Als bekannter Satiriker betrachtet Kaminer in seinem Buch „Die Kreuzfahrer“ ein Kreuzfahrtschiff als „schwimmende Oase des Glücks mit Bar, Tanzabenden und dem reibungslosen Übergang von einer Mahlzeit in die nächste“ mit verständlichem Augenzwinkern. Neben den gefälligen Glücksoasen habe ich auch manch andere Seite der Kreuzfahrt kennengelernt.
Die Schauspielerin Heidi Keller, bekannt als langjährige Chefhostess Beatrice in den Traumschiff-Filmen, wirft in ihren Erinnerungen „Traumzeit und andere Tage“ warmherzig, humorvoll und mit ein wenig Selbstironie einen Blick hinter die Kulissen der „Dreharbeiten an Bord und an den schönsten Orten der Welt“. Mehrmals konnte ich Heide Keller persönlich bei den einprägsamen Dreharbeiten zum „Traumschiff“ aus unmittelbarer Nähe beobachten und viele ihrer Eindrücke nachempfinden.
Christoph M. Herbst präsentiert uns in „Ein Traum von einem Schiff“, in seiner unverwechselbaren Art zu schreiben, Schiffsaufzeichnungen von drei Wochen Dreharbeiten auf dem Traumschiff. Für mich lässt er jedoch offen, ob die Zeit an Bord für ihn mehr Traum oder Alptraum war. Ich hätte es gern genauer gewusst. Denn bekanntlich gibt es ja überall Schatten und Licht. Natürlich auch auf Kreuzfahrten. Vieles liegt wie so oft im Auge des Betrachters.
Die erwähnten Geschichten von Kaminer, Keller oder Herbst entstanden im Wesentlichen im Zusammenhang mit beruflichen Tätigkeiten der Autoren und den entsprechenden Interessen.
Ich betrachte meine Kreuzfahrterlebnisse aus einer völlig anderen Sicht. Aus der Sicht eines in gewisser Weise außergewöhnlichen Touristen. Eines Kreuzfahrers, der das Sonnenlicht scheut und den Schatten bevorzugt. Der gern mal von der sonnigen in die entgegengesetzte Seite springt und dabei sowohl heitere als auch bedenkliche Dinge ganz privat und individuell erlebt und reflektiert. Ein Schattenspringer von Natur aus, ohne kommerzielle Interessen.
Warum Schattenspringer?
Wer ist denn ein Schattenspringer?
Worin unterscheidet sich ein Schattenspringer von einem der üblichen Kreuzfahrer?
Wie erlebt und reflektiert ein Schattenspringer Kreuzfahrten?
Diese oder ähnliche Fragen haben Sie sich vielleicht schon beim Lesen des Titels dieses Buches gestellt.
„Schattenspringer auf Kreuzfahrt“ – da hat der eine oder andere Leser unter Umständen an das eher bekannte Wort Schattenkinder gedacht. So wurden und werden oftmals Kinder bezeichnet, die aus unterschiedlichen Gründen weniger Aufmerksamkeit bekommen, als ihnen üblicherweise zuteilwerden sollte oder müsste. Dazu zählt man ebenso bemitleidenswerte, vernachlässigte und/oder notleidende Kinder in Kriegs- und Krisengebieten, die auf der Schattenseite unserer Gesellschaft leben. Aber auch Kinder mit einer außergewöhnlich blassen Gesichts- und Hautfarbe, die zumeist auf eine genetische Ursache zurückzuführen sind, werden den Schattenkindern häufig zugeordnet.
Nein, zu all diesen Personen gehört der von mir titulierte Schattenspringer im Allgemeinen nicht. Allein die blasse Hautfarbe trifft oftmals auf ihn zu. Für Schattenspringer, die ich meine, sind zumeist andere Eigenheiten, Verhaltensweisen und Ursachen kennzeichnend und typisch.
Vielleicht hat der eine oder andere von Ihnen schon mal eine Person beobachtet, belächelt oder gar gehänselt, die bei herrlichem Sonnenschein immer auf die Schattenseite der Straße flüchtet, die in Bus und Bahn vehement nach einem Platz Ausschau hält, auf den möglichst kein einziger Sonnenstrahl fällt. Es sind Frauen, Männer und Kinder, die immer – auch bei größter Hitze und selbst am Strand – den ganzen Körper bedeckende Kleidung tragen, mitunter sogar Handschuhe und Kopfbedeckung mit Nackenschutz. Wenn Ihnen Personen mit diesen Verhaltensweisen aufgefallen sind, dann könnten Sie eventuell so einem von mir gemeinten Schattenspringer begegnet sein.
Schattenspringer ist eine inoffizielle Bezeichnung für eine Person mit einer äußerst seltenen Erkrankung, die sich unter anderem in dem beschriebenen typischen Verhalten äußert: In einem auf den Beobachter manchmal fast panisch wirkenden Rennen von einem Schattenfleck zum nächsten, damit die Haut so wenig Sonne und Licht wie möglich abbekommt. Denn jeder Sonnenstrahl fühlt sich für diese Personen wie eine brennende Nadel an, die tief in die Haut eindringt, dort noch lange Schmerzen verursacht und die Haut verunstalten kann.
Derartige Schattenspringer sind Personen, die deshalb eine extreme Scheu vor Sonnenlicht entwickeln, sodass sie auf viele Aktivitäten im Freien verzichten müssen. Sonnige Strandaufenthalte am Tag sind fast undenkbar. Ebenso wie Schwimmen oder Ballspiele im Freien. Diese Personen leiden an einer äußerst seltenen Krankheit – an der Erythropoetischen Protoporphyrie, kurz EPP genannt.
Zu diesen seltenen krankhaften Schattenspringern mit den auffallenden Verhaltensweisen gehöre ich seit meiner Kindheit. Und bis heute fühle ich mich auch ein bisschen wie so ein erwähntes Schattenkind, obwohl inzwischen schon im fortgeschrittenen Alter. Eine Bleichnase mit markanten Spuren sowohl auf Nase und Haut als auch auf der Seele.
Wenn man wie ich mit diesem krankhaften Drang nach Schattensuche aufgewachsen ist und lange Zeit damit verbracht hat, ständig in die Dunkelheit zu fliehen, ist man eines Tages die Dunkelheit leid. Man sehnt sich insgeheim umso mehr hinaus in den Sonnenschein und in ein fröhliches Strandgetümmel. Man träumt von unbeschwerten Aufenthalten an exotischen Stränden in tropischen Gefilden. So geht es jedenfalls mir.
Eventuell führte gerade die jahrelange Lichtabstinenz in meiner Kinder- und Jugendzeit zu meiner ungebändigten Sehnsucht, Licht- und Schattenseiten fremder Länder und Menschen persönlich kennenzulernen.
Frei nach dem Rat des Dalai Lamas muss ich, seit die Reisemöglichkeiten es mir erlauben, einmal im Jahr ein Land besuchen, in dem ich noch nie war. Inzwischen sind es mehr als hundert Staaten und alle Erdteile.
Anfangs führten mich Rundreisen mit Bus, Bahn oder Flugzeug durch die DDR und in die Nachbarländer, später durch viele Länder der Welt.
Nach erlebnisreichen sonnigen Tagen und vielen darauf folgenden Nächten mit Schmerzen auf der Haut und der Seele, aber dennoch immer mit dem Gefühl, dem Licht und der Sonne getrotzt zu haben, entdeckte ich nach den ersten Reisen mit einem Schiff zunehmend die Vorzüge von Kreuzfahrten für mich.
Auf einem Schiff gibt es selbst am Pool fast immer Plätze auf einer Schattenseite. Allerdings manchmal schwer umkämpft, wie noch zu lesen sein wird.
Und wenn sich Lichtempfindlichkeiten auf der Haut andeuten, kann man sich auf einem Schiff unverzüglich und problemlos in die Kabine oder einen der Aufenthaltsräume mit Panoramablick auf das Meer oder den Hafen zurückziehen. Trotzdem ist man in unmittelbarer Nähe der Familie, der Freunde oder Reisebekanntschaften.
Da kann für Schattenspringer selbst eine dunkle klimatisierte Innenkabine im Bedarfsfall ein äußerst angenehmer und vorteilhafter Rückzugsort sein.
Außerdem kann auf einer Kreuzfahrt, wenn man seine lichtempfindlichen Einschränkungen wieder einmal vergessen oder überschätzt hat, bei gesundheitlichen Problemen der Schiffsarzt jederzeit konsultiert werden.
Nicht zu vergessen sind an Bord ebenso die Cafés oder Bars mit Panoramablick, in denen man das Meer und die Landschaft, vor intensiver Sonnenstrahlung geschützt, an sich vorbeiziehen lassen kann.
Abends haben es mir persönlich die teilweise überdachten Bars am Heck des Schiffes mit dem romantischen Blick aufs Meer und den nächtlichen Sternenhimmel sehr angetan, weil dort meist ein leichter Fahrtwind weht, der die manchmal arg strapazierte Haut angenehm kühlt.
Vielleicht können meine Erfahrungen auch andere Schattenspringer anregen, sich – soweit es natürlich ihre finanziellen Möglichkeiten erlauben – einmal auf Kreuzfahrt zu begeben und die erwähnten Vorzüge zu testen.
Als Kreuzfahrer aus dem Osten habe ich in der Wendezeit und leider noch Jahre später aber auch so manch andere unerwartete Schattenseite mit Schmerzen nicht auf der Haut, dafür auf der strapazierten Seele erlebt. In diesem Fall bin ich lange Zeit unter einem ganz anderen Blickwinkel als Schattenspringer gereist.
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