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Neben diesen grundsätzlichen Erwägungen sind Ort und Zeitpunkt der Interviews taktisch sinnvoll zu planen und die Gesprächspartner entsprechend hierüber und ggf. über den (groben) Gesprächsinhalt zu informieren. Vor allem sollten sich die Beteiligten genügend Zeit, hierzu zählen auch Pausen und erforderlichenfalls Zusatztermine, für das Interview nehmen. Keinen Mehrwert bringen Interviews, die über viele Stunden geplant sind, wenn die Konzentration und damit auch das Erinnerungsvermögen nach einiger Zeit abnehmen. Unverhältnismäßig lange Interviews können, insbesondere, wenn der Gesprächspartner Pausen oder Unterbrechungen erfolglos einfordert, den Erfolg einer der Investigation nachgelagerten rechtlichen Auseinandersetzung gefährden und darüber hinaus zu rechtlichen Konsequenzen für den Interviewer führen.
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Für gewöhnlich macht es Sinn, einen ruhigen, ablenkungsfreien Ort für das Interview zu wählen (auch hier können taktische Erwägungen zu anderen Erwägungen führen). Sofern gewollt, sollten die Gesprächspartner Möglichkeit haben, sich inhaltlich auf das Gespräch vorzubereiten.
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Rechtliche Fragestellungen, die im Vorfeld zu klären sind, sind beispielsweise ob eine „Belehrung“ erforderlich ist, ob der Gesprächspartner (insbesondere bei konfrontativen Gesprächen) Anspruch auf einen (rechtlichen) Beistand hat oder in welcher Form das Gespräch protokolliert oder sogar aufgezeichnet werden kann und darf. Ein besonderes Augenmerk sollte hierauf verwendet werden, wenn das Interview innerhalb einer unvertrauten Jurisdiktion liegt bzw. ausländische Rechtsvorschriften anzuwenden sind.
Bezogen auf den unter Rn. 36 ff. genannten Fall, sollte in Erwägung gezogen werden, mit einer Vielzahl von Sachbearbeitern aus der Kreditoren- und Hauptbuchhaltung der Sorglos GmbH, aber auch mit deren Einkauf Gespräche zu führen, um Informationen zu Unternehmensabläufen aber auch sachverhaltsbezogene Informationen zu erhalten. Ein möglicherweise notwendiges Konfrontationsinterview mit Erwin Eifrig sollte erst dann erfolgen, wenn ein hohes Maß an sachverhaltsbezogenen Informationen zur Verfügung steht.
Phase II: Interview
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Die Eröffnung des Interviews findet im Allgemeinen mit einer kurzen Vorstellung der Interviewer und ihren – echten oder legendierten – Funktionen statt. Notwendige Erläuterungen bzw. eine Belehrung sind möglichst nicht abzulesen, sondern frei vorzutragen. Je nach taktischen Erwägungen kann auch das Ziel des Interviews skizziert werden, und der Interviewte sollte um Vertraulichkeit hinsichtlich der besprochenen Themen gebeten werden. Hilfreich ist es zudem, bei dem Gesprächspartner die Bereitschaft an der Aufklärung des Sachverhalts o.Ä. mitzuwirken, einzuholen. Zum Abschluss der Einführung sollte dem Gesprächspartner noch Gelegenheit gegeben werden, Fragen zum organisatorischen Setting zu stellen.
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Bezüglich des substantiell relevanten Teils des Interviews hat sich, insbesondere im Hinblick auf erlebte Situationen (z.B. Empfang und Buchung der o.g. Scheinrechnungen), das sog. kognitive Interview[24] bewährt, eine in der Vernehmungspraxis häufig genutzte Methode, um möglichst korrekte und präzise Gedächtnisinhalte abzurufen.
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Das kognitive Interview beginnt regelmäßig mit offenen Fragen zu einem Sachverhalt. Der Gesprächspartner soll nach Aufforderung zunächst alles erzählen, was ihm zu einem vorgegebenen Thema einfällt. Häufig ist es sinnvoll, zunächst nach allgemeinen, unverfänglichen Themen zu fragen), bevor es zu konkreten Sachverhalten. Bezogen auf den Fall unter Rn. 36 ff. würden bspw. einige Mitarbeiter zu den Abläufen in der Kreditorenbuchhaltung und zu generellen Abweichungen von den Sollprozessen gefragt, bevor konkret ausgewählte Eingangsrechnungen von und Zahlungen an die Lautlos GmbH thematisiert werden. Während der narrativen Erzählphase des Gesprächspartners sollte möglichst nicht seitens der Interviewer eingegriffen werden, es sei denn, der Gesprächspartner nutzt (absichtlich oder nicht) die offene Erzählphase zum umfangreichen Abschweifen.
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Einmal bei einem relevanten Sachverhalt angekommen, können sodann fokussierte und geschlossene Fragen zu Details (wie genau ist die Rechnung bei Ihnen eingegangen, wer hat die Rechnung wann freigegeben) gestellt werden. Ist ein Sachverhalt hinreichend beleuchtet und die offenen Fragen beantwortet, kann zum nächsten Sachverhalt (auch: Episode), den man wiederum zunächst mit einer offenen Frage adressiert, übergegangen werden.
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Die Interviewer haben während des Gesprächs stets den roten Faden im Auge zu behalten. Ihnen obliegt die aktive Gesprächsführung und sie müssen ggf. in der Lage sein, die Gesprächsstrategie bei Bedarf anzupassen.
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Das Gespräch endet, wenn alle relevanten Sachverhalte adressiert wurden. Im Einzelfall kann es erforderlich sein, das Gespräch nach einer (kurzen oder langen) Unterbrechung fortzuführen, etwa wenn die Beteiligten Ermüdungserscheinungen feststellen, das Gespräch eskaliert oder aus einer Vielzahl von weiteren Gründen.
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Zum Abschluss des Interviews empfiehlt sich ein kurzer Ausblick über den weiteren Verlauf (z.B. sofern zutreffend, die Übersendung eines Protokolls zur Überprüfung bzw. Unterzeichnung, die Terminfindung für ein weiteres Interview, die Anforderung von Unterlagen, etc.). Je nach Interviewverlauf und Atmosphäre gebietet die Höflichkeit einen abschließenden Dank für die Mitarbeit.
Phase III: Post-Interview
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Mindestens genauso bedeutsam wie die erlangten Informationen selbst, ist die Dokumentation der Ergebnisse. Je nach vereinbarter Protokollierung müssen die Gesprächsinhalte im Anschluss an das Interview i.d.R. transkribiert, verschriftlicht oder jedenfalls zusammengefasst werden. Häufig empfiehlt es sich, die Dokumentation möglichst zeitnah durchzuführen, da die schriftlichen Notizen so um erinnerte Inhalte der Interviewer ergänzt werden können. Bei der Interviewplanung ist diesbezüglich auf ausreichend Zeit zwischen den einzelnen Interviews zu achten.
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Neben den reinen Inhalten kann es sich lohnen, auch die nonverbalen Eindrücke zu rekapitulieren und zu interpretieren. Hieraus können sich durchaus Anknüpfungspunkte für weitere Untersuchungsmaßnahmen ergeben. Ungewöhnliche Gestik und Mimik bei einzelnen Aussagen kann auf Verdachtsmomente bei zunächst unscheinbaren Sachverhalten deuten.
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Ggf. kann der Gesprächspartner um abschließende Korrektur bzw. erforderlichenfalls Ergänzung der Gesprächszusammenfassung gebeten werden. In diesem Fall ist zu beachten, dass nicht selten Gesprächspartner insbesondere sie selbst kompromittierenden Aussagen widerrufen oder korrigieren, teilweise nach Einholung von juristischem Rat.
6. Sichtung kritischer Dokumente
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Ein wesentlicher Teil forensischen Untersuchungen besteht regelmäßig aus der Auswertung einer Vielzahl von (physischen) Unterlagen. Tax Investigations bilden dabei keine Ausnahme. Vielmehr führen steuerliche Aufbewahrungsfristen und der „offizielle“ Charakter vieler zugrundeliegender Unterlagen Unternehmen dazu, gerade diese Dokumente besonders sorgsam aufzubewahren.
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Eine gute Dokumentenlage erhöht die Wahrscheinlichkeit Beweise