Sie erinnern sich: das ist der Epidemiologe aus »Outbreak«, der gleichermaßen im Urwald wie im Cockpit eines Hubschraubers heimisch ist). Wir begnügen uns nicht damit, Probleme zu erkennen. Vielmehr versuchen wir, auf der Grundlage unserer wissenschaftlichen Ergebnisse auch Lösungsvorschläge zu entwickeln und umzusetzen. In Kapitel 2 stellen wir Ihnen die berühmteste Problemlösung in der Geschichte der Epidemiologie vor – sie erforderte einen Werkzeugkasten.
Epidemiologen träumen von Gerechtigkeit
Auch Epidemiologen träumen. Unsere privaten Träume erzählen wir Ihnen nicht. Beruflich träumen wir von einer Welt, in der alle Menschen gleiche Chancen haben. Zugegeben: ein sehr hohes Ideal.
Gleiche Chancen erfordern zunächst gleiche gesundheitliche Chancen. Davon sind wir weit entfernt – denken Sie an die enormen Ungleichheiten in der Säuglingssterblichkeit weltweit. Sie liegt in manchen afrikanischen Ländern 20-mal so hoch wie in Deutschland. Aber auch innerhalb von Deutschland