Kinder erkunden die lokale Baukultur (E-Book). Noëlle von Wyl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Noëlle von Wyl
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783035519723
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sind (Archijeunes, 2019, S. 28). Lehrmittel und -materialien haben einen direkten Einfluss auf die Ausgestaltung des Unterrichts, weil sie Lehrpersonen Mittel und Wege aufzeigen, wie ein Thema unterrichtet werden kann. In der Studie wird angemerkt, dass Lehrmittel auch «die Gefahr einer nur oberflächlichen und einmaligen Auseinandersetzung mit einem Thema» bergen (ebd., S. 27). Das Projektteam teilt diese Befürchtung nicht. Lehrerinnen und Lehrer verstehen es, Unterrichtsinhalte zielstufenspezifisch und immer wieder neu aufzubereiten, sie sind darin sehr kreativ. Deshalb dienen Lehrmittel und Materialien oft mehr als Inspiration denn als Vorlage für Unterrichtsvorbereitungen. Es seien vor allem solche Unterrichtsmaterialien sinnvoll, die «explizit an den lokalen Kontext und an die Voraussetzungen der Schülerinnen und Schüler angepasst sind», so die Lehrpersonen (ebd.). Diese Bedürfnisse werden im vorliegenden Unterrichtskonzept und den dazugehörigen Materialien berücksichtigt.

      Die Fachbereiche «Bildnerisches, Textiles und Technisches Gestalten» (BG & TTG) und «Natur, Mensch, Gesellschaft» (NMG), die sich für interdisziplinär ausgerichtete, baukulturelle Unterrichtsformate verbinden lassen, sind an eine bestimmte Kompetenzorientierung des Lehrplans 21 gebunden. Er legt fest, «was Schülerinnen und Schüler wissen und können müssen» (D-EDK, 2016b). Auch die Prozessebenen und Prozessstrukturen für die einzelnen Fachbereiche sind im Lehrplan formuliert. Mit dieser Publikation wurde der Versuch unternommen, eine Unterrichtsstruktur für interdisziplinär ausgerichtete Unterrichtsprojekte zum Thema «Baukultur» zu formulieren, die sich inhaltlich an die Lernziele des NMG, BG und TTG im Lehrplan 21 anlehnt (siehe Kapitel 2.3). Baukultur wird vermittelt, indem sich Kompetenzziele der einzelnen Fachbereiche konkret und geplant ergänzen und bereichern. Diese Struktur ist besonders erfolgreich, wenn Lehrpersonen über eine längere Zeitspanne hinweg baukulturelle Themen integrieren. Für die Bedeutung der drei Fächer im Gefüge der Bezugswissenschaften kann eine interdisziplinäre Übereinstimmung nur positiv bewertet werden, denn Schülerinnen und Schülern ist es so leichter möglich, Wissensbezüge herzustellen. Auch die in der Studie geäusserten Wünsche für untersuchende und handlungsorientierte Lernformen sowie digitale Formate konnten berücksichtigt werden. So haben sich Schülerinnen und Schüler beispielsweise die Aussenräume mit analogen und digitalen Mitteln erschlossen und sich so mit dem Lerngegenstand «Wohnort» stufengerecht auseinandergesetzt.

      Schulraum und Partizipation

      In der Bestands- und Bedarfsanalyse wird die Bedeutung des Aussenraums als Bildungsort für Schülerinnen und Schüler hervorgehoben (Archijeunes, 2019, S. 28). Doch Lehrerinnen und Lehrer äussern, dass «an den Nahraum geknüpfte Unterrichtsprojekte in der Regel in keinem Lehrbuch zu finden sind» (ebd., S. 27). Das Team von Elisabeth Gaus-Hegner hält dagegen fest, der «pädagogische Raum» stelle einen «privilegierten Lerngegenstand» für die Förderung im Bereich Nachhaltigkeit und Umweltentwicklung dar (ebd., S. 44).

      Im Kompetenzaufbau des Lehrplans 21 im Fachbereich «Natur, Mensch, Umwelt» unter «Räume, Zeiten, Gesellschaften» (D-EDK, 2016c) sind Raum und Raumorientierung bereits als Lerninhalt formuliert. Die Schülerinnen und Schüler sollen verschiedene «Lebensräume und Lebensweisen charakterisieren» (RZG.2), «Mensch-Umwelt-Beziehungen analysieren» (RZG.3), «sich in Räumen orientieren» und diese «mitgestalten» können (RZG.4, NMG.8) sowie die «Schweiz in Tradition und Wandel verstehen» (RZG.5), das heisst, auch die Dynamik in städtischen und ländlichen Räumen sowie Prozesse der Raumplanung kennen sowie «Geschichtskultur analysieren und nutzen» (RZG.7). Zu diesen Kompetenzzielen gehört es, dass Schülerinnen und Schüler die Lebensweisen von Menschen in verschiedenen Zeiten und Räumen vergleichen, «Demokratie und Menschenrechte verstehen» (RZG.8) und unter diesen Voraussetzungen mit geeigneten Mitteln an der Gestaltung von Raum zu partizipieren vermögen.

      Aus diesem Grund haben Schulwege eine sehr hohe Bedeutung, denn die Schülerinnen und Schüler prägen sich diese über die tägliche Erfahrung ein. Die Wege ermöglichen ein räumliches Verständnis, dass sich in Zeichnungen kartografisch abbilden lässt. Das Unterrichtskonzept knüpft an dieses vorhandene Wissen an und sichert damit den motivationalen Einstieg in den baukulturellen Unterricht. Baukulturelle Themen werden im alltäglichen Raum erkundet. Mit Zeichnungen werden die Raumvorstellungen der Kinder und Jugendlichen zur Darstellung gebracht. Das Gespräch darüber befördert das Interesse für die Wahrnehmung der gebauten Umwelt. Visualisiert werden nicht nur Aussengelände der Schulhäuser, sondern auch gemeinschaftliche Bauten, Einrichtungen, Strassen, Wege, Plätze sowie gestaltete Natur wie Parks, Waldränder und Gärten, Teiche und Wasserläufe. Der gebaute Raum ist tatsächlich ein «pädagogischer Raum»; eine Referenz an die vielzitierte Metapher der Reggio-Pädagogik vom Raum als drittem Erzieher (Göhlich, 2006, S. 67). Raumvorstellungen, Raumorientierungen sowie die Beobachtungen und Gespräche über Baukultur entwickeln sich aus gelebten Erfahrungen und interaktiven Prozessen mit Schülerinnen und Schülern; die unmittelbar vorhandene Baukultur ist der Ausgangspunkt für baukulturelle Bildung.

      Kommunikation

      Weiter ergab die Analyse zum Bestand und Bedarf, dass der Begriff «Baukultur» sowie das in diesem Zusammenhang verwendete Vokabular wenig verbreitet ist. Eine Begriffsdefinition für Lehrerinnen und Lehrer sowie Schülerinnen und Schüler verschiedener Schulstufen könne die Kommunikation unter Lehrpersonen sowie Schülerinnen und Schülern erleichtern, so das Team von Elisabeth Gaus-Hegner. Die Begriffe «Baukultur» und «baukulturelle Bildung» seien so weit zu «schärfen und stärken, dass sie zur Anerkennung baukultureller Anliegen beitragen» können. «Die Begriffe der Baukultur könnten mit einer Umschreibung der Ziele baukultureller Bildung einem breiten Publikum zugänglich gemacht werden» (Archijeunes, 2019, S. 24).

      Die Autorinnen stellen fest, dass der Begriff «Baukultur» infolge unterschiedlicher Auslegung in der Praxis tatsächlich erklärungsbedürftig ist. In diesem Projekt konnte der Begriff praxisnah überprüft und geklärt werden. Die Lehrpersonen waren in die Unterrichtserprobung involviert und konnten so den Begriff konkret mit Inhalten verknüpfen. Sie entwickelten eine Vorstellung zu Sinn und Zweck der baukulturellen Bildung und erlebten, wie baukulturelle Themen von den Schülerinnen und Schülern begeistert aufgenommen wurden. Ihr baukulturelles Verständnis bildete sich somit im Gespräch mit dem Projektteam sowie über ihre eigenen Beobachtungen. Sie konnten mitverfolgen, wie Schülerinnen und Schüler Zugang zu einer Thematik erhielten, die den Kindern bisher eher fremd schien. Kindergartenkinder verstehen den Begriff «Baukultur» gut, wenn ihnen die Wörter «bauen» und «Kultur» erklärt und mit Bildern visualisiert werden. Es war teilweise selbst für das Projektteam erstaunlich zu sehen, wie sehr sich auch kleine Kinder für baukulturelle Themen begeistern können.

      Ausbildung von Lehrpersonen sowie Forschung und Entwicklung

      Baukulturelle Bildung wird nur erfolgreich sein, wenn Lehrerinnen und Lehrer angemessen ausgebildet werden. Die Studie zum Bestand und Bedarf fordert deshalb Lehrpersonen, die «über das Wissen und die methodischen Fähigkeiten verfügen, baukulturelle Themen im Unterricht sach- und stufengerecht umzusetzen» (Archijeunes, 2019, S. 25). Dass sich Baukultur «bestens als Thema für die fachdidaktische Ausbildung» von Lehrerinnen und Lehrern eignet (ebd., S. 28), kann bestätigt werden.

      An der Pädagogischen Hochschule Schwyz beispielsweise werden baukulturelle Inhalte und fachdidaktische Bezüge in zwei Fachbereichen unterrichtet. Im Rahmen des NMG-Seminars «Raum und Zeit» wird die räumliche Veränderung im Zeitverlauf im 2. Semester sowie im Leistungsnachweis mit einem siedlungsgeschichtlichen Zugang bearbeitet. Baukulturelle Bildung wird auch im 6. Semester des Studiengangs Kindergarten-Unterstufe (KG und 1./2. Klasse) im Rahmen eines interdisziplinären Moduls BG/TTG entlang den acht in dieser Publikation vorgestellten baukulturellen Kompetenzfeldern vermittelt. Ergebnisse des Projekts Schuldetektive fliessen in die Lehre ein und werden mit den Studierenden in projektorientierten Arbeiten reflektiert und weiterentwickelt.

      Die Studie fordert im Bereich der baukulturellen Bildung Grundlagenforschung. Damit wird eine Schnittstelle von Erziehungswissenschaften, Architektur/Baukultur/Raum und Fachdidaktik thematisiert. Es sind zwar Forschungsergebnisse zu Raumwahrnehmung, Vorstellungsbildung, systematischem Denken in Bezug