134
Allerdings ist der Unternehmensbegriff des § 130 OWiG weit zu fassen und auch ein Konzern als Ganzes ist unter diesen Begriff zu subsumieren.[271] Wie ein Unternehmen hat ein Konzern eine einheitliche Leitung, auch wenn diese auf einem faktischen oder vertraglichen Durchgriffsrecht basiert. Dass ein Konzern aktienrechtlich nicht unter den Unternehmensbegriff fällt, ist unerheblich, da für eine Aufsichtspflichtverletzung i.S.d. § 130 OWiG insofern eine faktische Betrachtungsweise ausreichend ist.[272] Daraus folgt eine Aufsichtspflicht der Muttergesellschaft über ihre Tochter- und Enkelgesellschaften, so dass die Organe der Muttergesellschaft bei Pflichtverletzungen von Organen der Tochtergesellschaft wegen Verletzung der Aufsichtspflicht zur Verantwortung gezogen werden können.[273] Diese Auffassung vertrat unlängst auch das OLG München. Demnach seien für den Umfang der Aufsichtspflicht i.S.d. § 130 OWiG die tatsächlichen Verhältnisse im Konzern maßgeblich. Eine gesellschaftsrechtliche Aufsichtspflicht der Konzernmutter bestehe jedenfalls dann, wenn der Tochtergesellschaft von der Konzernmutter Weisungen erteilt würden, die das Handeln der Tochtergesellschaft beeinflussten und dadurch die Verletzung betriebsbezogener Pflichten begründeten.[274] Allerdings bestimmt sich der Umfang der Aufsichtspflicht aus § 130 OWiG nach den tatsächlichen Verhältnissen im Konzern. Hierfür sind die Umstände des Einzelfalls maßgebend.
135
Der Umfang der Aufsichtspflicht ist abhängig davon, welchen Spielraum zu eigener Willensbildung die einzelnen Unternehmen haben, beziehungsweise in welchem Umfang die Konzernspitze von ihren Durchgriffsmöglichkeiten tatsächlich Gebrauch macht.[275] Eine Begrenzung findet die Aufsichtspflicht dabei vor allem durch den Vertrauensgrundsatz, nach welchem die Unternehmensleitung des herrschenden Unternehmens grundsätzlich der Unternehmensleitung des Tochterunternehmens vertrauen darf.[276] Kommt es zu Rechtsverstößen innerhalb einer Konzerngesellschaft, so ist somit auch die Muttergesellschaft zur Aufklärung durch unternehmensinterne Untersuchungen verpflichtet. Diese Auffassung scheinen zwei aktuelle Urteile zu unterstützen.[277] In der ETEX-Entscheidung[278] vom 9.2.2009 hat das Bundeskartellamt ein gesondertes Bußgeld wegen einer Aufsichtspflichtverletzung gem. § 130 OWiG gegen die Etex Holding GmbH als Muttergesellschaft verhängt, da ein für das Europageschäft verantwortlicher leitender Manager des Etex-Konzerns konkrete Anhaltspunkte für kartellrechtswidrige Absprachen hatte und nichts unternahm, um die Absprachen seiner Tochterunternehmen zu verhindern.[279] Die konzernweiten Organisationspflichten zur Verhinderung von Kartellabsprachen wurden sogar bejaht, obwohl die Muttergesellschaft sich auf die Finanzierung der Tochtergesellschaften beschränkt hatte und eine dezentrale Konzernstruktur bestand.[280] In eine ähnliche Richtung geht eine Entscheidung des EuGH.[281] Nach der „Akzo-Entscheidung“ sei das herrschende Unternehmen verpflichtet, dafür zu sorgen, dass bei den Tochtergesellschaften keine Kartellabsprachen getroffen werden. Dies gelte insbesondere, wenn die Muttergesellschaft 100 % des Gesellschaftskapitals der Tochtergesellschaft halte.[282] Die Höhe des Bußgeldes wurde deshalb auch nach dem Konzernumsatz bemessen.[283]
cc) Gesamtschau der Normen
136
Wie schon bei der Einzelgesellschaft ergibt sich aus der Gesamtbetrachtung der Normen §§ 76 Abs. 1, 91 Abs. 2, 93 Abs. 1 S. 1 AktG und § 130 OWiG auch eine konzernweite Compliance-Verantwortung für die Unternehmensleitung der Muttergesellschaft. Unter Berücksichtigung der Compliance-Verantwortung erwächst die Pflicht zur Durchführung von konzernweiten unternehmensinternen Untersuchungen. Zwar liegt es grundsätzlich in dem unternehmerischen Ermessen der Unternehmensleitung der Muttergesellschaft, wie intensiv sie von ihren Weisungsrechten und Eingriffsmöglichkeiten Gebrauch macht und Compliance-Maßnahmen selbst durchführt, da es ihre eigene unternehmerische Entscheidung ist, ob eine zentrale oder dezentrale Konzernleitung angestrebt wird.[284] Bestünde in einer vergleichbaren Situation in einer unverbundenen Gesellschaft aber die Pflicht zur Durchführung einer unternehmensinterne Untersuchung, so folgt aus der Pflicht zur Sicherstellung gesetzeskonformen Verhaltens die Pflicht, auf die Durchführung einer unternehmensinternen Untersuchung innerhalb der Tochtergesellschaft im Rahmen der gesellschaftsrechtlichen Möglichkeiten hinzuwirken.[285]
137
Zu den Pflichten der Konzernleitung der Muttergesellschaft gehört eine angemessene Compliance-Organisation des gesamten Konzerns und soweit möglich, der Eingriff bei Verdacht von schweren Rechts- und Regelverstößen.[286] Die Muttergesellschaft trifft insofern die Pflicht, darauf hin zu wirken, dass die Rechts- und Regelverletzungen abgestellt werden.[287] Für die Verhinderung von Rechts- und Regelverstößen innerhalb einer so komplexen Konstruktion wie einem Konzern bedeutet dies aber insbesondere eine saubere Aufarbeitung des Sachverhaltes durch eine unternehmensinterne Untersuchung. Die Konzernleitung muss insofern auch überprüfen, ob nur eine Tochter- oder Enkelgesellschaft betroffen ist oder ob es sich möglicherweise um ein konzernweites Problem handelt. Diese Pflicht ergibt sich aus dem Schadensabwendungsgebot gegenüber der Muttergesellschaft, weshalb auch nur die Muttergesellschaft einen Anspruch auf die Durchführung einer internen Untersuchung durch ihre Unternehmensleitung hat.[288] Die Tochter- und Enkelgesellschaften müssen sich wiederum an ihre eigene Unternehmensleitung halten, welche auch eine Pflicht zur Durchführung unternehmensinterner Untersuchungen trifft.[289]
b) Konkrete Pflicht zur Durchführung konzernweiter unternehmensinterner Untersuchungen
138
Es besteht somit grundsätzlich eine allgemeine Pflicht zur Durchführung unternehmensinterner Untersuchungen zur Sachverhaltsaufklärung bei Bekanntwerden von Rechtsverstößen innerhalb eines Konzerns. Wie weit diese Pflicht im Einzelfall geht, hängt jedoch entscheidend von den Einflussmöglichkeiten der Konzernmutter auf die Unternehmen innerhalb des Konzerns ab. Die konkrete Pflicht der Unternehmensleitung zur Durchführung einer unternehmensinternen Untersuchung kann naturgemäß nicht weiter gehen, als die jeweiligen Befugnisse gegenüber den Tochtergesellschaften reichen.
Die konkrete Eingriffsmöglichkeit auf die konzernierten Unternehmen hängt entscheidend davon ab, ob es sich um einen Vertragskonzern oder einen faktischen Konzern handelt.
aa) Vertragskonzern
139
Besteht ein Vertragskonzern, so ist das herrschende Unternehmen aufgrund des Beherrschungsvertrages berechtigt, dem Tochterunternehmen Weisungen zu erteilen.[290] Nach § 308 Abs. 1 AktG schließt das Weisungsrecht sogar nachteilige Weisungen mit ein.[291] Bei einem GmbH-Vertragskonzern geht die Weisungskompetenz mit der Geschäftsführungszuständigkeit auf das herrschende Unternehmen gem. § 308 Abs. 1 AktG analog über.[292] In einem Vertragskonzern kann die Unternehmensleitung somit ihren Tochter- und Enkelgesellschaften die Weisung erteilen, bei konkreten Anlässen eine unternehmensinterne Untersuchung durchzuführen. Die Unternehmensleitung ist verpflichtet, beim Verdacht von Rechtsverstößen innerhalb ihres Konzernes die Weisung zur Durchführung unternehmensinterner Untersuchungen zu geben, wenn die Unternehmensleitung des konzernierten Unternehmens selbst keine Untersuchung durchführt.