Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Johann Gottfried Herder
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066398903
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keuschen Frauen.

      Ardinghellon war ein ander Los beschieden, eine andre Glückseligkeit, von mancherlei Stürmen und Gefahren durchwütet.

      Mazzuolo brachte mit einem starken Trupp Florentinern Emilien noch in seine Arme, und er schien für jetzt Mahomed im Paradiese bei lebendigem Leibe.

      Demetri ward zum Hohenpriester der Natur von allen einmütig erwählt. Ardinghello zum Priester der Sonne und der Gestirne, Diagoras zum Priester des Meers. Fiordimona zur Priesterin der Erde und Cäcilia zur Priesterin der Luft. Coimbra und ich pflegten und warteten das Labyrinth.

      Demetri und Ardinghello und Fiordimona setzten Gesänge auf aus dem Moses, Hiob, den Psalmen, dem Hohenlied und dem göttlichen Prediger; und aus dem Homer, dem Plato und den Chören der tragischen Dichter und ihrer eignen Begeisterung im Italienischen für sich und die andern Priester und Priesterinnen und die Gemeinde, und erfanden heilige Gewänder in echter alter ionischer Grazie und Schönheit. Und die Feierlichkeiten ergriffen bei dem Reize für Aug und Ohr noch mit den starken Bildern aus wirklicher Natur den ganzen Menschen, daß alle Nerven harmonisch dröhnten wie Saiten, von Meistern gespielt, auf wohlklingenden Instrumenten. Alles leere Pöbelblendwerk ward verworfen, und wir wandelten in lauter Leben.

      Darauf richteten wir unsre Staatsverfassung ein nach Rom und Griechenland und studierten fleißig dabei die Republik des Lykurg, des Plato, die Politik des Aristoteles, und den Fürsten vom Machiavell, um uns vor diesem zu bewahren. Platons doppelten Bürgerstand, wo die eine Klasse die Ehrenstellen haben und die andre den Ackerbau treiben soll, vermieden wir weislich, behielten aber die Gemeinschaft der Güter gegen den Aristoteles. Der Haufen Übel, den wir dadurch verbannten, war allzu groß, und der scharfsinnige Prüfer aller zu seiner Zeit bekannten Republiken schien uns hierin die Vorurteile der Erziehung nicht genug abgelegt zu haben. Inzwischen fand noch immer Eigentum statt, nämlich öffentliche Belohnungen; und jedem blieb, was er mit sich brachte, bis ans Ende seiner Tage.

      Ferner waren die Weiber nach dem erhabnen Schüler des Sokrates, jedoch auch nur gewissermaßen, gemeinschaftlich, und so die Männer; das ist: jedes hatte völlige Freiheit seiner Person, und alle Gewalttätigkeit wurde hart bestraft. Für gute Ordnung war dabei wohl gesorgt; Männer und Weiber wohnten voneinander abgesondert. Den Weibern und Kindern überließen wir ganz Naxos, die schönste Perle aller Inseln, von den Alten schon wegen ihrer Fruchtbarkeit und Lieblichkeit das kleine Sizilien genannt. Ihr Wein und ihre Früchte haben an Köstlichkeit ihresgleichen nicht auf dem weiten Erdboden. Schade nur, daß sich jener nicht verführen, nicht einmal auf die See bringen läßt, ohne sogleich zu verderben. Wahrer Nektar, dem Himmel unentwendbar! Alles schien für uns, von der Natur selbst, schon vorherbereitet. Naxos hatte keinen Hafen für Schiffe, nur die Barken der Verliebten können anländen: hingegen Paros deren fünf, rundum einen immer schöner als den andern.

      Für die Jugend, bevor sie mannbar ward, hatte man noch andre Einrichtungen getroffen.

      Auch die Weiber hatten Stimmen bei den allgemeinen Geschäften und wurden nicht als bloße Sklavinnen behandelt, doch nur zehn Prozent in Vergleich mit den Männern. Fiordimona, die unbegreiflich allein – wer kann des Menschen Charakter fassen? – dem Ardinghello treu blieb, hatte dies durchgesetzt, wie noch andres Amazonenhafte für ihr Geschlecht; daß sie zum Beispiel auch Schiffe ausrüsteten und auf Streifereien ausliefen. Sie waren Mitglieder vom Staate, obgleich die schwächern; und ihnen blieb das Recht, gut- oder nicht gutzuheißen, besonders was sie selbst betraf. Übrigens war immer der Hauptunterschied, daß die Männer erwarben und sie bewahrten.

      So schwang die Liebe in allerhöchster Freiheit ihre Flügel; jedes beeiferte sich, schön und liebenswürdig zu sein, und konnte sich weder auf Geld und Gut noch Pflicht und Schuldigkeit verlassen. Was die Bevölkerung betraf, wollten wir uns in der Folge nach dem Spartaner richten, von welchem die erstaunte Priesterin zu Delphi nicht wußte, ob sie ihn als Sterblichen oder Gott begrüßen sollte; die Kinder gehörten dem Staate, und der Tod dünkte uns bei weitem nicht das größte Übel.

      Kurz, wir vermieden alle die Unbequemlichkeiten, die Aristoteles und zum Teil schon Aristophanes in seiner weiblichen Volksversammlung bei solchen Einrichtungen berühren.

      Um jeden Tempel, auf Bergen und Anhöhen, mit den Aussichten auf die reizenden Inseln umher, war ein schöner Hain gepflanzt, bestimmt noch außer Festen zur Erziehung der Jugend. Nebenan führte man nach und nach Gymnasien auf. Wir hielten die Übung des Körpers für die Hauptsache, welcher alsdenn die Bildung des Geistes durch zweckvollen Unterricht und im Umgange leicht nachfolgt. Alle Tugenden und Künste müssen sich allemal nach dem gegenwärtigen Staate richten, wenn sie wirken und Nutzen bringen sollen, oder überhaupt jede Tugend nach der Person.

      Binnen wenig Jahren hatten wir schon alle Cykladen im Besitz und starken Einfluß auf dem festen Lande. Bei den Griechen, fast durchgehends heitern Sinnes, rotteten wir in gesellschaftlichen Gesprächen bald den Aberglauben aus und verschafften ihren Geistlichen auf anständigre Weise Unterhalt. Die Türken, die sich um uns, mitten im Meer, wenig bekümmerten, ließen wir in der Meinung, die verschiednen Tempel seien nur für verschiedne christliche Heiligen, als für den Heiligen des Feuers, der Wasser, der Lüfte. Überhaupt herrschte über diesen Punkt, die Fortpflanzung und andre bei uns unerhörte Verschwiegenheit; wir schienen durchaus ein Orden dieser Tugend. Auf allen Fall hielten wir uns des Schutzes vom Sultan für versichert.

      Wir machten uns die gesellschaftlichen Bürden so leicht wie möglich zu ertragen und genossen alle Wonne dieses Lebens unter dem milden Himmelsstrich bei den ersprießlichen und allgemein beliebten Gesetzen; und das Ganze fügte sich immer lebendiger zusammen und wuchs zur reifen Schönheit durch neue auserwählte Ankömmlinge, worunter sich die schönste und heldenmütigste griechische Jugend aus beiderlei Geschlecht befand, die wir mit Behutsamkeit in unsern Geheimnissen einweihten. Kriegerische Schiffahrt und Handlung zwischen Kleinasien, dem Schwarzen Meer und den westlichen Ländern, und höchste Freiheit, süßes Ergötzen und frohe Geschäftigkeit im Innern, darauf zweckte alles; durch jene erhielten wir Sicherheit und verdienten Schutz, und durch beides gewannen wir Sklaven und Sklavinnen und Überfluß an allen Bequemlichkeiten. Bei aller dieser Seligkeit glaub ich jedoch, daß auf dem ganzen Erdboden kein andrer Platz war, wo man sich so wenig vor dem Tode scheute.

      Jeden Frühling war allgemeine Versammlung, worin wir die nötigen neuen Einrichtungen oder Abänderungen für das ganze Jahr trafen; sie wurde mit feierlichen Spielen und Lustbarkeiten beschlossen.

      Kurz, wir kamen beieinander, so verschieden auch mancher vorher dachte, in folgenden Grundbegriffen überein: Kraft zu genießen, oder, welches einerlei ist, Bedürfnis, gibt jedem Dinge sein Recht, und Stärke und Verstand, Glück und Schönheit den Besitz. Deswegen ist der Stand der Natur ein Stand des Krieges.

      Das Interesse aller, die sich in eine Gesellschaft vereinigen, bildet darauf Ordnung, stiftet Gesetze und innerlichen Frieden; alles richtet sich dabei, wie bei jedem andern lebendigen Ganzen, immer nach den Umständen.

      Der beste Staat ist, wo alle vollkommne Menschen und Bürger sind; und diesem folgt, wo die mehrsten es sind. Hier wird kein Nero gedeihen! Derjenige Mensch und Bürger ist vollkommen, welcher seine und seines Staats Rechte kennt und ausübt.

      Jedes hat fürs erste das Bedürfnis zu essen, zu trinken, mit Kleidung und Wohnung sich zu schützen und zu sichern, die Wahrheit von dem Notwendigen einzusehen und, wenn es mannbar ist, das der Liebe zu pflegen. Vermag es nicht, sich dieses friedlich zu verschaffen, so darf es dazu die äußersten Mittel brauchen; denn ohne dasselbe erhält es weder sich noch sein Geschlecht.

      Auf gleiche Weise geht es hernach mit den Bequemlichkeiten und Freuden des Lebens. Ein armer schwacher Staat mag sich an den ersten rohen begnügen; allein dieses ist zur Glückseligkeit nicht hinlänglich. Der starke und tapfre hat zu mehrerm Recht, eben weil er weitre Bedürfnisse hat. Das beste Instrument gehört dem besten Virtuosen, das königlichste Roß dem mutigsten und geübtesten Bereiter. Land für Themistoklesse und Scipionen, für Praxitelesse und Horaze keinen Mönchen und Barbaren.

      Wirkliche (nicht bloß eingebildete und erträumte) Glückseligkeit besteht allezeit in einem unzertrennlichen Drei: in Kraft zu genießen, Gegenstand und Genuß. Regierung und Erziehung soll jedes verschaffen,