121
Ferner kann unter Umständen auch bei Gutgläubigkeit der Vorsteuerabzug des Lieferungsempfängers versagt werden, da nicht der Lieferant und förmlich handelnde Rechnungssteller als umsatzsteuerlicher Leistungserbringer anzusehen ist, sondern die kollusiv im Hintergrund handelnde kriminelle Gruppe, mit der dieser zusammen in krimineller Weise umsatzsteuerliche Vorteile erschlichen hat.[41] Voraussetzung für den Vorsteuerabzug wäre indes die vollständige, tatsächliche Anschrift des leistenden Unternehmers oder der – um dem FG Saarland zu folgen – „kriminellen Gruppe“ (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 14 Abs. 4 Nr. 1 UStG).[42] Diese Rechtsprechung sollte jedoch nicht anwendbar sein, wenn tatsächlich Warenbewegungen stattgefunden haben, sondern vielmehr in Fällen, in denen Scheinrechnungen ausgestellt wurden.
Vorsätzliche Teilnahme am Umsatzsteuerkarussell
122
Denkbar sind an dieser Stelle Konstellationen, in denen insbesondere leitende Angestellte einer Tochtergesellschaft die Gesellschaft bewusst für derart kriminelle Machenschaften missbrauchen. Die Motivation kann hierbei in der unmittelbaren Abschöpfung der nicht abgeführten Umsatzsteuer liegen. Möglich ist aber auch, dass das Unternehmen insbesondere zu Verschleierungszwecken gebraucht wird und der leitende Angestellte von den Initiatoren des Umsatzsteuerkarussells hierfür eine entsprechende Gegenleistung erhält.
123
Die Planung und Durchführung von Untersuchungshandlungen hat sich, insbesondere vor dem Hintergrund der vielfältigen Variationsmöglichkeiten eines Umsatzsteuerkarussells, stets auf den konkreten Einzelfall auszurichten. Auslöser für eine Investigation im Hinblick auf eine potentielle Verwicklung in ein Umsatzsteuerkarussell werden regelmäßig interne oder externe Hinweise sein (vgl. Rn. 4). In dem folgenden Beispiel könnte der Ausgangpunkt für eine Investigation sein, dass die Konzernmutter durch eine zeitnahe und vollständige Sachverhaltsklärung mögliche finanzielle oder reputative Schäden gering halten möchte.
3. Beispiel
Sachverhalt
124
Für den Großhändler (B), der Teil eines internationales Konzern ist, ergibt sich aufgrund eines langjährig bekannten Geschäftskontaktes (K) die Möglichkeit, 1 000 Tonnen Kopierpapier zum Preis von EUR 1/Tonne netto im Rahmen eines sog. Streckengeschäftes bei einem neuen Lieferanten (A) zu kaufen und direkt an einen neuen Abnehmer (C) zum Preis von EUR 1,05/Tonne zu liefern, was einer branchenüblichen Gewinnmarge von rund 5 % entspricht. K erhält für seine Vermittlungstätigkeit eine kleine Provision von 1 % des Nettoumsatzes. Bei diesem (branchenüblichen) Streckengeschäft handelt es sich um eine Warenlieferung, bei der die vermittelte Ware direkt vom Lieferanten zum Abnehmer geliefert wird, ohne dass es zu einer physischen Einlagerung bei B kommt. Das gesamte Geschäft wird anhand von entsprechenden Verträgen/Frachtpapieren abgewickelt, wobei branchenüblich die Warenlieferung an den Abnehmer C durch den Lieferanten A vorgenommen wird.
125
B erhält von A nach Durchführung des Geschäftes eine Rechnung in Höhe von 1 190 EUR (1 000 EUR zuzüglich 190 EUR Umsatzsteuer). B stellt C 1 249,50 EUR (1 050 EUR zuzüglich 199,50 EUR Umsatzsteuer) in Rechnung. B macht die durch A in Rechnung gestellte Umsatzsteuer im Rahmen seiner Umsatzsteuervoranmeldungen als Vorsteuer geltend. C bezahlt die Rechnung umgehend. Gleichartige Geschäfte zwischen A, B und C werden in den folgenden Monaten dreimal abgewickelt. Die Geschäftsbeziehung endet, als C die dritte Rechnung nicht mehr bezahlt und jeder Kontakt zu C abbricht.
126
B ist nicht bewusst, dass er in ein Umsatzsteuerkarussell eingebunden wurde. Hierbei liegt folgendes Konstrukt vor:
127
Die 1 000 Tonnen Papier (Ware) existieren nicht. Der gutgläubige K wurde genutzt, um B in das Karussell einzubeziehen. A und C arbeiten zusammen. Dabei hat A die Ware im Rahmen eines innergemeinschaftlichen Erwerbes von einem niederländischen Händler (D) für insgesamt 1 000 EUR zuzüglich Umsatzsteuer (Erwerbsteuer) bezogen und diesen innergemeinschaftlichen Erwerb auch ordnungsgemäß angemeldet. Die angemeldete Erwerbsteuer wurde unmittelbar als Vorsteuer im Rahmen der jeweils selben Umsatzsteuervoranmeldung geltend gemacht. Für die ersten zwei Lieferungen hat A die an B in Rechnung gestellte Umsatzsteuer ordnungsgemäß in seinen Umsatzsteuervoranmeldungen deklariert. C wiederum macht aus allen drei Rechnungen des B einen Vorsteuerabzug in Höhe von 199,50 EUR geltend. Gleichzeitig tätigt er eine in Deutschland steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung in die Niederlande an den von ihm kontrollierten D, der hierfür wieder in den Niederlanden Erwerbsteuer anmeldet sowie Vorsteuer geltend machen kann und die Ware an A zurückliefert.
128
Unter Vernachlässigung der innergemeinschaftlichen Lieferungen bzw. den innergemeinschaftlichen Erwerben, bei denen jeweils ein Vorsteuerabzug in Höhe der zu leistenden Erwerbsteuer vorliegt, ergeben sich aus Sicht der Betreiber des Umsatzsteuerkarussells folgende Zahlungsströme:
Tab. 2: „Übersicht über die Zahlungsströme“
A | C | Erfolgskomponenten | |||||
---|---|---|---|---|---|---|---|
Zahlung von Umsatzsteuer | Zahlung an B Vorsteuer | Zahlungssaldo | Steuersaldo | Gesamtergebnis | |||
1. Lieferung | 1.190,00 € | – 190,00 € | – 1.249,50 € | 199,50 € | – 59,50 € | 9,50 € | – 50,00 € |
2. Lieferung | 1.190,00 € | – 190,00 € | – 1.249,50 € | 199,50 € | – 59,50 € | 9,50 € | – 50,00 € |
3. Lieferung | 1.190,00 € | 0,00 € | 0,00 € | 199,50 € | 1.190,00 € | 199,50 € | 1.389,50 € |
Summe | 3.570,00 € | – 380,00 € | – 2.499,00 € | 598,50 € | 1.071,00 € | 218,50 € | 1.289,50 € |
129
Die Lieferungen von C an D und von D an A führen zu keinen Liquiditätsabflüssen, da es sich um rein fiktive Lieferungen handelt. Zur besseren Verschleierung können natürlich auch hier Zahlungen vorgenommen werden, diese spielen in der Gesamtbetrachtung aber keine Rolle. Wichtig ist zunächst, dass B 1 190 EUR an A zahlt und von C 1 249,50 EUR erhält. Hieraus ergibt sich ein Zahlungsmittelabfluss aus dem Karussell von 59,50 EUR. Da 190 EUR Umsatzsteuer abgeführt werden und 199,50