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Die weiter zunehmende Bedeutung der Fusionskontrolle auf europäischer Ebene zeigt sich bereits rein statistisch daran, dass die Kommission bis Ende August 2019 insgesamt 7 489 Zusammenschlussvorhaben auf ihre Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt überprüft hat, wobei die Zahl förmlicher Zusammenschlussentscheidungen pro Jahr von sieben im Jahr 1990 stetig angestiegen und mit 414 im Jahr 2018 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hat. Seit Inkrafttreten der europäischen Fusionskontrolle hat die Kommission 30 Zusammenschlussvorhaben untersagt.
Für die bei jeder M&A-Transaktion vorzunehmende Prüfung, ob ein Unternehmens- oder Beteiligungskauf in den Anwendungsbereich der europäischen Fusionskontrolle fällt, empfiehlt sich folgende Prüfungsreihenfolge, der auch die weitere Darstellung folgt:
1. | Liegt ein von der FKVO erfasster Zusammenschlusstatbestand vor? |
2. | Sind die Schwellenwerte der FKVO erreicht, so dass der Zusammenschluss vor seinem Vollzug bei der Kommission angemeldet werden muss? |
3. | Sind die Untersagungsvoraussetzungen erfüllt oder ist eine Freigabe des Zusammenschlusses durch die Kommission zu erwarten? |
I. Zusammenschlusstatbestand
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Im Gegensatz zum deutschen Recht, das von einzelnen Zusammenschlussformen ausgeht, enthält die FKVO einen materiellen Zusammenschlussbegriff, der allein darauf abstellt, ob durch die Veränderung der Beziehungen zwischen Unternehmen die Möglichkeit entsteht, einen bestimmenden Einfluss auf die Tätigkeit des Zielunternehmens auszuüben. Auf die Rechtsform des Zusammenschlusses und die gesellschaftsrechtlichen Beziehungen zwischen den Unternehmen kommt es dagegen nicht an. Den Begriff des Zusammenschlusses und des Vollfunktions-Gemeinschaftsunternehmens hat die Kommission in einer Mitteilung zu Zuständigkeitsfragen näher erläutert.[3]
Beteiligte eines Zusammenschlusses können nur Unternehmen sein. Nach dem funktionalen Unternehmensbegriff umfasst der Begriff des Unternehmens im Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung.[4] Als Unternehmen kommen daher juristische Personen, diesen vergleichbare Rechtsträger und Körperschaften, natürliche Personen und auch Unternehmen der öffentlichen Hand in Betracht.
Ein Zusammenschluss setzt schließlich voraus, dass die betroffenen Unternehmen bisher derart voneinander unabhängig waren, dass keines die Möglichkeit eines bestimmenden Einflusses i.S.d. Art. 3 Abs. 3 auf die Tätigkeit des anderen hatte. Die FKVO findet daher keine Anwendung auf konzerninterne Veränderungen innerhalb einer wirtschaftlichen Einheit sowie auf Verstärkungen von bereits bestehenden Unternehmensverbindungen.[5]
1. Fusion
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Die eindeutigste Form des Zusammenschlusses liegt vor, wenn zwei oder mehr bisher voneinander unabhängige Unternehmen fusionieren, so dass eine neue wirtschaftliche Einheit entsteht (Art. 3 Abs. 1 lit. a FKVO). Die Fusion kann sowohl rechtlicher als auch wirtschaftlicher Art sein und ist nicht in ihrer engen gesellschaftsrechtlichen Bedeutung zu verstehen. Als rechtliche Fusion erfasst werden die in Deutschland in §§ 2 ff. UmwG geregelte Verschmelzung durch Neugründung oder durch Aufnahme des einen durch das andere Unternehmen.[6] Eine wirtschaftliche Fusion ist gegeben, wenn die Geschäftsaktivitäten zuvor unabhängiger Unternehmen rein tatsächlich zusammengelegt werden, wodurch diese zu einer wirtschaftlichen Einheit werden.[7] Dies geschieht dann, wenn sich, wie zum Beispiel bei der Errichtung eines Gleichordnungskonzerns gem. § 18 Abs. 2 AktG, zwei oder mehr Unternehmen vertraglich einer gemeinsamen wirtschaftlichen Leitung unterstellen, ohne dabei ihre Rechtspersönlichkeit aufzugeben.[8]
2. Kontrollerwerb
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Der in der Praxis häufigste Fall des Zusammenschlusses ist der Erwerb der Kontrolle über ein anderes Unternehmen (Art. 3 Abs. 1 lit. b). Unter dem Begriff der Kontrolle ist nach Art. 3 Abs. 3 die Möglichkeit zu verstehen, einen bestimmenden Einfluss auf die Tätigkeit eines Unternehmens auszuüben. Der bestimmende Einfluss muss an der unternehmensinternen Willensbildung anknüpfen und sich auf die wesentlichen unternehmerischen oder strategischen Entscheidungen beziehen. Unerheblich ist dabei, ob die Kontrolle unmittelbar, etwa durch Weisungsbefugnisse hinsichtlich bestimmter Geschäftsführungsmaßnahmen, oder mittelbar durch die Befugnis zur Bestellung und Abberufung der Mitglieder der Leitungsorgane der Gesellschaft, die wiederum unmittelbar oder mittelbar Einfluss auf die Geschäftsführung nehmen können, ausgeübt wird. Die Kontrollmöglichkeit ist ein rein objektives Kriterium. Es genügt daher bereits die bloße Möglichkeit des bestimmenden Einflusses, ohne dass dieser tatsächlich ausgeübt werden muss oder eine entsprechende Absicht hierzu besteht.
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Gegenstand der Kontrolle können nach Art. 3 Abs. 1 lit. b ein Unternehmen, mehrere Unternehmen oder Teile eines Unternehmens sein. Während das deutsche Recht beim Vermögenserwerb eine Beschränkung auf „wesentliche Unternehmensteile“ enthält (vgl. § 37 Abs. 1 Nr. 1 GWB), fehlt eine solche ausdrückliche Einschränkung in der FKVO. Nach Auffassung der Kommission ist allerdings erforderlich, dass die erworbenen Vermögenswerte als solche ein Geschäft darstellen, dem ein Umsatz auf dem Markt eindeutig zugeordnet werden kann.[9]
Als Mittel, mit denen die Kontrolle herbeigeführt werden kann, kommen in erster Linie der Erwerb von Anteilsrechten (share deal) oder Vermögenswerten (asset deal) in Betracht, ebenso aber auch Unternehmensverträge oder sonstige Vorgänge. Vorstufen des Anteilserwerbs, wie die Vereinbarung einer Option auf den Erwerb von Anteilsrechten, begründen grundsätzlich keine Kontrolle, soweit sie dem Inhaber keine gesellschaftsrechtliche Einflussmöglichkeit verschaffen und ihre Ausübung nicht als sicher erscheint.[10] Problematisch ist, ob auch schuldrechtliche Verträge und eine darauf oder auf tatsächliche Verhältnisse gegründete wirtschaftliche Abhängigkeit zur Kontrollbegründung ausreichen. Die Kommission geht davon aus, dass grundsätzlich auch eine wirtschaftliche Abhängigkeit zur Erlangung der Kontrolle führen kann, wenn beispielsweise langfristige Lieferverträge oder Lieferantenkredite in Verbindung mit strukturellen Verflechtungen einen bestimmenden Einfluss gewähren.[11]
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Kontrolle kann nach Art. 3 Abs. 1 lit. b von einem oder mehreren Unternehmen ausgeübt werden. Dementsprechend wird zwischen der Begründung alleiniger und gemeinsamer Kontrolle unterschieden. Ein Zusammenschluss i.S.d. FKVO liegt aber auch im Falle eines Wechsels von gemeinsamer Kontrolle durch mehrere Unternehmen zu alleiniger Kontrolle durch ein Unternehmen[12] sowie im umgekehrten Fall des Übergangs von alleiniger zu gemeinsamer Kontrolle vor, da es einen wesentlichen qualitativen Unterschied macht, ob ein bestimmender Einfluss allein oder gemeinsam ausgeübt wird.[13] Wird eine bestehende Kontrolle hingegen verstärkt, indem etwa zusätzliche Anteilsrechte an der Zielgesellschaft erworben werden, so liegt – anders als im deutschen Recht – kein neuer Zusammenschlusstatbestand vor.[14]
a) Alleinige Kontrolle
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Alleinige Kontrolle (sole control) wird i.d.R. erworben durch den Erwerb aller oder der Mehrheit der Stimmrechte, mit denen ein