Distinktion durch Sprache?. Martina Zimmermann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Martina Zimmermann
Издательство: Bookwire
Серия: Tübinger Beiträge zur Linguistik (TBL)
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783823300342
Скачать книгу
rege ihnen vorbehaltene Privilegien wie etwa das Braurecht nutzten.

      Konzentriert man sich auf die Schweiz und die dortigen Universitätsgründungen in der frühen Neuzeit, steht man wie bei Gründungen anderswo vor dem Problem, das Gründungsjahr zu eruieren. Wie in vorausgehenden Abschnitten geschildert, entstanden Universitäten jeweils im Kontext der Zusammenschlüsse von Bruderschaften. Jede Universität hat eine Vorgeschichte, manche haben eine sehr lange. Ein Moment in der (Vor-)Geschichte einer Universität wurde als genügend gewichtig bewertet, um diesem den Status „Gründungsjahr“ zuzuschreiben4. Dieser muss nicht mit dem Jahr zusammenfallen, in welchem die Institution offiziell als Universität anerkannt wurde und universitären Charakter aufwies5. Wird im Folgenden auf Schweizer Universitäten verwiesen, geschieht dies chronologisch nach dem Kriterium der offiziellen Anerkennung des Universitätsstatus.

      Dieser Einteilung zufolge bleibt Basel mit dem Eröffnen des Universitätsbetriebs 1460 bis ins 19. Jahrhundert die einzige Universität auf Schweizer Boden. Sie wurde aufgrund eines Privilegs von Papst Pius II. eröffnet. Das Verleihen von akademischen Graden stand ihr aber dank dem Basler Konzil (1432–1449) bereits davor zu; das „Studium generale“ war schon eingerichtet. Sie glich in ihrer Struktur und dem anfänglichen Lehrangebot (Theologie, Rechtswissenschaften, Medizin) den Uruniversitäten Bologna und Paris. Der internationale Lehrköper mit scholastischen und früh in Basel stationierten humanistischen Grössen (z.B. Erasmus von Rotterdam) strahlte weit über die Universität und die Stadt Basel hinaus. 1529 geriet die Universität der Reformation wegen in eine Krise, Altgläubige wanderten ab, Reformierte blieben oder begaben sich aus dem Ausland nach Basel (Boehm & Müller 1983). Im 17. Jahrhundert wurde die Universität v.a. von einzelnen bürgerlichen Familien gelenkt, aus denen Basler Gelehrtendynastien hervorgingen (z.B. Mathematiker Bernoulli). Im 19. Jahrhundert, nach der kurzen Zeit der Helvetischen Republik (1789–1803), wurde die Universität Basel in die Staatsverwaltung einverleibt. Der kriegerische Konflikt zwischen den beiden Halbkantonen Basel Stadt und Basel Land führte die Universität in eine schwere Krise, bis 1834 dem Kanton Basel Stadt das Universitätsgut zugeteilt wurde. Nach und nach erholte sich die Universität, und die Zahl der Studenten begann wieder zu steigen.

      Die sich wandelnde Universität der Moderne (1790–1990)

      Die Moderne kann in Bezug auf die Universität als Epoche des Wandels bezeichnet werden. Erst geriet die Universität wegen der Französischen Revolution in eine Krise, die bis nach der Mitte des 19. Jahrhunderts dauerte. In Frankreich erachteten die Revolutionäre die universitären Institutionen als Symbole des alten Regimes, schafften einige kurzerhand ab und gründeten stattdessen Spezialhochschulen. Nach dem Sieg über das napoleonische Reich war aber die Gefahr gebannt, dass es auch ausserhalb Frankreichs zu Abschaffungen kommen würde. Gesamteuropäisch blieb die Anzahl Universitäten gleich, in Nordamerika kam es in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einer deutlichen Zunahme.

      Ab 1880 galt ein von Wilhelm von Humboldt geprägtes neuhumanistisch-idealistisches Curriculum, das sich alsbald (nicht ohne Konflikte) mit Ideen aus Preussen vermengte. Den Preussen war vor allem die Vermittlung von wirtschaftlich und politisch nützlichem Wissen wichtig, Wissen, das der nationalen Bildung und dem Prestige dienlich war. Die Universität und der Staat rückten einander näher. Somit gewann die Ausbildung von Industriepersonal über die bisher angepeilten Eliten hinaus an Bedeutung. Sie erfolge zunehmend auch an Spezialhochschulen (z.B. Technischen Hochschulen). Der Druck, alle junge Menschen rasch und gezielt zu qualifizieren, hatte eine Formalisierung und Reglementierung zur Folge und brachte neue Fragen mit sich, u.a. diejenige nach der voruniversitären Bildung, die nach und nach zur Norm wurde.

      Zwischen 1918 und 1945 erfuhren verschiedene Universitäten diverse strukturelle Veränderungen. In Europa waren sie nach dem Ersten Weltkrieg sozial, politisch und finanziell in einer schwierigen Lage1. Zudem bekundeten die zutiefst nationalistisch und monarchisch imprägnierten Professoren (v.a. in Deutschland) Mühe mit den Veränderungen, die diese Jahrzehnte mit sich brachten (z.B. Aufheben des klassischen Vierfakultätenmodells, Heranwachsen eines Mittelbaus). Zwischen den Weltkriegen gab es kaum Neugründungen.

      Während dem Zweiten Weltkrieg fungierte die Universität als Institution, die sich dem vorherrschenden politischen Programm im Dritten Reiche unterordnete. Von ernsthafter Kritik daran oder von einem Widerstand gegen die nationalistischen Massnahmen seitens der Universität kann kaum gesprochen werden.

      Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in Europa etliche neue Universitäten gegründet. Dieser Trend hielt bis in die 90er-Jahre an. In Deutschland beispielsweise wuchs der Bestand von 18 Hochschulen im Jahr 1959 auf 60 vor der Wiedervereinigung. Die vielen Neugründungen hatten ein Nebeneinander von halb-privaten, privaten und öffentlichen Bildungsinstitutionen zur Folge, die zwar alle die Bezeichnung „Universität“ verwendeten, aber nur mehr oder weniger weit gehende Graduierungsrechte besassen. Unter den Neugründungen fanden sich auch einige „postnationale Institutionen“, die von mehreren Ländern getragen wurden (z.B. Worlds Maritime University in Malmö, 1983). Die Studierenden nutzten das Angebot rege und schrieben sich trotz des technischen Fortschritts, der die akademische Mobilität hätte erleichtern können, v.a. an lokalen Universitäten ein und querten die Grenzen ihrer Herkunftsländer selten. Ab Ende der 80er-Jahre wurden (auch im Zusammenhang mit dem Mauerfall) Programme geschaffen, welche die akademische Mobilität in Europa fördern sollten (z.B. Erasmus). So wurden die bisher individuell organisierten Wanderungen mehrheitlich von institutionalisierten Mobilitätsformen im Kontext des tertiären Bildungssystems abgelöst (vgl. Wächter 2003; Van Mol 2014).

      Anders als in früheren Epochen wurde die moderne Universität immer seltener von der Kirche finanziert. Letztere beschränkte sich darauf, theologische Fakultäten oder Bibliotheken zu unterstützen.

      Die Universität büsste an Selbstverwaltung ein. Immer mehr mischte sich der Staat ein, finanzierte die Institution, nahm aber die Professoren und Universitäten in die Pflicht, das Nationalbewusstsein zu stärken.

      Sowohl die Studierenden- als auch die Professorenzahlen stiegen in der Moderne an. Bei Letzteren geht man von 1850 bis 1990 von einer Verzehnfachung aus. Seit den 60er-Jahren wurde auch Frauen der Titel der Professorin erteilt, und seit den 70er-Jahren sind auch nebenberufliche Professoren üblich. Während ein Professor um 1880 forschte, Vorlesungen hielt, Seminare in Privatwohnungen durchführte und sich überdies rege am gesellschaftlichen Leben der Universität beteiligte, glichen die Aufgabe von ProfessorInnen um 1990 denjenigen von VerwalterInnen mit Zudienenden. Rund ein Drittel ihrer Arbeitszeit verbrachten sie mit administrativen Aufgaben. Bei den Studierenden war ein noch viel grösserer Anstieg zu verzeichnen, was erhebliche Auswirkungen auf die numerische Proportion von ProfessorInnen und Studierenden hatte und den direkten Kontakt zwischen Lehrkörper und Studierenden verminderte.2

      In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde von den Studierenden in der Regel ein Abschluss einer höheren Schule erwartet. Dies hatte zur Folge, dass in Europa die Universität lange den Oberschichten vorbehalten blieb. Von einer Massenuniversität kann erst seit den 60er-/70er-Jahren gesprochen werden, als auch andere soziale Schichten sowie die Frauen zahlreich an die Hochschulen gelangten (Van Mol 2014).

      Konzentriert man sich auf die Entwicklung der Schweiz, stellt man fest, dass die meisten tertiären Bildungsstätten erst in der Moderne den universitären Status erhielten. Dies muss im Zusammenspiel mit der „Erfindung der Nation“ bzw. mit der Gründung des Bundesstaats 1848 (und mit dessen Vorläufern, dem „Staatenbund“ und der „helvetischen Republik“) gesehen werden (Anderson 1983). Einige dieser Bildungsstätten waren schon vorher aktiv gewesen. Die nachfolgenden Kurzportraits der einzelnen Schweizer Universitäten zeigen, dass den meisten von ihnen in der Moderne die „offizielle Anerkennung des Universitätsstatus“ zugesprochen wurde.

      Den Anfang machte Zürich, wo sich im 16. Jahrhundert verschiedene Lehrstühle nach und nach zusammenschlossen. So kamen zu den reformierten Theologen unter Zwingli die Altphilologen und die Naturgeschichtler. Im 18. Jahrhundert stiessen ein staatswissenschaftlicher Lehrstuhl und ein Institut zur medizinisch-chirurgischen Ausbildung dazu. 1833 wurden die Lehrstühle zu Fakultäten erhoben und um eine philosophische Fakultät ergänzt. Somit durfte sich die Stätte offiziell als