Im goldenen Käfig. Aicha Laoula. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Aicha Laoula
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783906287041
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Konzertaufzeichnungen berberischer Musik. Auch über die gebrauchte Kleidung, die ich aus der Schweiz mitbrachte, waren sie sehr glücklich. Ich besuchte die Leute im Dorf, die mich abwechselnd einluden. Als Geschenk gab ich ihnen Schokolade und ebenfalls gebrauchte Kleider, sie waren sehr dankbar dafür. Jeder ermunterte mich und sagte: »Iss, Mädchen iss. Du bist viel zu dünn, iss!« Doch nach ein paar Happen bekam ich nichts mehr hinunter. Die Leute dachten sogar, dass mein Mann das Essen vor mir wegsperrte. Ich musste ihnen erklären, dass wir Essen im Überfluss hatten, ich jedoch keinen Appetit verspürte. Tatsächlich ist es bei uns so, dass eine dünne Person nicht dem Schönheitsideal entspricht. Insbesondere die Frauen müssen gut genährt sein, mit breiten Hüften, heller Haut und glattem Haar. Ich entsprach diesem Schönheitsideal überhaupt nicht und ich schämte mich sehr für meinen körperlichen Zustand. Als wir gerade im Urlaub angekommen waren, wollte meine Schwiegermutter eines Morgens, dass ich sie zum Einkaufen auf den Markt begleitete. Da es ein wunderschöner, sonniger Tag war, zog ich mir ein Sommerkleid an, das bis unter die Knie reichte und kurze Ärmeln hatte. Als sie mich so sah, befahl sie mir, meinen Wintermantel anzuziehen, den ich während der Reise getragen hatte, da es in der Schweiz tiefster Winter war. Sie sagte, ich dürfe nicht einmal einen Gürtel anlegen, damit man nicht sähe, wie dünn ich war. Sie sagte, dass sie sich schämte, mit einer Schwiegertochter in die Nachbarschaft zu gehen, die dünn wie die Wirbelgräte einer Sardine war. Es ist eine sehr beleidigende Redensart, da dünn zu sein, in unserer Kultur als Affront gegen die Schönheit gilt. So musste ich für mehrere Stunden in meinem Wintermantel schwitzen, der im Inneren mit Wolle gefüttert war, um meine Schwiegermutter nicht zu beschämen. Als ich zum ersten Mal in die Schweiz kam, war ich sehr überrascht zu hören, dass hier eine schlanke Figur und leicht gebräunte Haut als schön galt. Ich verstand die Welt nicht mehr und wusste nicht, welches der beiden Ideale das richtige für mich sein sollte: das marokkanische oder das europäische. Hier in Europa machten mir die Leute für meine Figur Komplimente, etwas, was mir nie in den Kopf wollte, da ich, wenn ich nach Marokko ging, das Gegenteil zu erwarten hatte, was mir sehr peinlich war. Dort galt: Wer mager war, der war nicht attraktiv oder sogar hässlich.

      Obwohl ich bei meiner Familie war, hatte ich Angst vor den Gemeinheiten meiner Schwägerinnen und meiner Schwiegermutter. Ich konnte weiterhin nicht schlafen, wegen der Albträume, die mich aus dem Schlaf rissen. Ich hatte Angst, dass Bilal etwas von dem, was ihm erzählt hatte, verraten würde.

      Trotzdem zwang ich mich, mein Land, meine Leute, die wunderbare Sonne und den blauen Himmel zu genießen. Ich besuchte Bilal und Markus, die im Wohnmobil wohnten und im Freien kochten. Meine beiden Onkel mütterlicherseits, die nicht weit davon entfernt wohnten, wo das Wohnmobil geparkt war, brachte Markus und Bilal täglich frisch gebackenes Brot, Pfefferminztee, Butter und Honig vorbei. Gelegentlich brachten sie auch Tajin mit Fleisch und Gemüse. Auch fremde Leute wurden vom Wohnmobil angezogen. Sie brachten Essen vorbei und nutzten die Gelegenheit, sich das Innere des Fahrzeugs anzusehen.

      Es war wundervoll, auf dem Land und unter den Olivenbäumen mit meinem kleinen Youns spazieren zu gehen. Er lächelte mich an, während er meine Hand nahm und darauf achtete, nicht über die Steine zu stolpern. Oft malte ich mir aus, was wohl aus meinem Kind werden würde, wenn meine Schwiegermutter mich umbrächte und Bilal ihn ihr anvertrauen würde. Ich hatte begonnen, die Familie von Bilal zu hassen. Gleichzeitig kämpfte ich gegen dieses negative Gefühl, weil Gott ja nicht wollte, dass ich meine Nächsten hasste. Doch das überforderte mich, ich glaubte zu explodieren und zu sterben. Zum ersten Mal wurde ich von Panikattacken übermannt – von einer Angst, die meinen Kopf, meine Gefühle und meinen Körper vollständig einnahm. Dieses Grauen ließ mich erzittern und mir förmlich das Blut in den Adern gefrieren, auch wenn es draußen heiß war. Ich hatte solche Angst zu sterben, und ich dachte immer wieder an die Worte meiner Schwiegermutter: »Ich erledige dich, wenn du es wagst, meinem Sohn auch nur ein Wort zu sagen.«

      Was meinen Kleidungsstil betraf, so war diese einigen Personen auf dem Land nicht sehr willkommen. Offenes, langes Haar und ein Kleid mit kurzen Ärmeln, das gerade bis unter die Knie reichte. Doch da dies die Angelegenheit meines Mannes war, sagte niemand etwas dazu. Bilal gefiel es nicht, wenn ich mich traditionell kleidete, wie mit der Djellaba. Mir gefiel dies auch nicht und hatte es nie gefallen. Einmal hatte eine alte Frau zu mir gesagt: »Bedecke dein Haar! Du weißt, dass es bei uns eine Schande ist, es offen zu tragen, oder?« Doch meine Mutter hatte eingegriffen und gesagt: »Lass sie in Ruhe, wenn es ihr Ehemann erlaubt, hat sich keiner einzumischen.« Meine Mutter ließ keine Gelegenheit aus, Bilal als meinen Herren und Besitzer in jeder Hinsicht darzustellen, doch sie tat dies zu ihrem eigenen Vorteil, aus finanziellen Gründen. Nach ein paar Tagen kam meine Schwiegermutter wutentbrannt zu uns, ein herrischer Ausdruck auf ihrem Gesicht, und sagte zu Bilal: »Wie kannst du deine Familie in unserem Haus auf dich warten lassen, während du hier auf dem Land bist?« »Wie du siehst, bin ich hier mit meiner Frau und meinem Sohn.« Dann sagte sie mit nachdrücklicher Stimme: »Mein Sohn, wenn deine Frau bei ihrer Familie bleiben will, dann kann sie da gerne bleiben, aber du gehörst zu deiner Familie, dein Platz ist bei uns, mein Sohn.« Schließlich gehorchte Bilal seiner Mutter und folgte ihr, und ich musste ihm folgen. Nach ein paar Tage fuhren wir in die Wüste zu seinem Bruder Meshoud. Ich war glücklich, meine Schwägerinnen Hadda und Karima wiederzusehen, die beide die Ehefrauen meines Schwagers Meshoud waren. Karima und Hadda hatten sich gut miteinander verstanden. Sie wohnten im selben Haus, mit zwei Zimmern und einem Wohnzimmer, einer Küche und einem Bad. In der Mitte des Hofes war ein runder Ofen, in dem sie die Fladenbrote über einem Feuer, dessen Nahrung aus Sträuchern bestand, backten. Auf der ganzen Welt gab es kein besseres Brot als dieses. Hadda und Karima hatten jede ihr eigenes Zimmer. Meshoud verbrachte eine Nacht mit der einen und die nächste Nacht mit der anderen Frau. Doch wenn es vorkam, dass er mit einer von ihnen stritt, wurde der Arme von beiden Frauen weggeschickt und musste in der Küche auf einer Matratze schlafen. Die Frauen hatten dies so vereinbart. Ich bemerkte, dass zwischen Hadda und Karima eine große Verbundenheit bestand. Sie halfen sich gegenseitig wie zwei Schwestern. Es war für mich ein Vergnügen, wie sie sich beide gegen ihren Ehemann verbündeten, wenn es ihnen dieser nicht recht machte. Sie waren sich sogar darüber einig, wie sie mit der Boshaftigkeit unserer Schwiegermutter und Schwägerinnen umzugehen hatten. Hadda hatte unserer Schwiegermutter verboten, auch nur einen Fuß in ihr Haus zu setzen. Sie erzählte, dass, als die Schwiegermutter einmal versucht hatte, sie zu besuchen, sie sie davongejagt hatte. Hadda, die auch von unserer Schwiegermutter gehasst wurde, klärte Bilal über die Boshaftigkeit seiner Mutter mir gegenüber auf und riet ihm, mich von ihr fernzuhalten. Sie erzählte ihm, dass unsere Schwiegermutter ständig versuchte, mich mit schwarzer Magie zu verzaubern, damit ich krank würde und mich von ihm trennte. Hadda schwor bei Gott, dass sie gesehen hatte, wie sie versuchte, mich mit schwarzer Magie zu verfluchen. Während sie sprach, lief ein kalter Schauer meinen Rücken hinab, und ich verspürte Angst. In diesem Augenblick schien Bilal seiner Schwägerin zu glauben, doch sobald wir wieder bei seiner Mutter wären, hätte er alles wieder vergessen. Es war, als ob seine Mutter ihn hypnotisierte, doch ich wusste nicht wie.

      Meine Schwägerin Karima hatte ihr erstes Kind bekommen, und Hadda umsorgte es, als wäre es ihr eigenes. Hadda war die erste Frau von Meshoud, doch sie konnte keine Kinder bekommen und war außerdem älter als er. Das war auch der Grund dafür, warum sie von meiner Schwiegermutter gehasst wurde und warum diese seit Jahren versuchte, sie aus dem Leben ihres Sohnes zu vertreiben. Aber Meshoud liebte Hadda und wollte sie daher nicht verlassen. Beide hatten vereinbart, dass er eine jüngere Frau heiraten würde, um Kinder zu bekommen und dass sie als große Familie zusammenleben würden. Und so war es. Karima hatte noch weitere Kinder und alle lebten gemeinsam unter einem Dach. Nach einem Monat kehrten wir in die Schweiz zurück, während Markus in Marokko blieb und durch Nordafrika reiste.

      Ab der Rückkehr aus Marokko hatte sich Bilal verändert und wurde mir gegenüber kalt. Alles störte ihn und er wollte allein sein, um nachzudenken. Er hatte keine Lust zu reden, noch war er in Gesellschaft seiner Freunde so fröhlich wie sonst. Er klagte über Kopfschmerzen und wollte nicht gestört werden, die Wochenenden verbrachte er damit, zu schlafen. Er ging immer seltener mit mir und Youns aus, und wenn, dann nur widerwillig. Er lebte in einer Welt wo er seinen Trost im Alkohol gefunden hatte. Dies machte mich fürchterlich traurig und ich fühlte mich allein. Ich verbrachte die Abende und Wochenenden mit Hausarbeit oder Lesen oder traf mich mit meinen Freunden. Ich war überzeugt davon,