„2) Eine gnugſame Anzahl deutlicher Len„kungen,„ und
„3) eine Biegſamkeit in der Zuſammenſez„zung vieler Woͤrter in einen Sazz, damit „ein ganzer Gedanke richtig, beſtimmt und „nach Beſchaffenheit der Sache leicht und nach„druͤcklich ausgedruckt werde.„ Hier ſteigt ſchon der Weltweiſe etwas herunter, weil er ſieht, daß ſeine Sprache von Menſchenkindern geredet werden ſoll. Wenn der Weiſe ſich ganz genau, ganz richtig und beſtimmt ausdrucken will: ſo braucht er keinen biegſamen, keinen leichten, keinen nachdruͤcklichen Perioden; die Richtigkeit iſt ſteif, die Gruͤndlichkeit veſt, und die Ueberzeugung ſtatt des Nachdrucks.
„4) Eine hinlaͤngliche Mannigfaltigkeit „langer und kurzer, hoher und tiefer, heller „und dunkler Sylben, und der daher entſte„henden Fuͤße, Perioden und Versarten.„ Eine vollkommene Sprache braucht dieſe gar nicht. Wenn wir blos als Geiſter einander Begriffe in die Seele reden: ſo fragen wir nicht nach hohen und tiefen Sylben: ſo wenig als in den Buͤchern, wo dieſe Philoſophiſche Sprache allein gelten kann, die helle und dunkle Sylben ins Auge fallen.
Auf die Art gehe man das ganze Stuͤck von der Sprache durch, und man findet in allen Vorſchlaͤgen den nehmlichen Fehler, daß er dem Schoͤnen der Sprache immer zu nahe tritt. Ja waͤren wir ganz Geiſt: ſo ſpraͤchen wir blos Begriffe, und Richtigkeit waͤre das einzige Augenmerk; aber in einer ſinnlichen Sprache muͤſſen uneigentliche Woͤrter, Synonymen, Jnverſionen, Jdiotismen ſeyn. Sein Plan, der Philoſophiſch ſeyn ſoll, iſt alſo ein Hermaphrodit: die Philoſophiſche Vollkommenheit erreicht er nicht, und der ſinnlichen Schoͤnheit thut er zu viel: als Plan, was eine vollkommene Sprache ſeyn ſollte, zu wenig; als Projekt, was irgend eine wirkliche Sprache ſeyn koͤnnte, viel zu viel: und was die beſte Sprache waͤre, vielleicht nicht getroffen.
Der Kunſtrichter in den Litteraturbriefen 11 ſtoͤßt auch auf dieſen Fehler. Sulzer ſagt: „Es waͤre nuͤtzlich, wenn man eine allgemeine Philoſophiſche Grammatik haͤtte, „welche Regeln gaͤbe, nach denen die Vollkom„menheit einer Sprache beurtheilt werden „muͤßte; mit dieſen Regeln koͤnnten die, durch „den Gebrauch eingefuͤhrten verglichen, und „daraus gebeſſert, und vermehrt werden.„ Und der Recenſent ſezt dazu: „Jch weiß nicht, „ob die ſchoͤuen Wiſſenſchaften von dieſer Ver„gleichung Vortheil haben wuͤrden. So wie „die Sprachen jetzt ſind, hat eine jede, ſo zu „ſagen, ihre Eigenſinnigkeit, die der ſchoͤne „Geiſt vortreflich zu nutzen weiß. Er zieht „aus dem Ueberfluͤßigen und Unregelmaͤßigen „ſeiner Sprache oͤfters Schoͤnheiten, die eine „richtige Philoſophiſche Sprache entbehren „muß. Nur ein einziges Exempel anzufuͤh„ren: die Philoſophiſche Grammatik wuͤrde „vermuthlich die Unterſcheidung der Geſchlech„ter bei lebloſen Dingen fuͤr uͤberfluͤßig er„klaͤren, und gleichwohl wuͤrden ſich die Fran„zoͤſiſchen und Deutſchen Dichter die Schoͤn„heiten ungern rauben laſſen, die ſie aus die„ſem unnoͤthigen Unterſcheide der Geſchlechter „gezogen haben. Einige Sprachen unter„ſcheiden die Geſchlechter auch in der Conjugation der Zeitwoͤrter, welches ihren Schrif„ten zu einer beſondern Zierde gereicht 12.„ Eine Anmerkung, die man oft in dieſem Fragment wird wiederholen muͤſſen.
6.
Ueberhaupt wuͤrde dieſer weiſe Vorſchlag, ſo wie jener andre 13: „es ſollte keiner Schrift„ſteller werden, der nicht die Alten geleſen„ uns alle Originalſchriftſteller rauben. Jdiotismen ſind Patronymiſche Schoͤnheiten, und gleichen jenen heiligen Oelbaͤumen, die riugs um die Akademie bei Athen ihrer Schuzgoͤttin Minerve geweiht waren. Jhre Frucht dorfte nicht aus Attica kommen, und war blos der Lohn der Sieger am Panathenaͤiſchen Feſte. Ja da die Lacedaͤmonier einſt alles verwuͤſteten: ſo ließ die Goͤttin es nicht zu, daß dieſe fremde Barbaren ihre Haͤnde an dieſen heiligen Hain legten. Eben ſo ſind die Jdiotismen Schoͤnheiten, die uns kein Nachbar durch eine Ueberſezzung entwenden kann, und die der Schuzgoͤttin der Sprache heilig ſind: Schoͤnheiten in das Genie der Sprache eingewebt, die man zerſtoͤrt, wenn man ſie austrennet: Reize, die durch die Sprache, wie der Buſen der Phryne durch einen ſeidnen Nebel, durch das Waſſergewand der alten Statuen, das ſich an die Haut anſchmieget, durchſchimmern. Wober lieben die Britten ſo ſehr das Launiſche in ihrer Schreibart? Weil dieſe Laune unuͤberſezzbar und ein heiliger Jdiotisme iſt. Warum haben Shakeſpear und Hudibras: Swift und Fielding ſich ſo ſehr das Gefuͤhl ihrer Nation zu eigen gemacht? Weil ſie die Fundgruben ihrer Sprache durchforſchet, und ihren Humour mit Jdiotismen, jeden nach ſeiner Art und ſeinem Maas, gepaart haben. Warum vertheidigen die Englaͤnder ihren Shakeſpear, ſelbſt, wenn er ſich unter die Concetti, und Wortſpiele verirrt — Eben dieſe Concetti, die er mit Wortſpielen vermaͤhlt, ſind Fruͤchte, die nicht in ein anderes Clima entfuͤhrt werden koͤnnen: Der Dichter wuſte den Eigenſinn der Sprache ſo mit dem Eigenſinn ſeines Wizzes zu paaren, daß ſie fuͤr einander gemacht zu ſeyn ſcheinen: hoͤchſtens gleicht jener dem ſanften Widerſtande einer Schoͤne, die blos aus Liebe ſproͤde thut, und bei der ihre jungfraͤuliche Beſcheidenheit doppelt reizet.
Es muß auch wirklich ſchwer ſeyn, zu dieſen Geheimniſſen zu gelangen; weil wir ſo wenige Deutſche Humoriſten haben. Rabner iſt kein voͤlliger National Swift in Deutſchland ſo wohl in Charakteren, als der Schreibart. Von unſern komiſchen Schriftſtellern vielleicht keiner, als Leßing — dieſer aber in einem großen Grade. Keine Parthei hat auch in dieſem Stuͤck, dem wahren Genie der Deutſchen Sprache ſo ſehr geſchadet, als die Gottſchedianer. Waren es nicht noch einige Schimpfwoͤrter, und poͤbelhafte Ausdruͤcke, die man beibehielt: ſonſt wurde alles waͤſſerich, und eben, durch eine gedankenloſe Schreibart, und durch ſchlechte Ueberſezzungen Franzoͤſiſcher Buͤcher. Man entmannete ſie voͤllig, die ſchon durch den Weiſiſchen, Talandriſchen, und Menantiſchen Stil wenig Mannheit behalten hatte: man machte ſo wohl die Jnverſionen, als Jdiotismen der Schweizer laͤcherlich, ſtatt ſie zu pruͤfen: Kurz, dieſe Sekte hat ſich der Deutſchen Sprache mit Willen der irrdiſchen, nicht aber himmliſchen Muſe angenommen, und von ihr gilts, was jener Griechiſche Koͤnig auf einen ſchwindſuͤchtigen und doch gefraͤßigen Bettler ſagte:
Αμφοτερους αδικεις, τον Πλουτεα, και Φαεϑοντα;
Τον μεν, ετ’ εισοροων, τον δε απολειπομενος.
„Beiden thuſt du Unrecht, dem Pluto, und „Phaeton; dieſem, daß du ihn noch anblickſt; „jenem, daß er dich noch nicht hat.„
Man muß den Schweizern wirklich das Recht laſſen, daß ſie den Kern der Deutſchen Sprache mehr unter ſich erhalten haben. So wie uͤberhaupt in ihrem Lande ſich die alten Moden und Gebraͤuche laͤnger erhalten, da ſie durch die Alpen, und den Helvetiſchen Nationalſtolz von den Fremden getrennet ſind: ſo iſt ihre Sprache auch der alten Deutſchen Einfalt treuer geblieben. Sie haben unſtreitig manches uͤbertrieben; das uͤbertriebene wird freilich durch den Harlekin am beſten ausgedruckt; und ausgelacht hat man ſie zur Gnuͤge; aber ihr Gutes iſt noch zu wenig gepruͤft. Die Gottſchedianer haben ihre Machtwoͤrter, ihre Jnverſionen ſo ziemlich in ihren Pasquillen geſammlet; jetzt iſt die Hitze des Streits verflogen, nun ſollte man nicht mehr lachen, ſondern pruͤfen. Haͤtte der patriarchiſche Bodmer auch kein andres Verdienſt — wie hoch hat man Ramlern und Leßingen ihren Logau angerechnet; — und aus den alten Schwaͤbiſchen Poeſien iſt doch, meinem Erachten nach, wenigſtens in der Sprache weit mehr zu lernen, als aus Logau. Nur freilich ſollten die Schweizer auch mehr Muͤhe ſich dabei gegeben haben, die Jdiotismen zu zeigen, zu pruͤfen, und kritiſch einzufuͤhren. Wenn ſie auch dieſe Woͤrter verſtehen; wer Deutſches in