3.
Endlich kann ich Othem ſchoͤpfen, und unſrer Sprache naͤher treten. Man ſiehet von ſelbſt, daß dieſe Zeitalter ſo wenig zu einer Zeit ſeyn koͤnnen bei der Sprache, als bei dem Menſchen. Wenn ſie zur Poeſie am hoͤchſten geſchickt iſt: ſo kann ſie nicht eine hoͤchſt Philoſophiſche Sprache ſeyn. So wie Schoͤnheit und Vollkommenheit nicht einerlei iſt: ſo iſt auch die ſchoͤnſte und vollkommenſte Sprache nicht zu einer Zeit moͤglich; die mitlere Groͤße, die ſchoͤne Proſe, iſt unſtreitig der beſte Plaz, weil man von da aus auf beide Seiten auslenken kann.
Hier zeigt ſich alſo der Lieblingsgedanke ſo vieler neuen Sprachverbeſſerer in ſeinem falſchen Licht: „ſo lange eine Sprache die Mundart des ſinnlichen Volks war: ſo blieb ſie eingeſchloſſen und unvollkommen; das Denken, Philoſophiren, die ſchoͤnen Kuͤnſte und Wiſſenſchaften brachten ſie zur Vollkommenheit.7„ Ja zur Philoſophiſchen Vollkommenheit wohl; aber zum Ungluͤck daß die ſchoͤnen Wiſſenſchaften ein andres Hoͤchſtes haben: Schoͤnheit — und dieſer wurde durch jene entzogen.
So loͤſet ſich auch der Zweifel eines ſprachgelehrten Mannes hiemit leicht auf:8 „Jch „weiß nicht, ob es wahr iſt, was man in „vielen Buͤchern wiederholet hat, daß bei al„len Nationen, die ſich durch die ſchoͤnen „Wiſſenſchaften hervorgethan haben, die Poe„ſie eher, als die Proſe zu einer gewiſſen „Hoͤhe geſtiegen ſey?„ Es iſt allerdings wahr, was alle alte Schriftſteller einmuͤthig behaupten, und was in den neuen Buͤchern wenig angewandt iſt, daß die Poeſie, lange vorher, ehe es Proſe gab, zu ihrer groͤſten Hoͤhe geſtiegen ſey, daß dieſe Proſe darauf die Dichtkunſt verdrungen, und dieſe nie wieder ihre vorige Hoͤhe erreichen koͤnnen. Die erſten Schriftſteller jeder Nation ſind Dichter: die erſten Dichter unnachahmlich: zur Zeit der ſchoͤnen Proſe wuchs in Gedichten nichts als die Kunſt: ſie hatte ſich ſchon uͤber die Erde erhoben und ſuchte ein Hoͤchſtes, bis ſie ihre Kraͤfte erſchoͤpfte und im Aether der Spitzfuͤndigkeit blieb. Jn der ſpaͤtern Zeit hat man blos' verſificirte Philoſophie, oder mittelmaͤßige Poeſie. Ueberhaupt bekommt hierdurch die ganze ſchoͤne Abhandlung: wie man den Poetiſchen Stil uͤber den Proſaiſchen erheben koͤnne?9 durchaus eine andere Wendung. Sein Grundſaz iſt: „Keine „Nation iſt weder in der Poeſie noch in der „Proſe vortreflich geworden, die ihre Poetiſche „Sprache nicht ſehr merklich von der Proſaiſchen unterſchieden haͤtte.„ Und nach den Zeugniſſen der Alten, und nach einer Philoſophiſchen Kaͤnntniß von der Verwandlung einer Sprache nach den Sitten heißt er ſo: Jede Nation lieferte die vortreflichſte Meiſterſtuͤcke der Poeſie, ehe ſich noch die Proſe von jener getrennet und zu ihrer Runde ausgebildet hatte. Da die Sprache aus der Wildheit zur Politiſchen Ruhe trat, war ſie merklich von der Proſaiſchen unterſchieden: die ſtaͤrkſten Machtwoͤrter, die reichſte Fruchtbarkeit, kuͤhne Jnverſionen, einfache Partickeln, der klingendſte Rhythmus, die ſtaͤrkſte Declamation — alles belebte ſie, um ihr einen ſinnlichen Nachdruck zu geben, um ſie zur Poetiſchen zu erheben. Aber da die Proſe aufkam, die zuerſt, wie Herodot, auch noch ihren Perioden, ohne Schwung und Fuͤlle zerfallen ließ da ſie ſich mehr zur Vollkommenheit bildete, entfernte ſie ſich von der ſinnlichen Schoͤnheit. Der Deutlichkeit wegen wurden die Machtwoͤrter umſchrieben, die Synonyme ausgeſucht, beſtimmt, ausgemuſtert, die Jdiotismen gemildert: ſo wie das Voͤlkerrecht jezt im Staat zum Geſezz ward: ſo auch in der Sprache: man bildete eine Sprache nach der andern, mit der ſie umgieng. Es entſtand ein Adel, ein Poͤbel und ein Mittelſtand unter den Woͤrtern, wie er in der Geſellſchaft entſtand: die Beiwoͤrter wurden in der Proſe Gleichniſſe, die Gleichniſſe Exempel: ſtatt der Sprache der Leidenſchaft ward ſie eine Sprache des mittlern Wizzes: und endlich des Verſtandes. So iſt Poeſie und Proſe in ihrem Urſprunge unterſchieden.
Noch zehn Autoren haͤtte ich anzufuͤhren, die dieſe ganz natuͤrliche Metempſychoſis der Sprachen, uͤberall verfehlt, und nicht gnug aus ihrem Laude in eine andere Zeit zuruͤck zu gehen wiſſen, um von entfernten Altern und abgelebten Sprachen zu urtheilen. Allein alles dies gehoͤret nicht zu meinem Buch: hier kann ich doch nicht, wie ich ſelbſt weiß, dieſe ganze Wahrheit in ihrem voͤlligen Lichte zeigen, mit aller Aehnlichkeit zuſammenhalten und gegen die Einwuͤrfe retten, die man uns unſrer Zeit macht. — Jch rede alſo von den Zeitaltern der Deutſchen Sprache, und verſpare das uͤbrige auf eine andere Gelegenheit.
4.
Wo ſteht unſre Deutſche Sprache? Jn allen Staaten iſt zu unſrer Zeit die Proſe die Sprache der Schriftſteller, und die Poeſie eine Kunſt, die die Natur der Sprache verſchoͤnert, um zu gefallen. Gegen die Alten und gegen die wilden Sprachen zu rechnen, ſind die Mundarten Europens mehr fuͤr die Ueberlegung, als fuͤr die Sinne und die Einbildungskraft.
Die Proſe iſt uns die einzig natuͤrliche Sprache, und das ſeit undenklichen Zeiten geweſen — nun ſollen wir dieſe Sprache ausbilden? Wie kann das ſeyn? Entweder zur mehr dichteriſchen Sprache, damit der Stil vielſeitig, ſchoͤn und lebhafter werde; oder zur mehr Philoſophiſchen Sprache, damit er einſeitig, richtig und deutlich werde; oder wenn es moͤglich iſt, zu allen beiden.
Das lezte kann in einem gewiſſen Grade geſchehen; und muß nach unſrer Zeit, Denkart und Nothwendigkeit auch geſchehen. Alsdenn werden wir zwar von beiden Seiten nicht die hoͤchſte Stuffe erreichen, weil beide Enden nicht einen Punkt ausmachen koͤnnen; allein wir werden in der Mitte ſchweben, und von den ſinnlichen Sprachen durch Ueberſezzungen und Nachbilden borgen; anderntheils durch Reflexionen der Weltweisheit das geborgte haushaͤlteriſch anwenden. Wir werden fuͤr neue Buͤrger Vortheile ausmachen; und nicht dem Spartaniſchen Eigenſinn nachahmen, der allen fremden Ankoͤmmlingen und Gebraͤuchen den Eintritt verſagt; wir werden aber auch, ſo wie die Akademie della Cruſca, und Johnſon in ſeinem Woͤrterbuch, die Landeskinder zaͤhlen, ordnen und gebrauchen, ſo daß die fremde Kolonien blos die Maͤngel des Staats unterſtuͤzzen doͤrfen. — Man bilde alſo unſre Sprache durch Ueberſezzung und Reflexion.
Man ſehe die meiſten Vorſchlaͤge zur Bildung der Sprache, und ſie fallen in ein Aeuſſerſtes, ſtatt das Mittel zu halten. Einige entwerfen einen Plan zur Philoſophiſchen Sprache; andere wollen ſie allein auf die dichteriſche Seite lenken. Daß, wenn beide etwas wirken, beide einander die Stange halten, macht das Gluͤck unſrer Sprachenverbeſſerung.
5.
Unter ſo vielen Philoſophiſchen Sprachverbeſſerern nehme ich einen, deſſen Lob ich in den Litteraturbriefen gern unterzeichne: Sulzer, in ſeinem beliebten Jnbegriff der Wiſſenſchaften, 10 in dem vielleicht kein Artikel aͤrmer iſt, als der uͤber die Sprache. Er fordert zur Vollkommenheit einer Sprache
„1) einen hinlaͤnglichen Vorrath