„Das Genie einer Sprache iſt in ihrer Ju„gend nicht weiter beſtimmt, als durch die Bil„dung der Worte, ihre Abaͤnderungen und ih„re Reihen in einer gewiſſen Abhaͤngigkeit. „Zu dem erſten Stuͤcke laͤßt ſich vermittelſt „der Analogie, vieles dazu ſezzen: das an„dre Stuͤck bleibt wohl meiſt unwandelbar, „aber der verſchiedene Gebrauch kann noch „beſtimmt werden: und das dritte Stuͤck be„haͤlt zwar ſeine weſentlichen Zuͤge; aber die „feinern Zuͤge koͤnnen noch hinzu gethan und „veraͤndert werden, ohne daß das Geſicht zu „einem andern Geſicht wird, als es urſpruͤng„lich war. — Ohne Verſuche, die mit dieſer „Abſicht verknuͤpft ſind, kann keine rohe Spra„che vollkommen, kann kein Proſaiſte in der„ſelben vollkommen werden. Eine ausgear„beitete Sprache druͤckt ſchon die Namen der „Begriffe aus, erhaͤlt Nachdruck und Reuig„keit durch die mannichfaltige Anordnung der „Vorſtellungen; Deutlichkeit und Genauigkeit „durch die Verſchiedenheit ihrer Beugungen; „Kurze und Ernſt durch gut bezeichnete Ver„bindungen. Man gebe einem rohen Genie „eine ganz rohe Sprache: es wird nichts „vortrefliches hervorbringen koͤnnen, als das „Drama, und zwar dieſes nur in ſeinen be„ſten Theilen. Zum Ausdruck der Leiden„ſchaften, zu lebhaften Bildern ſind alle Spra„chen in den Haͤnden eines Geniesreich. Aber „der kaͤltere zierliche Vortrag; der ernſthafte „hiſtoriſche Styl; die gute Verſifikation in „der Dichtkunſt, dieſe erfordern eine ganz be„arbeitete Sprache. Daher erſcheinen auch „die beſten Schriftſteller von den lezten Ar„ten nicht vor dieſer Periode, und wenn ſie „in ihrer Landesſprache erſcheinen: ſo haben „ſie dieſelbe erſt nach dem Muſter einer an„dern gefeilet. Die Roͤmer und Shakeſpea„re und ſelbſt die griechiſche Litteratur, wenn „wir vor Homers Zeiten etwas gewiſſers als „Muthmaßungen von ihr wuͤſten; koͤnnen ſich „in dieſem Punkte fuͤr mich verbuͤrgen.„
Wie fern ich mit dem Verfaſſer einerlei Meinung bin, mag folgendes Fragment zeugen.
Von den Lebensaltern einer Sprache.
So wie der Menſch auf verſchiedenen Stuffen des Alters erſcheinet: ſo veraͤndert die Zeit alles. Das ganze Menſchengeſchlecht, ja die todte Welt ſelbſt, jede Nation, und jede Familie haben einerlei Geſezze der Veraͤnderung: vom Schlechten zum Guten, vom Guten zum Vortreflichen, vom Vortreflichen zum Schlechtern, und zum Schlechten: dieſes iſt der Kreislauf aller Dinge. So iſts mit jeder Kunſt und Wiſſenſchaft: ſie keimt, traͤgt Knoſpen, bluͤht auf, und verbluͤhet. — So iſts auch mit der Sprache. Daß man dies bisher ſo wenig als moͤglich unterſchieden, daß man dieſe Zeitalter beſtaͤndig verwirret, werden die Plane zeigen, die man ſo oft macht, um eine Stuffe aus der andern ausbilden zu wollen: man reifet das Kind zu fruͤh zum Milchhaar des Juͤnglings; den muntern Juͤngling feſſelt man durch den Ernſt des Mannes, und der Greis ſoll wieder in ſeine vorige Kindheit zuruͤckkehren; oder gar eine Sprache ſoll auf einmal die Tugenden aller Alter an ſich haben. Verkehrte Verſuche, die ſchaͤdlich wuͤrden, wenn nicht die Natur mit vielen nachtheiligen Entwuͤrfen einen Grad von Schwaͤche verbunden haͤtte, der ſie zuruͤckhaͤlt. Ein junger Greis, und ein Knabe, der ein Mann iſt, ſind unleidlich, und ein Ungeheuer, das alles auf einmal ſeyn will, iſt nichts ganz.
Eine Sprache in ihrer Kindheit bricht wie ein Kind, einſylbichte, rauhe und hohe Toͤne hervor. Eine Nation in ihrem erſten wilden Urſprunge ſtarret, wie ein Kind, alle Gegenſtaͤnde an; Schrecken, Furcht und alsdenn Bewunderung ſind die Empfindungen, derer beide allein faͤhig ſind, und die Sprache dieſer Empfindungen ſind Toͤne, — und Geberden. Zu den Toͤnen ſind ihre Werkzeuge noch ungebraucht: folglich ſind jene hoch und maͤchtig an Accenten; Toͤne und Geberden ſind Zeichen von Leidenſchaften und Empfindungen, folglich ſind ſie heftig und ſtark: ihre Sprache ſpricht fuͤr Auge und Ohr, fuͤr Sinne und Leidenſchaften: ſie ſind groͤßerer Leidenſchaften faͤhig, weil ihre Lebensart voll Gefahr und Tod und Wildheit iſt: ſie verſtehen alſo auch die Sprache des Affects mehr, als wir, die wir dies Zeitalter nur aus ſpaͤtern Berichten und Schluͤſſen kennen; denn ſo wenig wir aus unſrer erſten Kindheit Nachricht durch Erinnerung haben, ſo wenig ſind Nachrichten aus dieſer Zeit der Sprache moͤglich, da man noch nicht ſprach, ſondern toͤnete; da man noch wenig dachte, aber deſto mehr fuͤhlte; und alſo nichts weniger als ſchrieb.
So wie ſich das Kind oder die Nation aͤnderte: ſo mit ihr die Sprache. Entſezzen, Furcht und Verwunderung verſchwand allmaͤlich, da man die Gegenſtaͤnde mehr kennen lernte; man ward mit ihnen vertraut und gab ihnen Namen, Namen, die von der Natur abgezogen waren, und ihr ſo viel moͤglich im Toͤnen nachahmten. Bei den Gegenſtaͤnden fuͤrs Auge muſte die Geberdung noch ſehr zu Huͤlfe kommen, um ſich verſtaͤndlich zu machen: und ihr ganzes Woͤrterbuch war noch ſinnlich. Jhre Sprachwerkzeuge wurden biegſamer, und die Accente weniger ſchreyend. Man ſang alſo, wie viele Voͤlker es noch thun und wie es die alten Geſchichtſchreiber durchgehends von ihren Vorfahren behaupten. Man pantomimiſirte, und nahm Koͤrper und Geberden zu Huͤlfe: damals war die Sprache in ihren Verbindungen noch ſehr ungeordnet und unregelmaͤßig in ihren Formen.
Das Kind erhob ſich zum Juͤnglinge: die Wildheit ſenkte ſich zur politiſchen Ruhe: die Lebensund Denkart legte ihr rauſchendes Feuer ab: der Geſang der Sprache floß lieblich von der Zunge herunter, wie dem Neſtor des Homers, und ſaͤuſelte in die Ohren. Man nahm Begriffe, die nicht ſinnlich waren, in die Sprache; man nannte ſie aber, wie von ſelbſt zu vermuthen iſt, mit bekannten ſinnlichen Namen; daher muͤſſen die erſten Sprachen bildervoll, und reich an Metaphern geweſen ſeyn.
Und dieſes jugendliche Sprachalter, war blos das Poetiſche: man ſang im gemeinen Leben, und der Dichter erhoͤhete nur ſeine Accente in einem fuͤr das Ohr gewaͤhlten Rhythmus: die Sprache war ſinnlich, und reich an kuͤhnen Bildern: ſie war noch ein Ausdruck der Leidenſchaft, ſie war noch in den Verbindungen ungefeſſelt: der Periode fiel aus einander, wie er wollte — Seht! das iſt die Poetiſche Sprache, der Poetiſche Periode. Die beſte Bluͤthe der Jugend in der Sprache war die Zeit der Dichter: jezt ſangen die αοιδοι und ραψωδοι: da es noch keine Schriftſteller gab, ſo verewigten ſie die merkwuͤrdigſten Thaten durch Lieder: durch Geſaͤnge lehrten ſie, und in den Geſaͤngen waren nach der damaligen Zeit der Welt Schlachten und Siege, Fabeln und Sittenſpruͤche, Geſezze und Mythologie enthalten. Daß dies bei den Griechen ſo geweſen, beweiſen die Buͤchertitel der aͤlteſten verlohrnen Schriftſteller, und daß es bei jedem Volk ſo geweſen, zeugen die aͤlteſten Nachrichten.
Je aͤlter der Juͤngling wird, je mehr ernſte Weisheit und politiſche Geſeztheit ſeinen Carakter bildet: je mehr wird er maͤnnlich, und hoͤrt auf Juͤngling zu ſeyn. Eine Sprache, in ihrem maͤnnlichen Alter, iſt nicht eigentlich mehr Poeſie; ſondern die ſchoͤne Proſe. Jede hohe Stuffe neiget ſich wieder zum Abfall, und wenn wir einen Zeitpunkt in der Sprache fuͤr den am meiſten poetiſchen annehmen: ſo muß nach demſelben die Dichtkunſt ſich wieder neigen. Je mehr ſie Kunſt wird, je mehr entfernet ſie ſich von der Natur. Je eingezogener und politiſcher die Sitten werden, je weniger die Leidenſchaften in der Welt wirken, deſto mehr verlieret ſie an Gegenſtaͤnden. Je mehr man am Perioden kuͤnſtelt, je mehr die Jnverſionen abſchaffet, je mehr buͤrgerliche und abſtrakte Woͤrter eingefuͤhret werden, je mehr Regeln eine Sprache erhaͤlt: deſto vollkommener wird ſie zwar, aber deſto mehr verliert die wahre Poeſie.
Jezt ward der Periode der Proſe geboren, und in die Runde gedrehet: durch Uebung und Bemerkung ward dieſe Zeit, da ſie am beſten war, das Alter der ſchoͤnen Proſe, die den Reichthum ihrer Jugend maͤßig brauchte, die den Eigenſinn der Jdiotismen einſchraͤnkte, ohne ihn ganz abzuſchaffen, die die Freiheit der Jnverſionen