Wir nahmen Gespräche mit Familien in Deutschland auf, die bereits einem Kind aus der „Dritten Welt“ Liebe, Geborgenheit und einen Platz in ihrem Herzen eingeräumt hatten. Neue Informationen und Wege eröffneten sich.
Und wieder waren Monate ins Land gegangen. Sie waren angefüllt mit Briefe schreiben, sich an den unterschiedlichen Bewerbungsstellen immer wieder möglichst unaufdringlich in Erinnerung bringen, bangen, hoffen, sehnen, verzweifeln, verzagen, erschöpft und mutlos aufgeben wollen, um gleichzeitig mutig weiter zu kämpfen.
Manche Vermittlungsstellen reagierten auf den fünften oder zehnten Brief, andere meldeten sich nicht. Damals gab es noch kein Internet, keinen PC, alle Schreiben wurden auf der alten, klapprigen Schreibmaschine, die ich heute noch besitze, getippt. Damals war telefonisch so gut wie niemand erreichbar, denn Telefon gab es nur in den offiziellen Ämtern. Und so ein Brief über den Großen Teich dauerte schon mal zwei Wochen. Mit sechs Wochen Postdienst musste man dann schon rechnen, bis ein Antwortschreiben nach Deutschland flatterte.
Unsere Hoffnungen sanken unter den Gefrierpunkt. Keine Chance in naher Zukunft. Die Wartelisten schienen ungeheuer lang, Lichtjahre entfernt von unserem großen Wunsch nach einem Kind.
Wut, Bitterkeit, Resignation bemächtigten sich unser. Da gab es so viele Kinder, die ohne Eltern aufwachsen, ohne Liebe und Geborgenheit einer Familie, die auf der Straße dahinvegetierten. Kinder ohne Lebenschance und Lebensperspektive. Darüber wusste ich Bescheid, schließlich hatte ich sechs Jahre in sozialen Einrichtungen in Chile und Afghanistan gearbeitet und gelebt und unendlich viel Leid, Not und Elend der Kinder und deren Familien hautnah erlebt.
Aufgeben? Nein! Zu keinem Zeitpunkt waren wir bereit, unser Ziel fallen zu lassen. Wir waren felsenfest davon überzeugt: Irgendwo in der Welt wartet ein Kind, das zu uns gehört. Unser Kind.
Am 23. Februar 1980 - Der erste Schritt in die Zukunft
Was wir nicht mehr erhofften, geschah. Wir hatten nun alle Papiere des Jugendamtes für eine Adoption im Ausland zusammen. Die internationalen Geburtsurkunden, Heiratsurkunden, polizeiliche Führungszeugnisse, Wohnsitznachweise, Arbeitsbescheinigungen, Lohnbescheinigungen, Gesundheitszeugnisse, Leumund, Referenzen, Pässe usw.
Der Sozialbericht des Jugendamtes wurde uns zugesagt. Dieses wichtige, nein wichtigste Papier überhaupt sollte die vorläufige Pflegeerlaubnis enthalten, die ein Rechtsanwalt als Vollmacht benötigt, um eine Adoption irgendwo in der Welt einzuleiten.
In Peru sollten Auslandsadoptionen möglich sein, hatte mir eine Familie berichtet. Sie stünden auf der Warteliste, aber ihr Jugendamt sei nicht gerade begeistert, ein fremdländisches Kind nach Deutschland zu holen. So fahren wir zu dieser Familie, um so rasch als möglich die Bedingungen zu erkunden. Das Ehepaar ist inzwischen schon weit nach vorne in der Adoptionsliste aufgerückt.
Dieser Zufall sollte unser Hauptgewinn sein. Das Jugendamt vermittelte dem Ehepaar ein neugeborenes deutsches Baby. Dann liefen die Drähte heiß und das große Wunder geschah: „Der Warteplatz wird auf das Ehepaar Klink übertragen.“
Mit neuem Mut fuhren wir nach Hause. Ich setzte mich sofort an die Schreibmaschine, um den ersten Brief nach Peru zu senden.
Unsere Anfragen in Afghanistan und Südchile wurden in diesen Tagen negativ beschieden. Ich hatte zwar das untrügliche Gefühl, dass wir dort eine Chance, wenn auch nur eine winzig kleine hätten, weil ich ja in diesen Ländern je drei Jahre gearbeitet hatte. Aber das war wohl nur ein weiteres, ganz großes Missverständnis auf dem langen Weg einer Adoption.
Am 24. März 1980 - Die vorläufige Pflegeerlaubnis wird ausgestellt
Endlich war wieder ein Schritt geschafft. Unser Jugendamt ließ uns zur Adoption zu, wenn auch nicht in Deutschland, sondern irgendwo in der großen weiten Welt.
Der erste wirkliche Hoffnungsschimmer nach fast zwei Jahren eiserner Bemühungen um ein Adoptivkind.
An dem Tag hatten wir den vierseitigen Antrag auf Pflegeerlaubnis beim Jugendamt abgegeben. Ein Stoßgebet wurde mit dem Schreiben gleich schwungvoll mit in den Briefkasten eingeworfen. Wir hatten längst alle Papiere für eine Auslandsadoption beisammen und vom Landgericht beglaubigen lassen. Unendlich viel Zeit, Nerven wie Drahtseile, Telefonate mit den Ämtern in unserem Bezirk, Übersetzungskosten und natürlich Legalitätskosten. Nur die Beglaubigung von der Beglaubigung durch die zuständige Botschaft des Adoptionslandes stand noch aus. So harrten wir auf das erste Hoffnungszeichen aus irgendeinem Land. Die erste Zusage wollten wir beim Schopfe packen.
Dieser feste, unbeugsame Wille und eine wilde Entschlossenheit, dass unser Kind uns finden würde, nährten unser Durchhaltevermögen und gaben uns Kraft, viel Kraft.
Am 27. Mai 1980 - Ein Hoffnungsschimmer aus Peru
Im Briefkasten lauerte ein blauer Luftpostbrief mit peruanischen Briefmarken. Inkamotive waren darauf abgebildet. Vor lauter Aufregung und Anspannung riss ich mit zittrigen, ungeschickten Händen den Umschlag auf. Noch auf der Treppe las ich die ersten Zeilen. Sie waren mit der Schreibmaschine auf Deutsch getippt. Dann musste ich mich setzen. Meine Beine knickten wie Gummi ein. Vor Schreck wurde es mir ganz übel.
Eigentlich hätte ich ja einen Jubelschrei heraustrompeten müssen, dass die Wände wackeln, oder einen Luftsprung bis an den Himmelsrand vollführen. Aber da saß ich und starrte auf die wenigen, mit der Schreibmaschine getippten Zeilen auf dem hauchdünnen Luftpostpapier.
„… und möchte Ihnen mitteilen, dass ich in einigen Wochen ein Kind zur Adoption finden könnte. Sobald ich Ihre deutschen Unterlagen nach beiliegendem Papier in den Händen halte …“
Die Buchstaben verschwammen, ich vergaß zu atmen, saß da wie zur Salzsäule erstarrt und konnte es nicht fassen. Ich konnte es einfach nicht glauben und saß zusammengesunken auf der kalten Steintreppe. Und gleichzeitig sagte eine Stimme tief in meinem Inneren. „Glaub es nicht, es kann wiederum nur ein Strohfeuer sein. Mach dir keine Hoffnungen, du bist schon viel zu oft enttäuscht worden. Das ist eine Fata Morgana.“ Aber mein anderes „Ich“ schrie den inneren Schweinehund nieder: „Warum soll es dieses Mal nicht klappen, es ist doch eine Zusage.“ Und um ganz sicherzugehen, dass ich keiner Halluzination aufsaß und es auch kein Traum war, strich ich mit der Hand über den unwillkürlich zusammengedrückten Brief. Das leise Knistern holte mich blitzschnell in die Wirklichkeit zurück. Sorgsam strich ich das hauchdünne Papier glatt, eilte die Treppe hinauf und legte den Brief wie ein kostbares Geschenk behutsam auf den Tisch.
„Das wird heute Abend die Überraschung der Welt werden, wenn Siegfried nach Hause kommt.“ Es fiel mir unendlich schwer, nicht zum Telefonhörer zu greifen und mein Glück hinauszurufen.
Am 04. Juni 1980 - Von guten Kräften wunderbar geborgen
Wir beide fühlten uns von guten Mächten wunderbar geborgen. Und dann trudelte die Pflegeerlaubnis ein. Es war ein gutes Omen. Nichts schien mehr schief gehen zu können.
Ich ertappte mich, wie ich einen Moment plötzlich wieder an die guten Mächte und eine hilfreiche Fee glaubte, wie in Kindertagen.
Sofort kopierte ich alle Unterlagen und kostbaren Originalpapiere, verfrachtete diese in einen großen braunen Umschlag und versah ihn mit vielen Briefmarken. Den blauen Luftpostaufkleber aufkleben und nach Peru senden.
Der Postbeamte benötigte einige Minuten, um das Porto nach Südamerika zu berechnen und wollte ihn im Postsack verschwinden lassen. „Kann ich den Brief selbst einwerfen?“, bat ich den Postbeamten. Er blickte mir fragend ins Gesicht: „Natürlich.“
Ich nahm dem Umschlag behutsam, fast zärtlich in die Hand, drückte heimlich ein Küsschen darauf und mit innigen, guten Wünschen glitt er fast lautlos in das gefräßige gelbe Maul des Postkastens. Die anderen Briefe an Waisenhäuser in Indien und Korea, Südchile,