Distinktion durch Sprache?. Martina Zimmermann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Martina Zimmermann
Издательство: Bookwire
Серия: Tübinger Beiträge zur Linguistik (TBL)
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783823300342
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und Logik) (vgl. Weber 2002: 70). Die Studierenden nahmen zum Teil weite Wege auf sich, um in den Genuss universitärer Bildung zu kommen. Die studentische Wanderung war in den meisten Fällen auf das Fehlen einer einschlägigen Ausbildungsstätte in der Region zurückzuführen. So begaben sich bspw. deutsche Studierende und aufstrebende Junggelehrte vor der Errichtung der Universität Köln häufig nach Bologna, Paris oder Padua (Fisch 2015). Die gemeinsame Prägung, die Studierende an den Universitäten erfuhren, wurde durch die studentische Wanderung verbreitet und trug zur Europäisierung bei.

      Unterrichtet wurden die Studierenden allerorts von einem Lehrkörper, der mehrheitlich aus Klerikern bestand und aus Pfründen bezahlt wurde. Im Allgemeinen war die Vergütung jedoch nicht prioritär, „Scientia donum Dei est, unde vendi non potest“1 stand im Vordergrund. Oft reichten diese Einkünfte aber kaum, weshalb die Lehrenden von ihren Studierenden „Collectae“ oder Examensgebühren verlangten (Verger 2000). Die Unterrichtenden waren somit immer abhängig von Herrschern und deren Mass an finanzieller Unterstützung. Ganz generell beeinflussten die Herrscher das universitäre Geschehen erheblich. Ihnen stand es zu, die Institutionen privilegiert zu behandeln, d.h. sie etwa bei den Steuern entlasten oder ihnen das Verleihen bestimmter akademischer Grade zu erlauben (Nardi 1993). Ebenso konnten sie Verbote aussprechen, an einer bestimmten Universität zu studieren (Kaiser Friedrich II. etwa verbot 1226 das Studium und die Lehre in Bologna im Zusammenhang mit seiner Absicht, in Neapel Kader fürs Königreich Sizilien auszubilden.) oder wichtige Vorschriften für den höheren Unterricht durchzusetzen (So schickte Papst Georg IX. 1234 Weisungen nach Bologna und nach Paris, wie die Lehre dort auszusehen habe.). In Anbetracht dieser (hier skizzenhaft dargestellten) Macht, die den Herrschern zukam, können Hochschulen bereits in den Anfangszeiten nicht als „autonome Gebilde, sondern müssen als gesellschaftliche Institutionen“ (Prahl 1978: 10) betrachtet werden, die in den damaligen Kontext der Weltmächte Papsttum und Reich eingebunden waren.

      In der damaligen Eidgenossenschaft sind bis 1400 keine Universitätsgründungen zu verzeichnen. Gewiss existierten bereits institutionalisierte Gemeinschaften wie etwa religiöse Bruderschaften. Deren Lehrer und Scholaren schlossen sich aber bis 1400 nicht ausserhalb von Abteien oder Bischofskirchen zusammen. Studierende aus der heutigen Schweiz besuchten vorwiegend die bereits gegründeten Universitäten im heutigen Italien und Frankreich.

      Humanismus, Konfessionalisierung und Aufklärung und die Universität: 1400–1790

      Wegen Ereignissen wie dem Avignoner Exil (1309–1377) und dem Papstschisma (1378–1449) lockerte sich Ende des 14. und anfangs des 15. Jahrhunderts die päpstliche Kontrolle der Universitäten. Von universitären Akteuren entwickelte kirchliche Verfassungstheorien, die u.a. die Wahl des Papsts regelten, und Gutachten weltlicher Art wurden modifiziert. Diese Anpassungen schwächten die bisher enge Verbindung zwischen der Universität und dem Papsttum. Herrschaftlich-staatliche Bedürfnisse rückten in den Vordergrund, wobei es dem Landesherrn und den neuen Herren der Universität darum ging, das universitäre Wissen unmittelbar dem eigenen Land/der eigenen Region nützlich zu machen. Somit fängt das territoriale Zeitalter1 der europäischen Universität in der frühen Neuzeit an (Moraw 1994). Der Landesherr übernahm die vormals von der Kirche ausgeübte Rolle. Infolgedessen entklerikalisierte sich die Universität schrittweise und entwickelte sich zur Laieninstitution, die vermehrt territorial aktiv war. Die Landesherren waren zunehmend daran interessiert, die Landadeligen zu loyalen Anhängern zu erziehen, was eine Erweiterung des Fächerspektrums (Fechten, Tanzen, Artillerie etc.) mit sich brachte. Nach und nach wiesen die bisher der Kirche wegen sehr einheitlichen Universitätsmodelle erhebliche Unterschiede auf.

      Kulturelle Bewegungen prägten die frühneuzeitlichen Universitäten massgeblich. Zunächst war es die humanistische Elite, die durch das Wiederaufgreifen antiken Wissens die scholastisch ausgerichteten Professoren herausforderte. Später wurde reformatorisches Gedankengut an die Universität herangetragen und trug zu deren Wiederverkirchlichung und damit auch zur „Wiederbelebung scholastischer Wissenschaftsstrukturen“ bei (Weber 2002: 75). Es folgten konfessionalisierende Bemühungen, mit dem Ziel, die „seit der Glaubensspaltung auseinanderstrebenden christlichen Bekenntnisse zu einem halbwegs stabilen Kirchentum nach Dogma, Verfassung und religiös sittlicher Lebensform geistig und organisatorisch zu festigen“ (Zeeden 1965: 9). Sowohl die Reformation als auch die Konfessionalisierung prägten die Universitäten und deren Entwicklung und Verbreitung in der frühen Neuzeit massgeblich. Etliche Krisen (z.B. die Inflation, die mit dem kolonialen Güterimport und dessen sozioökonomischen Konsequenzen einherging, Hugenottenkriege, französische Expansionskriege) lähmten die universitäre Weiterentwicklung ab 1600 fast gänzlich. Aufruhr, Verunsicherung und Krieg prägten den universitären Betrieb und verunmöglichten es den Akteuren, eine kritisch-verantwortliche intellektuelle Rolle einzunehmen. Das Festhalten am Staat, auch wenn dieser im Krieg war, und an der bewährten Wissenschaft schien die sicherste und am nächsten liegende Haltung.

      Mitte des 17. Jahrhunderts prägten frühaufklärerische Gedanken aus ausseruniversitären Kreisen (z.B. Descartes, Leibniz, Newton) die Universität. Sie machten nach und nach die Natur als erforschbares Universum zur Basis aller Erkenntnis (vgl. Stollberg-Rilinger 2000) und kritisierten die Vorstellung von „einer göttlichen und statischen Weltordnung“ (Wollgast 2010: 59). Zwar wehrte sich die Professorenschaft gegen aufgeklärte Gegeneliten, die wie ihre humanistischen Vorgänger fürstlich-staatliche Protektion genossen und sich in Akademien, die vorwiegend Forschung betrieben, zusammenschlossen (Wollgast 2010). Jedoch mussten sämtliche Universitäten der staatlichen Forderung nachkommen und neue „nützliche“ Fächer in ihren Kanon aufnehmen, und allmählich verbreitete sich auch in ihnen aufklärerisches Gedankengut. Für den Fortbestand voraufklärerischer wie auch aufklärerischer Ideen sorgte nicht zuletzt der Medien- und Kommunikationswandel der Neuzeit (North 2001). Die Erfindung des Buchdrucks um 1450 und dessen rasche Verbreitung sowie das ausgebaute Boten- und Postwesen (Behringer 2002) verhalfen dazu, den individuellen Wissensspeicher in den Druck auszulagern und das Lehrbuch massenhaft verfügbar zu machen (vgl. Weber 2002: 78). Bereits um 1600 war der Schriftbestand an den Universitäten ohne System nicht mehr überblickbar.

      Zahlenmässig vermehrten sich die universitären Institutionen in der frühen Neuzeit und rückten auch in bisher nicht erfasste Regionen vor. Gab es um 1400 rund 30 Universitäten, so waren es um 1500 bereits doppelt so viele. Um 1600 wurden 110 Universitäten in Europa gezählt. Im 17. Jahrhundert verlangsamte sich das stetige Wachstum – es waren nun etwa 150 Universitäten zu verzeichnen. Im 18. Jahrhundert hielten sich die Gründungen und Aufhebungen etwa die Waage. Bis 1790 wurden 28 Neugründungen gezählt. Die Universitätslandschaft galt nun als gesättigt2. Die prozentuale Zunahme der Anzahl an Universitäten überstieg die prozentuale Zunahme der Bevölkerung.

      Aus der Menge universitärer Institutionen kann aber keinesfalls geschlossen werden, dass die Universität eine Institution für die Masse geworden sei; nach wie vor begab sich nur rund 1 % der Bevölkerung an die Universität. Wollten sich Studierende in der frühen Neuzeit immatrikulieren, waren sie dazu verpflichtet, (zum Teil jedes Semester) Gebühren zu zahlen und einen Eid auf die Vorschriften der Universität inklusive deren konfessionelle Ausrichtung abzulegen. Ferner wurden an manchen Orten Abstammungsmerkmale wichtig3. Noch war die Universität, abgesehen von wenigen Ausnahmen, nur von Männern aus adeligen oder bürgerlichen Kreisen frequentiert. Während eine Zeit lang das Fehlen einer regionalen/lokalen Universität für diese den Hauptgrund darstellte, universitäre Bildung in der Ferne zu beanspruchen, ging mit der Verdichtung der Universitätslandschaft die Mobilität an manchen Orten zurück. Zuweilen legte die territoriale Organisation den Studierenden ein Studium an der lokalen Universität nahe; mitunter trug die jeweilige Ausrichtung dazu bei, eine gewisse Studierendenpopulation anzuziehen. Neben jener Mobilität, welche zur universitären Ausbildung an einer bestimmten Institution fern der Heimat gehörte, war in der frühen Neuzeit die bereits erwähnte „Grand Tour“ verbreitet, auf welcher noble junge Männer an verschiedenen Stationen, am liebsten in Universitäts- und Kulturstädten, Halt machten (Cohen 1992; De Ridder-Symoens 1996).

      Auch in der frühen Neuzeit waren die Vorlesung (Modus Bononsiensis) wie auch die Vorlesung plus Übung (Modus Parisiensis) die üblichen Lehrformen. Unterrichtssprache war Latein. Aus Bürgersicht gewann das Doktorat an Akzeptanz und wurde bald zum einzigen