Handelt es sich beim PersonseinPersonsein also tatsächlich nicht um eine reine VollkommenheitVollkommenheit? Für eine philosophische Gotteslehre hätte dies auf den ersten Blick zur Folge, dass GottGott keine PersonPerson sein kann. Wenn es als gesichert betrachtet wird, dass die reinen Vollkommenheitenreine Vollkommenheiten nicht nur in Gott wirklich sind, sondern dieser die reinen Vollkommenheit selbst ist, dann scheint es unausweichlich, Gott das Personsein abzusprechen. Denn wenn Gott die reinen Vollkommenheitenreine Vollkommenheiten selbst ist, das Personsein aufgrund des nicht irreduzibel einfachen Seins aber keine reine Vollkommenheit sein kann, ergibt sich in logischer Folge, dass Gott keine Person sein kann. Diese Schwierigkeiten gehen in der Tat sehr tief und erwecken den Anschein, als ob sich entweder in der Theorie der reinen Vollkommenheitenreine Vollkommenheiten ein Fehler verbergen müsse oder aber die Person nicht auf einer solch unüberbietbaren Höhe über allen nichtpersonalen Entitäten steht. Wenngleich es mysteriös anmutet, so aber scheint es doch, als gehöre zur reinen Vollkommenheit des Personseins immer eine einmalige IdentitätIdentität, als impliziere der Besitz der reinen Vollkommenheit des Personseins immer den Besitz von etwas, das keine reine, sondern eine gemischte Vollkommenheitgemischte Vollkommenheit ist.
Der Klärung rückt man ein wesentliches Stück näher, wenn sowohl die Dimension der TranszendenzTranszendenz der Einzelperson als auch die GemeinschaftGemeinschaft unter den Personen ins Auge gefasst wird. Es liegt im WesenWesen der PersonPerson, zur vollen Teilnahme am Wohlergehen der Anderen aufgerufen zu sein. Die Person lebt in der Welt nicht als isolierte SubstanzSubstanz, sondern über sich selbst hinausschreitend, nimmt sie am Leben der anderen Personen teil. Dieses gemeinsame Leben von Personen kulminiert in der Idee der perfekten Gemeinschaft, in der die Begrenzungen des individuellen Personseins in gewisser Weise überschritten und in ihren Wert gesetzt werden. Um keinen Aspekt der WirklichkeitWirklichkeit ausser Acht zu lassen, von dem ein Hinweis zur Lösung des vorliegenden Problems zu erhoffen ist, sei schliesslich noch ein theologisches ArgumentArgument beigebracht. Existierte nur eine göttliche Person, so der Ausgangspunkt, wie dies etwa die jüdische ReligionReligion lehrt, dann könnte diese spezifische IdentitätIdentität eine reine VollkommenheitVollkommenheit sein. Wenn aber GottGott, wie die Christen glauben, drei verschiedene Personen ist, dann kann die individuelle Identität einer jeden göttlichen Person keine reine Vollkommenheit sein. Weil in diesem Fall auch die Personen der Dreifaltigkeit einer reinen Vollkommenheit ermangeln würden, denn wenn das Vatersein eine reine Vollkommenheit wäre, dann wäre das Vatersein absolut besser als das Nicht-Vater-Sein; dem Sohn und dem Heiligen GeistGeist würde diese reine Vollkommenheit aber nicht zukommen, ihnen würde also zumindest eine reine Vollkommenheit fehlen. Was der Trinitätstheologie als gesichert gilt, ist auch seitens der Philosophie zu erkennen, dass es nämlich keine reine Vollkommenheit sein kann, diese bestimmte Person anstelle einer anderen Person zu sein.
So lässt sich abschliessend festhalten, dass das UrteilUrteil „Das PersonseinPersonsein ist eine reine VollkommenheitVollkommenheit!“ weder gegen die angeführten Wesenscharakteristika der reinen Vollkommenheitenreine Vollkommenheiten verstösst noch die PersonPerson der unüberbietbaren Höhe beraubt, die sie gegenüber allen nichtpersonalen Entitäten einnimmt. Und zwar gelingt dies – wie gesehen – unter der Voraussetzung, dass die reine Vollkommenheit des Personseins auf die unverletzliche und unveräusserliche IndividualitätIndividualität beschränkt wird, währenddem es keine reine Vollkommenheit ist, diese bestimmte Person anstelle einer anderen zu sein.22
Wenn in der Folge die TheseThese zu begründen gesucht wird, dass der MenschMensch auf die ReligionReligion angelegt ist, indem er mit Denken, Fühlen und Wollen die notwendigen Voraussetzungen erfüllt, um einen Dialog mit der absoluten PersonPerson führen zu können, so sei zuerst eine Stelle aus dem Oeuvre von Hildebrands zitiert, in der er die wesentlichsten Merkmale der geistigen Person in kurzer und prägnanter Weise zur Sprache bringt. Daraufhin werden die genannten Kräfte des Denkens, Fühlens und Wollens analysiert. Wobei das Denken nicht mehr eigens untersucht werden wird, da es weiter oben bereits unter dem Titel des Erkennens auseinandergesetzt wurde (vgl. Abschnitt I). Der folgende Text möge weiter in die Thematik einführen:
Die geistige PersonPerson stellt eine noch vollkommenere FormForm des Seienden dar [als das Reich der Lebewesen]: ein vernünftiges WesenWesen mit der Fähigkeit, sich und die Welt zu erkennen, eine sinnvolle AntwortAntworttheoretische auf das wahrgenommene Objekt zu geben und frei nach eigenem WillenWillen zu entscheiden; ein Wesen, das VerantwortungVerantwortung besitzt, fähig ist, Träger sittlicher WerteWerte zu sein und mit anderen Personen in GemeinschaftGemeinschaft zu treten.23
2 Das Zusammenwirken und gegenseitige Befruchten von VernunftVernunft, Wille und Herz und das geistig-intentionale affektive Leben der PersonPerson
Wohl ist das ErkennenErkennen einer der tiefsten Wesenszüge der geistigen PersonPerson,1 doch ist es recht besehen eine Trias von geistigen Zentren, die im Menschen besteht: „VernunftVernunft, Wille und Herz (GefühlGefühl), die bestimmt sind zusammenzuwirken und einander zu befruchten“2. Vernunft, Wille und Herz sind ihm die „drei grundlegenden Zentren“, die „drei fundamentalen Fähigkeiten oder Wurzeln im Menschen“.3 Von HildebrandHildebrandDietrich von war jedoch nicht der erste Denker, der im Menschen verschiedene Vermögen oder Kräfte unterschied. Das tat – noch vor AugustinusAugustinus – bereits PlatonPlaton, indem er zwischen einem vernünftigen (logistikon), einem begehrlichen (epithimitikon) und einem zornmütigen (timoeides) Seelenteil unterschied.4
Von HildebrandHildebrandDietrich von sieht „das Geheimnis der menschlichen PersonPerson“ jedenfalls im Herzen bzw. im GefühlGefühl gelegen, „hier wird ihr innerstes WortWort gesprochen“.5 Der Ausdruck „Gefühl“ ist jedoch – ähnlich wie im Falle des oben besprochenen Begriffs der Erfahrung – alles andere als univok. Das liegt einmal daran, dass das Herz in der Geschichte der Philosophie weitgehend vernachlässigt und der VernunftVernunft und dem WillenWillen untergeordnet wurde. Auszunehmen ist davon aber zumindest Blaise PascalPascalBlaise, der unter anderem sagen konnte: „Das Herz und nicht die Vernunft nimmt GottGott wahr.“6 Auch Sören KierkegaardKierkegaardSören (1813–1855) hat in seinem programmatischen Hauptwerk Entweder-Oder vom Fühlen gesprochen. Er macht die ethische Reifung davon abhängig, ob „die PersönlichkeitPersönlichkeit mit ihrer ganzen Energie die Intensität der Pflicht gefühlt hat“7. „Die Hauptsache ist darum nicht, ob ein MenschMensch an den Fingern herzählen kann, wie viele Pflichten er hat, sondern dass er ein für allemal die Intensität der Pflicht so empfunden hat, dass das BewusstseinBewusstsein davon ihm die GewissheitGewissheit der ewigen Gültigkeit seines Wesens ist.“8
Den Hauptgrund der Diskreditierung des Herzens verortet von HildebrandHildebrandDietrich von „in der Loslösung der affektiven AntwortAntworttheoretische von dem motivierenden Objekt“9. Was sich gerade auch im Bereich der ReligionReligion zeigt. Sobald die religiösen Haltungen nämlich von ihrem Gegenstand abgelöst werden und die Frage nach der ExistenzExistenz Gottes beiseite geschoben und er als „blosses Postulat für den Genuss religiöser Gefühle“ betrachtet wird, „werden die religiösen AntwortenAntworten ihres wahren Sinnes und Gehaltes beraubt“.10 Das gibt zu erkennen, wodurch die Religion zur Unvernünftigkeit degradieren kann, es zeigt aber auch, dass die Vernünftigkeit der Religion ein intentionales, ein gegenstandgerichtetes Gefühlsleben bedingt.11
Zu den bedeutenden philosophischen Taten von Hildebrands ist auch seine Unterscheidung zwischen nichtgeistigen und geistigen Formen der AffektivitätAffektivität zu zählen. In grundlegender Weise differenziert er zwischen leiblichen