Person und Religion. Ciril Rütsche. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ciril Rütsche
Издательство: Bookwire
Серия: Tübinger Studien zur Theologie und Philosophie
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783772000256
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Art handelt, als sowohl die Prämissen in ihrer WahrheitWahrheit als auch die Gültigkeit der SchlussformGültigkeit der Schlussform erkannt werden. Und selbst dann, wenn ihm nur wenige zustimmen, selbst dann verliert der Beweis den Charakter objektiver und gewisser ErkenntnisErkenntnis nicht. Denn sobald die SchlussfolgerungSchlussfolgerung einen Bezug zum eigenen Leben hat, was in der ReligionReligion genauso der Fall ist wie in verschiedenen anderen Gegenstandsbereichen auch, die die eigene WeltanschauungWeltanschauung betreffen, setzt die Erlangung der EinsichtEinsicht eine sachlich angemessene Haltung voraus.1 Wie erwähnt, kann auch ein ArgumentArgument ein Beweis sein, es kann aber auch eine BegründungBegründung sein, die nicht auf evidenten Prämissen beruht und die KonklusionKonklusion nicht mit Gewissheit erkennen lässt, sondern nur plausibel macht.2

      Was sodann von Hildebrands Beweisgänge für die ExistenzExistenz Gottes betrifft, so konzentrieren sie sich in den kosmologischen Argumenten (auf diesen Seiten v.a. in den bekannten fünf Wegen des Thomas von AquinThomas von Aquin3), welche zwar nicht apriorisch, aber auch nicht empirisch im gewöhnlichen SinnSinn des Wortes sind, denn die ErkenntnisErkenntnis der Existenz Gottes wird nicht auf induktivem Weg erlangt. Empirisch ist nur die RealkonstatierungRealkonstatierung eines kontingenten Seienden. Unter Zugrundelegung der zweiten Prämisse, dass jedes kontingente Seiende einer extramundanen UrsacheUrsache für seine Existenz bedarf, erreicht die Erkenntnis der Existenz des absolut Seienden – in Bezug auf die Gewissheitsstufe – dieselbe Erkenntnisdignität wie die apriorischen Sachverhalte. Diesen Gedankengang entfaltet er in einem Gespräch dahingehend, dass die Ursache der menschlichen PersonPerson ein personaler GeistGeist sein müsse, da etwas ApersonalesApersonales nach allen Regeln der KausalitätKausalität unmöglich Ursache von etwas Höherem sein könne, wie dies von den Vertretern der EvolutionstheorieEvolutionstheorie behauptet wird.4

      Während von HildebrandHildebrandDietrich von beim Dasein Gottes von Beweisen spricht, versteht er die Argumente, die das SoseinSosein Gottes erhellen sollen, als Hinweise.5 Hinweise auf GottGott sind ihm die WerteWerte. Das sind jene Wirklichkeiten, die nicht nur wichtig sind für die eigene PersonPerson, die vielmehr in sich wichtig und bedeutsam sind und infolge ihres metaphysischen Wesens nicht geleugnet werden können, ohne stillschweigend wieder eingeführt zu werden. Hinweise auf Gott, den von HildebrandHildebrandDietrich von als den Inbegriff aller WerteInbegriff aller Werte bezeichnet, sind die Werte auf verschiedene Weise. Grundsätzlich unterscheidet er zwischen den ontischen Werten, die Gott abbilden, und den qualitativen Werten, die eine BotschaftBotschaft enthalten.6 Was in objektiver und intrinsischer Weise bedeutsam ist, das wird auf dem Wege eines intuitiven, eines unmittelbaren Affiziertwerdens erfasst. In seinen späteren Schriften versteht er es als einen radikal anderen Typ von Berührung mit dem Wert als bei der WerterkenntnisWerterkenntnis.7 Das AffiziertwerdenAffiziertwerden von den Werten charakterisiert er als ein WertfühlenWertfühlen. Ein Fühlen, wie es beispielsweise beim Hören einer erhebenden Melodie oder beim Miterleben einer bösen Tat erfahren werden kann. Wird der Wert gefühlt, erlaubt das notwendige Sosein des Wertes ein VerstehenVerstehen von innen her, wie es ohne diese Erfahrung nur sehr beschränkt möglich ist.8

      Eine entscheidende Frage war vor dem Hintergrund der ErkenntnistheorieErkenntnistheorie von Hildebrands in Verbindung mit seinem Verständnis Gottes als des Inbegriffs aller WerteWerte, ja als der Personifikation der Werte – GottGott ist die GüteGüte, die LiebeLiebe etc. –, dann vor allem, warum von HildebrandHildebrandDietrich von das ontologische ArgumentArgument als ungültig zurückgewiesen hat.9 Ist es doch gerade dieses Argument, mit dem die ExistenzExistenz Gottes aus seinem SoseinSosein erkannt werden soll. Denn ungültig wäre das Argument ja nur dann, wenn die Bejahung der Prämissen und die Verneinung der KonklusionKonklusion keinen formal- oder materiallogischen WiderspruchWiderspruch zwischen Prämissen und Konklusion ergeben würde.10 Wenn aber der absolute Wert bzw. der Inbegriff aller WerteInbegriff aller Werte nur die vollkommene PersonPerson sein kann und wenn die VollkommenheitVollkommenheit die reale Existenz notwendigerweise bedingt, dann wäre die Folgerung auf die notwendige reale Existenz der vollkommenen Person nur unter der Voraussetzung ungültig, dass die Bejahung der Prämissen, dass der Inbegriff aller Werte nur die vollkommene Person sein kann und ihre Vollkommenheit die reale Existenz notwendigerweise bedingt, bei gleichzeitiger Verneinung der Konklusion der realen Existenz des vollkommenen Wesens keinen Widerspruch zwischen den Prämissen und der Konklusion ergeben würde. Da sich aber ein Widerspruch zwischen der Bejahung der Prämissen und der Verneinung der Konklusion ergibt – dergemäss das vollkommene WesenWesen nicht real existiert –, muss das Argument zumindest aus dieser Perspektive als gültig verstanden werden. Selbstverständlich setzen die volle Gültigkeit und die gewisse ErkenntnisErkenntnis der Konklusion v.a. voraus, dass die WahrheitWahrheit der Prämissen mit unbezweifelbarer EvidenzEvidenz erkannt wird.11

      Was immer aber der nähere Grund seiner Zurückweisung auch gewesen sein mag, eine sachliche Analyse kommt jedenfalls unweigerlich zum Ergebnis, dass von HildebrandHildebrandDietrich von das ArgumentArgument implizit bejaht hat und es auch explizit hätte anerkennen müssen, hätte er um die Theorie der reinen Vollkommenheitenreine Vollkommenheiten und die mit ihr gegebene angemessene BegründungBegründung des ontologischen Arguments gewusst. Implizit hat er es aufgrund dessen bejaht, dass er die sittlichen WerteWerte als die höchsten, die wichtigsten und die zentralsten bezeichnete, die sittlichen Werte aber gerade diejenigen sind, bei denen es sich in vielen Fällen um reine Vollkommenheiten handelt, z.B. bei der GüteGüte, der WahrhaftigkeitWahrhaftigkeit, der GerechtigkeitGerechtigkeit oder der LiebeLiebe, die von HildebrandHildebrandDietrich von selbst GottGott zugeschrieben hat.12 Wie erwähnt, gibt es nebstdem gewisse sittliche Wertesittliche Werte, wie beispielsweise die BescheidenheitBescheidenheit oder die DemutDemut, die die kreatürliche BegrenztheitBegrenztheit und Geschaffenheit des Subjekts voraussetzen, und da sie keine UnendlichkeitUnendlichkeit zulassen, den gemischten Vollkommenheiten zuzurechnen sind.13

      Wenngleich der BegriffBegriff des Wertes auch weiter ist und neben den sittlichen noch andere WerteWerte umfasst, so weisen bestimmte sittliche Wertesittliche Werte dennoch die formalen Merkmale göttlicher Eigenschaften auf: Sie sind absolut besser zu sein als nicht zu sein, sie lassen UnendlichkeitUnendlichkeit in einer Weise zu, dass sie nur in der unendlichen FormForm wahrhaft sie selber sind, sie sind gegenseitig verträglich, ja können in einem solchen Sinne alle gleichzeitig besessen werden, dass keine wahrhaft sie selber ist ohne all die anderen und schliesslich können auch die Werte weder von etwas anderem deduziert noch auf anderes reduziert werden. Diese nicht-anthropomorphen Merkmale der reinen Vollkommenheitenreine Vollkommenheiten in Verbindung mit dem kosmologischen ArgumentArgument und dem zureichenden Grundzureichender Grund der menschlichen PersonPerson geben GottGott als absolute und vollkommene Person zu erkennen.14 Auch konnte die kritische Anfrage, ob die Werte überhaupt einen SeinsgrundSeinsgrund ausserhalb ihrer selbst benötigen, auf der Basis der intelligiblen Struktur der WirklichkeitWirklichkeit mit verschiedenen Argumenten zurückgewiesen werden, welche letztlich alle darauf hinausliefen, dass die Werte in Gott notwendigerweise ihr letztes Fundament und ihre letzte Wurzel haben.15

      Die auf dieser Grundlage erörterten religionskritischen Thesen von FeuerbachFeuerbachLudwig, WittgensteinWittgensteinLudwig und DawkinsDawkinsRichard zeigten ihre Unvernünftigkeit in vielerlei Hinsicht. Während Feuerbach insbesondere an der vermeintlichen Steigerbarkeit der menschlichen Eigenschaften zu unendlicher Perfektion scheiterte,16 litt Wittgensteins gegen die ReligionReligion erhobener Unsinnigkeitsvorwurf allzu stark an der Wende zur Sprache und im Verbund mit einem empiristischen Erfahrungsverständnis mangelte es ihm an einem angemessenen Erkenntniskorrelat, was eine vertiefte Beschäftigung mit den in sprachlichen Sätzen ausformulierten und behaupteten Sachverhalten unterband bzw. von vornherein verunmöglichte.17 Die von DawkinsDawkinsRichard vertretene EvolutionstheorieEvolutionstheorie schliesslich, nach der die Religion wie die menschliche PersonPerson und das gegenwärtig Seiende insgesamt einen bestimmten Stand der additiven Einbahnstrasse evolutiver Höherentwicklung darstelle, konnte als falsch ausgewiesen werden. Und zwar durch das Aufzeigen der Unmöglichkeit, dass das BewusstseinBewusstsein eine Begleiterscheinung des (materiellen) Gehirns ist. Was in erster Linie durch den Aufweis der unzusammengesetzten IndividualitätIndividualität als Bedingung der bewussten geistigen Erfahrungen gelang und in den Wesensanalysen der FreiheitFreiheit ebenso wie des Erkennens seine Bestätigung fand.18

      III