Von dem zurückgetauschten Geld kaufte ich zu Hause eine Flasche echten Havanna Club, der in meiner Hausbar lange Zeit ein unbeachtetes Dasein frönte.
Nach sechs erlebnisreichen Tagen nahmen wir in Santiago de Cuba bewegt Abschied von der Insel und ihren stolzen Bewohnern.
Nur Fidel – den stolzesten Bewohner Kubas – den haben wir nirgends geseh’n.
An Bord der MS ARKONA stand uns eine zweiwöchige Kreuzfahrt über fünf Meere und mehr als 5000 Seemeilen nach Rostock bevor. Allerdings ohne Anlandungen, weder in der Karibik noch auf den Azoren und schon gar nicht am Ärmelkanal und an der Nordseeküste. Das waren die gefühlten Schattenseiten einer solchen Kreuzfahrt für DDR-Bewohner. Angeblich waren die Hafengebühren devisenpflichtig und zu kostenintensiv.
Selbst auf eine seemeilen- und zeitsparende Fahrt durch den Nord-Ostsee-Kanal wurde verzichtet. Hier sah man von staatlicher Seite wohl eher die Gefahr, dass sich regimekritische Bürger durch einen Sprung ins Wasser schwimmend leicht an das andere erstrebte Ufer begeben könnten.
Auch ohne gelegentlich vermisste Anlandungen gestalteten sich die zwei Wochen auf See für mich als unvergessliches Erlebnis. Sie legten den Grundstein für meine erwachenden Sehnsüchte nach luxuriösen Kreuzfahrten. Über fünf Meere musste ich kreuzen, um die Vorzüge für einer Kreuzfahrt für mich als Schattenspringer zu entdecken.
Vom sonnigen Karibischen Meer ging es in das große besonders tiefe und klare Meeresgebiet der Saragossasee, in der sich die bei uns so beliebten Aale vermehren, bevor sie die Reise in unsere heimatlichen Gewässer antreten. Munter wie die Aale im Wasser feierten wir an Bord ein großes Kolumbusfest, bei dem sich Neptun, der Gott des Meeres, mit seinem Gefolge die Ehre gab.
Für mich war es ein besonderes unbeschwerliches Erlebnis. Zum ersten Mal nahm ich an einer solchen vorzüglich improvisierten Strandparty teil. Bisher hatte ich immer auf die Teilnahme an derartigen Veranstaltungen verzichten müssen, weil es direkt am Strand für mich meist viel zu sonnig war und die möglichen Rückzugsorte in den Schatten zu weit vom unmittelbaren Geschehen entfernt waren. Hier an Bord der ARKONA fühlte ich mich in das fröhliche Treiben am Pool unmittelbarer einbezogen. Das werktätige Volk feierte unbeschwert und ausgelassen, aber diszipliniert. Und ich gehörte dazu. Im Schatten des darüber liegenden Decks sangen wir alle voller Inbrunst gemeinsam mit dem Schlagerduo Gabi Munk/Ingo Krämer das Arkona-Lied:
„Auf der Arkona, ja da kommt so was vor.“
Ich nahm auch auf späteren Kreuzfahrten gern an den Neptun-Festen, Äquator-Taufen oder Piraten-Partys teil. Aber keines dieser Bordfeste blieb mir so nachhaltig in Erinnerung wie das Kolumbusfest auf der MS ARKONA.
Auf ewig im Gedächtnis bleibt mir ebenfalls die sich anschließende Fahrt über den stürmischen Atlantischen Ozean.
Brückenbesichtigung, Skatturnier, Popgymnastik sowie Foren und Filmgespräche mit bekannten mitreisenden DEFA-Schauspielern lenkten tagsüber von den zunehmend unangenehmer werdenden Witterungsbedingungen auf den Außendecks ab.
Die Abendessen krönten allerlei kulinarische Genüsse. Hervorzuheben der rustikale „Mecklenburgische Bauernmarkt“ mit Spezialitäten der norddeutschen Küche und typischen Seemannsgerichten. Da gab es den Müritz-Aal vom Grill, Labskaus mit Spiegelei, Plumm un Trüffel, Mecklenburger Schlachtesuppe, Anklamer Heidelbeeren mit Rahm und vieles, vieles andere aus der unmittelbaren heimatlichen Umgebung. Unvergessen aber auch die kulinarische Weltreise mit ausgesuchten Spezialitäten fremder Länder. Riesengarnelen aus Vietnam, Weinbergschnecken aus Frankreich, Truthahnsteak aus den USA, Melonensuppe aus Mexiko bzw. Kaffee Luzern aus der Schweiz. Unvergessen vor allem deshalb, weil ich Garnelen und anderen Meeresfrüchten seither, gelinde gesagt, skeptisch gegenüberstehe. Woran das liegt? Wahrscheinlich an der Einstellung: „Wat de Buer nich kennt, dat frett he nich.“ Oder führten die folgenden Auswirkungen dazu?
Als wir uns am späten Abend nach der „kleinen“ kulinarischen Weltreise in unsere Kabinen begaben, wunderten wir uns über die Tüten, die überall hinters Geländer auf dem Gang und auf der Treppe geklemmt waren. Wir maßen dem aber weiter keine ernsthafte Beachtung bei. Eher machten wir uns lustig über unser Schwanken von einer Gangseite zur anderen. Auch im Bauch wurde es mir ein bisschen mulmig. Waren es die Folgen des Pub-Besuchs? Oder der kulinarischen Weltreise mit Meeresfrüchten? Oder schaukelte unser Schiff?
In der Nacht wurde ich plötzlich wach. Alles drehte sich. Meine Kameraden schienen zu schlafen. Mein Magen begann zu rebellieren. Nur gut, dass ich ein unteres Bett hatte. Mühsam schlich ich mich – an allem, was greifbar war, krampfhaft festhaltend – zur Toilette, wo ich mich von allem Ungemach geräuschvoll mehrfach entledigte. Und dabei hatte ich ständig diesen für mich immer wiederkehrenden äußerst unangenehmen Geschmack von Meeresfrüchten im Mund. So elend hatte ich mich lange nicht mehr gefühlt. In dieser Nacht raubte ich noch ein paarmal meinen Kameraden den Schlaf. Sie ertrugen es weitgehend kommentarlos. Am Morgen erfuhren wir, dass es in der Nacht angeblich Windstärke 7 Bf, Seegang 6 und Dünung 7 m waren.
Nur Windstärke 7? Für mich war es ein Orkan.
Der Frühstücksraum am nächsten Morgen soll ziemlich leer gewesen sein, wie mir berichtet wurde. Anscheinend ging es anderen Passagieren wie mir. Noch ein paar weitere Tage hatte ich mit meiner ersten Seekrankheit und flauem Magen zu kämpfen. Die Tüten auf den Gängen hatten plötzlich eine beruhigende Wirkung auf mich.
Wie durch ein Wunder blieb ich bei allen weiteren Kreuzfahrten allerdings von diesem Unwohlsein auf See verschont. Selbst in der Antarktis bei Windstärke 12 blieb ich später aufrecht und standhaft. Ich hoffe, dieser Zustand hält für ewig an. Die Aversion gegenüber Meeresfrüchten habe ich, nebenbei bemerkt, bis heute nicht überwinden können.
Ohne erwähnenswerte Beeinträchtigungen durchfuhren wir auch die beiden weiteren Meere unserer Kreuzfahrt über fünf Meere, die frühlingshafte Nord- und Ostsee.
Zum besseren Erinnern und um alles noch rosiger erscheinen zu lassen, hatte ich die Flasche Havanna Club, die seit vielen Jahren in der hintersten Reihe meiner Hausbar ein fast vergessenes Dasein fristete, hervorgeholt und sie neben die Machete gestellt.
Beim Anschauen der Flasche sollte es nicht bleiben. Der Augenblick war gekommen, den Inhalt nach Jahren erneut zu probieren. Ich mixte mir einen Cuba Libre, schlürfte ihn genussvoll und schwelgte in Erinnerungen. Schon beim zweiten Gläschen sprudelten die Wörter und Sätze in nie erahnter Poesie ungebändigt nur so aus mir hervor.
Das Klingeln des Telefons unterbrach meine poetischen Ergüsse. Meine langjährigen Freunde wollten sich, wie fast täglich in den Corona-Zeiten, telefonisch nach meinem Wohlbefinden erkundigen:
„Hallo, wir wollten nur mal hören, wie es dir geht. Quälst du dich noch mit den Erinnerungen an die Kuba-Reise?“ (Ich hatte sie über die Fortsetzung meines Schreibprojekts informiert.)
„Ich quäle mich doch nicht. Ich bin auf Wolke 7.“
„Wie das? Bist du so gut vorangekommen? Oder hast du was genommen?“
„Natürlich, ich habe endlich die Rumflasche von damals geköpft. Jetzt schwelge ich in ‚rosegen‘ Erinnerungen. Ganz zu meinem Namen passend.“
„Na, das Kapitel kann ja heiter werden.“
„Gebe es euch aber nur zum Lesen, wenn ihr dabei auch den Rum genießt. (Ich wusste ja, dass mein Freund dann lieber auf das Lesen verzichten würde.) Für heute höre ich jetzt aber auf. Der Flascheninhalt muss noch morgen für weitere Seiten reichen.“
In bester Laune verabschiedeten wir uns.
Dank der Schreibfortschritte und des Interesses meiner Freunde an meinem Wohlergehen (oder lag es am Rum?) ging ich mit einem glückseligen Gefühl zu Bett und schlief bald ein.
Doch was war das?
Plötzlich stand Fidel