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Projektbegleitende Auswertung

       4.3 Fragebogenerhebung und summative Auswertung

       4.4 Fazit

       5. SCHLUSSBETRACHTUNG

       ANHANG

       Kompetenzmatrix

       Glossar

       Quellenangabe zu den Architekturbildern

       Über das Projekt

       Die Autorinnen

       Textbeiträge

      DIE SCHULE DER WAHRNEHMUNG

      – EIN VORWORT | Roland Reichenbach

      Manchmal behaupte ich, ich würde mich für Architektur interessieren. Gelogen ist es zwar nicht, wenn ich dann aber mein baukulturelles Wissen so richtig ernsthaft in die Mangel nehme, muss ich zugeben, dass ich es in diesem Bereich nicht so weit gebracht habe, wie ich mir vielleicht vorgaukle. Immerhin kann ich beispielsweise Bauernhäuser des Berner Oberlands von solchen aus dem Emmental, Entlebuch, Jura, Wallis oder Graubünden unterscheiden – von aussen. «Holz oder Stein?» ist dazu schon eine hilfreiche Ausgangsfrage. Müsste ich aber sagen, was diese Häusertypen im Innenbereich unterscheidet, so ist leider nicht sicher, ob ich eine einzige zutreffende Aussage machen könnte. Bisher bin ich auch ohne diese spezifische Unterscheidungskompetenz durch das Leben gekommen. Was kümmert es mich also?

      Die gebaute Welt ist vergleichsweise beständig. Manche wohnen in Häusern, in denen schon Generationen zuvor Menschen gewohnt haben. Das sind die alten Häuser. Die Bewohnerinnen und Bewohner, selbst wenn sie das Haus besitzen, entwickeln vielleicht ein Gefühl dafür, dass sie in diesem Haus im Grunde nur vorübergehende Gäste sind; dem Anschein nach werden auch sie von diesem Gebäude überlebt werden. Solche Häuser mögen gefallen oder nicht, doch um sogenannte «Bausünden» handelt es sich höchstwahrscheinlich nicht. Schult man seinen Blick ein wenig, so entdeckt man erstaunlich viele kleine und grosse Bausünden. Doch baukulturelle Bildung, um die es in diesem Buch geht, will Kinder beziehungsweise Schülerinnen und Schüler in erster Linie für das ganze Spektrum der gebauten Umwelt sensibilisieren und sie in der Wahrnehmung ihrer Lebenswelt fördern. Baukulturelle Bildung ist Wahrnehmungsschulung. «Sehen kommt vor Sprechen. Kinder sehen und erkennen, bevor sie sprechen können» (Berger, 2016, S. 7), meinte John Berger. Doch die Welt wird von Beginn des Lebens an nicht nur gesehen, sondern auch gehört, gerochen, ertastet und geschmeckt. Dies trifft auf die natürliche, die soziale sowie die gebaute Umwelt zu. Die fünf Körpersinne ermöglichen nicht nur von Anbeginn einen Zugang zur Welt, sondern lassen uns uns auch als Leib selbst erleben. Doch die Metaphorik der Sprache verweist vielfältig auf die fundamentale Bedeutung aller fünf Sinne für unsere Weltbezüge; so ist manches nach unserem «Geschmack», manchmal sind wir unangenehm «berührt», auch wenn dies uns vielleicht zu bestimmten «Einsichten» verhilft, und mitunter müssen wir Personen «gehorchen», die wir nicht «riechen» können.

      Das griechische aísthēsis bedeutet bekanntlich «Wahrnehmung». Ein bedeutsamer Aspekt der menschlichen Entwicklung und Bildung ist Wahrnehmungsschulung, also letztlich ästhetische Bildung. Es geht darum, mehr, bewusster, anders und feiner beziehungsweise differenzierter wahrzunehmen. Hierzu ist Wissen nicht nur hilfreich, sondern notwendig. Wer mehr weiss, kann auch mehr wahrnehmen, das trifft auf die natürliche, die soziale und die gebaute Umwelt gleichermassen zu. Wer sich in Flora und Fauna ein wenig auskennt, erlebt auf einem Spaziergang durch den Wald sehr viel mehr, als wer nur Gräser von Bäumen und Vögel von Säugern unterscheiden kann. Wer über sich und die anderen viel nachgedacht hat, versteht sich und seine soziale Umwelt besser. Sein Erleben ist tiefer, breiter und nachhaltiger. Wer sich aber (auch) für die gebaute Umwelt, das heisst die menschliche Baukultur, zu interessieren vermag, der oder die erfährt nicht nur objektives Wissen über Häuser, Brücken oder Bollwerke, über Baustile und Baumaterialien, sondern erhält zunächst nur stillschweigend und dann zunehmend Einblicke in die conditio humana: Der Mensch ist als homo faber ein baukulturelles Wesen, er «baut» sich seine Umwelt, in der er wohnt, arbeitet, überhaupt die meiste Zeit seines Lebens verbringt. Baukultur, zuallererst in ihrer Erscheinungsform als Behausung, könnte als die «zweite Haut» des Menschen bezeichnet werden. Sie nicht nur in ignoranter Weise zu nutzen oder nur am Rande zur Kenntnis zu nehmen, sondern sie bewusst wahrzunehmen, verstehen und beurteilen zu können, das heisst, sich zu ihr in ein Verhältnis setzen zu können, ist ein bisher noch sehr vernachlässigtes Bildungsziel. Diese Form der Bildung fokussiert nicht auf Verfügungswissen, das heisst konkrete Handlungskompetenzen, mit denen Menschen nach Gusto in der Welt hantieren können, sondern auf Urteilskompetenzen und Orientierungswissen, die in der zeitgenössischen Bildungsdiskussion unterschätzt und wenig berücksichtigt sind. Menschen sind nicht nur «Handlungssubjekte», Kinder und Jugendliche wie auch Erwachsene müssen nicht nur Handlungskompetenzen erwerben, sondern die Welt, in der sie leben, verstehen, damit sie sich selbst verstehen, verorten können (Taylor, 1985).

      Baukulturelle Bildung bringt den Menschen in die Lage, sich zum hergestellten Lebensraum in leiblicher, emotionaler und geistiger Hinsicht zunehmend differenzierter in ein Verhältnis zu setzen. Die gebaute Umwelt wird somit als Ausdruck der mit Menschen geteilten Welt erfahrbar, dies nicht nur in ihren schönen, sondern, wie erwähnt, auch ihren hässlichen Seiten. In der gebauten Umwelt manifestieren sich technische, historische, soziale, politische, ethische und ästhetische Dimensionen, Errungenschaften, Möglichkeiten und Grenzen des menschlichen Zusammenlebens, wie sie sonst kaum in dieser Dichte zu erfahren sind. Daher hat sie für Bildungsprozesse ein so grosses, aber wenig genutztes Potenzial. Die hergestellte Welt, die Gegenstände, Gebilde und Gebäude verleihen der Welt eine Dauerhaftigkeit und Beständigkeit, ohne die sich – so Hannah Arendt – «das sterblich-unbeständige Wesen der Menschen auf der Erde nicht einzurichten wüsste; sie sind die eigentlich menschliche Heimat des Menschen» (Arendt, 1996, S. 161). Bildungstheoretisch betrachtet hat der Bildungsprozess zentral mit Eindrucksbildung und Ausdrucksbildung zu tun (Gauchet, 1985). Der Mensch lässt sich prägen, das heisst beeindrucken, seinen Eindrücken will oder muss er dann – auf die eine oder andere Art – wiederum Ausdruck verleihen. Ohne Eindruck keinen Ausdruck, könnte man sagen. Daher stellt die Eindrucksfähigkeit des Menschen die Basis aller Bildung dar.

      Baukulturelle Bildung kann sich im weitesten Sinne an Dimensionen ästhetischer Bildung orientieren. Die Auflistung von Kriterien oder Dimensionen hat häufig einen analytischen Sinn, tatsächlich handelt es sich aber nur um unterschiedlich akzentuierte Perspektiven auf das Amalgam eines ästhetischen Artefakts. Denn letztlich bildet jedes baukulturelle Erzeugnis – vom Innenraum einer Wohnung bis zum Strassennetz einer Grossstadt – eine phänomenale Ganzheit, die es zunächst weniger zu analysieren («in seine Momente zu zerlegen»), als vielmehr zu beschreiben und «verstehen» gilt. Dennoch ist es bedeutsam, Kriterien und Dimensionen zu diskutieren, die sich auf das Konzept der baukulturellen Allgemeinbildung beziehen. Dazu gehören die Dimensionen (1) Wahrnehmung, das heisst die Erweiterung und Differenzierung der Wahrnehmung baukultureller Phänomene, (2) Funktionalität, das heisst das Verständnis für die Bedeutung und Kriterien der Funktionen von baukulturellen Erzeugnissen, (3) Materialität, womit das Verständnis und der Zugang zu der Vielfalt der Baumaterialien und ihrer Bearbeitungsmöglichkeiten gemeint ist, (4) Gemeinsinn und Kommunikation, dabei unter anderem die Schärfung des Sinns für «Geschmacksgemeinschaften» und deren Grenzen, und (5) Imagination und Kreation, die auf die Förderung und Erweiterung der Möglichkeiten und Neuschöpfung geistiger und sinnlicher Produktion zielen, etwa in Form von Ideen, Entwürfen, Fragen an konkrete Umsetzungsmöglichkeiten. Diese – miteinander verschränkten – Dimensionen dienen nicht nur dem besseren Verständnis einschlägiger Urteils- und Artikulationskompetenzen in baukultureller Hinsicht, sondern sie bilden zugleich den Gegenstand, an dem sie aktualisiert und entwickelt werden können. So kann ein Gebäude – eine Fabrik, ein Kuhstall, ein Einfamilienhaus – in Bezug auf seine Herstellungsweise