Unser Haus dem Himmel so nah. Shahla Ujayli. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Shahla Ujayli
Издательство: Bookwire
Серия: Alawi Bibliothek
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783966750257
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Ingenieur Suhail Badran, die ihren Söhnen erfolgreiche Gespräche mit dem amerikanischen Konsul und ein Visum für die USA garantieren sollten.

      Das erste Gebäude, das Suhail nach seiner Rückkehr aus Amerika restaurierte, war die Villa, in der ich geboren wurde und meine Kindheit und Jugend verbrachte. Sie war mehr als einhundertfünfzig Jahre alt. Mein Großvater hatte sie von seinem Vater geerbt, später hatte mein Vater im Austausch für das Gebäude seinen Geschwistern einen Teil seines Erbes überlassen. Er hatte ein feines Gespür für alles, was der Restaurierung bedurfte. Er bewahrte den Charakter des Hauses und fügte die Anbauten so harmonisch an, dass sie weder das Auge noch die Seele verletzten. Dabei war ihm meine Mutter eine große Hilfe, denn ihre Perspektive war ganz anders, städtischer, denn sie hatte sich intensiv mit Philosophie, Kunst und Französischer Literatur beschäftigt. Mein Vater hatte sie über den Bruder ihrer Mutter kennengelernt, der mit ihm zusammen in Boston studiert und ihn zu seiner Hochzeitsparty im Saad-Klub in Aleppo eingeladen hatte. Dort verliebte er sich sofort in sie. Davor war sie mit einem Kapitän zur See verheiratet gewesen, dem Spross einer großbürgerlichen Familie aus Aleppo, hatte sich aber nach weniger als einem Jahr Ehe wieder von ihm getrennt, weil er darauf bestanden hatte, sie auf all seine Seereisen mitzunehmen. Monatelang war sie seekrank gewesen. Während er sie so sehr liebte, dass er sich nicht eine Nacht von ihr trennen konnte, sah sie in ihm nur einen Egoisten ohne Verständnis für ihre Leiden, verließ ihn und heiratete wenige Tage nach ihrer ersten Begegnung meinen Vater.

      Meine Großmutter hielt überhaupt nichts von einer Heirat mit einer geschiedenen Frau, aber meine Tante Laila, die sie in ihren letzten Tagen umsorgte, hatte großen Einfluss auf sie und beschwichtigte sie: »So etwas kommt in den besten Familien vor.« Sogar Jacqueline Kennedy sei schließlich vor ihrer Ehe mit Onassis mit John F. Kennedy verheiratet gewesen. Sie war bestens informiert, denn sobald Tante Laila eine Zeitschrift wie al-Mau’id, al-Schabaka oder Rose al-Yussuf in die Finger bekam, konnte sie nicht mehr davon lassen und verschlang den Klatsch über die Prominenten.

      In unserem Haus entstanden zwei Flügel: zunächst der altorientalische, ein restaurierter Ziegelbau, der aussah, als hätte ihm ein Maurer des 18. Jahrhunderts erst am Vortag den letzten Schliff gegeben und sich dann zufrieden den Staub von den Kleidern geklopft. Kuppeln und Stalaktitengewölbe im Abbasiden-Stil bildeten die Decken. In ihm waren ein Büro, zwei Empfangssalons und ein großes Esszimmer untergebracht, das sich zum Innenhof hin öffnete. Im Hof wuchsen Limonen- und Zitronenbäume sowie Rosenstöcke rings um ein Wasserbecken mit einem Boden aus blauem Granit, das sieben Meter lang, drei Meter breit und einen bis anderthalb Meter tief war. Der andere, westliche, Flügel war modern, in ihm lagen, auf zwei Ebenen verteilt, die Schlafzimmer. Beide Stockwerke waren durch eine kleine Innentreppe verbunden, die oben in einem kleinen Zimmer und unten an der Haupteingangstür endete, die in den äußeren Garten führte. Dieser war einfach bepflanzt mit Jasmin, Geißblatt, Basilikum und roten Rosen. Dort standen Korbstühle, deren Sitze mit der Zeit mit bunten Plastiksträngen geflickt wurden, der eine Stuhl blau, der zweite rot, der dritte grün …

      Die gesamte Einrichtung war kostbar, sorgfältig ausgewählt und voller Erinnerungen. Der Salon war im Louis-quinze-Stil eingerichtet, die Wohnzimmer kopierten Harrods, alles stammte von dem Möbelmacher Leon Masabaki aus Aleppo. Die Kronleuchter in den Salons, die mein Vater aus Österreich mitgebracht hatte, waren aus echtem Kristall, die in den anderen Räumen waren aus Bronze, drei davon ehemalige Petroleumlampen, die noch aus der Zeit meines Urgroßvaters stammten. Meine Mutter hatte sie im Keller des alten Hauses gefunden und im Antiquitätengeschäft al-Hamawi elektrisch umarbeiten lassen. Die Teppiche waren natürlich alle Perser, unsere Familie wollte keine aus China oder Deutschland, wie alt und vornehm sie auch sein mochten. Mein Vater hatte seine Teppiche von meinem Großvater geerbt, der sie seinerseits von seinem Vater und Großvater erhalten hatte, und so fort … Zwei der Teppiche waren zwölf Meter lang, drei andere genau die Hälfte, und fünf kleinere waren aus Kaschan-Stücken zusammengesetzt. Die Vasen, Gläser und Aschenbecher aus Silber oder weißem und farbigem Kristall waren mit Bedacht auf den Konsolen, Tischen und in den Vitrinen arrangiert. Meine Eltern hatten sie auf ihren zahlreichen Reisen nach Polen, Bulgarien und in die Tschechoslowakei gefunden. Auch die Gemälde waren durchweg Originale und sorgfältig gehängt. Sie stammten von syrischen und arabischen Künstlern, die meist mit meinem Vater befreundet waren und von denen er bei ihren Ausstellungen in Damaskus, Aleppo und Beirut gerne Bilder erwarb: Louay Kayali, Fateh al-Moudarres, Saad Yagan, Wahid al-Maghariba, Scharif al-Muharram, Tamam al-Akhal und der aus Raqqa stammende Fawwaz Yunis.

      Das wertvollste Stück, ein Walnussholz-Schrank aus den 30er Jahren, der den großen Salon im alten Flügel zierte, war eineinhalb Meter hoch, einen Meter breit und einen halben Meter tief und hatte unten zwei Türflügel und oben sechs Schubladen, auf jeder Seite drei. Als mein Großvater Repräsentant des Nationalen Blocks für die Region war, hatte er die politischen Dokumente dort deponiert, und so betrachtete mein Vater den Schrank später als Augenzeugen der politischen Geschichte unserer Familie. Nach seiner Rückkehr aus Amerika war der Schrank nur noch ein Stück Sperrmüll gewesen, meine Tante Laila hatte alte Zeitungen und Staubtücher darin verstaut. Leon Musabaki restaurierte ihn, beizte ihn mit dunkler Holzlasur, zeichnete die Ornamente mit Goldstift nach, befestigte neue Bronzegriffe an den Schubladen und legte eine kostbare Platte aus weißem, grau und schwarz geädertem Marmor auf. Er brachte auch drei antike Messingschlösser in Tierform an, eine Schildkröte, eine Eidechse und eine Schlange, die mein Vater im alten Suk von Maskat in Oman gekauft hatte. Darauf stand eine Dose aus rotem Samt mit einer Münze aus reinem, 24-karätigem Gold, die jeder bewunderte. Man hatte den Namen »Suhail Badran« eingraviert, mit Hinweis an den Ersten Preis der »Organisation der arabischen Städte« im Jahre 1984 für den Wiederaufbau der alten Stadtmauer von Raqqa.

      Obwohl wir immer genug Dienstboten im Haus hatten, fiel die Aufgabe, diese Raritäten zu polieren und die Teppiche zu reinigen, meiner Schwester und mir zu. Meine Mutter war der Meinung, dass wir uns den großartigen Geist dieser Stücke vor Augen halten sollten, aus dem sie entstanden waren. Wir hinterließen unsere Fingerabdrücke darauf, gaben ein bisschen Wasser auf das Kristall und dann rieben wir es mit einem trockenen Tuch ab. Silber und Messing hingegen putzten wir mit einem speziellen Präparat aus Beirut, das man auf ein Stück feuchten Baumwollstoff gab. Die Ölgemälde durfte man, um die Farben zu erhalten, nur mit einem Federwedel entstauben.

      Von außen verriet das Haus nichts von der Pracht im Inneren. Dies entsprach den architektonischen Vorstellungen meines Vaters, er wollte, dass es sich harmonisch zwischen die einfachen Häuser der Verwandten und Nachbarn im Viertel einfügte. Das Anwesen meines Onkels, des Ministers, dagegen, nur fünf Häuser weiter, glich einem Palast, an dessen Tor die Passanten nicht gerne vorbeigingen und lieber die Straßenseite wechselten. Am vertrautesten war uns das Haus Faisals, meines jüngsten Onkels, des Sohnes von Hagar, der Nebenfrau meiner Großmutter. Es war voller Leben, dafür sorgten seine italienische Frau und seine drei Söhne. Onkel Faisal hatte in Rom bildende Kunst studiert und schon von Jugend an den Mädchen nachgejagt. Nach dem Tod seiner Mutter war er von den Hausmädchen aufgezogen worden, und mit siebzehn Jahren erwischte ihn meine Großmutter im Keller des Hauses mit ihrem Dienstmädchen Rahima. Und wie diese eingestand, war es nicht das erste Mal. Deshalb schickte man ihn nach Rom, und Rahimas Angehörige holten das Mädchen zurück nach Afrin, wo sie, wie wir später erfuhren, von ihrer Familie getötet wurde. Mein Vater sagte, das Blut des Feudalherrn sei der Grund für Faisals Lüstgernheit, doch meine Großmutter protestierte: »Er hat das Blut seiner gemeinen Mutter geerbt.« Sie hegte immer noch einen Groll gegen die verstorbene Nebenfrau. Meine Tante Laila erinnerte sie daran, dass sie meinen Onkel Yusuf als Kind ebenfalls dabei ertappt hatten, wie er eins der Dienstmädchen ausgezogen und auf die Terrasse gebettet hatte. Er hatte ihre Umrisse mit einem Kohlestift nachgezeichnet und erklärt, er werde sie operieren. Aber er sei damals doch erst zehn Jahre alt und bereits entschlossen gewesen, Arzt zu werden, erwiderte meine Großmutter in vollem Ernst. All das habe rein wissenschaftlichen Zwecken gedient.

      Die Italienerin Natalia war wie mein Onkel Faisal ein Freigeist. In den wenigen Jahren, die sie in Raqqa wohnte, verbrachte sie die meiste Zeit damit, ihren Söhnen, die immer etwas ausheckten, hinterherzurennen und ihnen, was immer ihr in die Finger kam, nachzuwerfen: einen Schuh, einen Pantoffel oder irgendwas aus der Küche, um in gebrochenem Arabisch »Badran ist ein Gangster!« hinterherzurufen. Tante Souaida, die in