Wettkampfkulturen. Bent Gebert. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bent Gebert
Издательство: Bookwire
Серия: Bibliotheca Germanica
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783772000690
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wird der Seelenkampf also, weil ›in sich‹ leichter zu artikulieren ist, was nach außen auszusprechen in ungleich höheres Risiko der Verweigerung führen müsste. Liebe als riskante Kommunikation wird zur Artikulation sich selbst gegenüber. Doch verwickelt solches Reden um des Schweigens willen in neue, nämlich paradoxe Anstrengungen (V. 31: durch sus verswigen ungemach). Denn in sich entdeckt sich nun auch das ›ego‹ als unzugänglich, sobald es die Selbstbeziehung dialogisiert, also die bloße Artikulation in eine Auto-Kommunikationsbeziehung zu verwandeln sucht.9 Auch voreinander wissen Körper und Herz nicht, was der andere erkennt (z.B. V. 480f.) oder beabsichtigt (z.B. V. 521–524), sie bezichtigen sich der Lüge und Verirrung, herrschen sich gegenseitig an, doch zu schweigen (vgl. 316–319; 654, 804 u.ö.), um dafür jeweils umso ausführlicher das Wort an sich zu reißen. Obgleich eine sêle als »lebensspendende[s] Prinzip« beide vereine (V. 1034f.),10 betont der weitaus häufigere Klammerbegriff psychophysischer Einheit zugleich ihre Trennung: Uns dienet niht gelîcher muot (V. 945, Herv. B.G.). Das Problem äußerer Unerreichbarkeit des Anderen, von dem sich der Jüngling in den inneren Streitdialog zurückzog, schachtelt sich in diesen ein und potenziert Gestalten der Isolation. Aus der Gesellschaft ziehe sich der Körper ganz allein dorthin zurück, dâ nieman ist wan mîn (V. 381); während der Körper schläft, wacht das Herz wiederum einsam in Sorgen (V. 695–701). Intransigenz ermöglicht und stimuliert damit Wechselreden, in denen sich Selbstinstanzen gegenübersetzen und zugleich fortlaufend eng aneinander anschließen. Ihren Höhepunkt findet dies in stichomythischer Rede (V. 1168–1268), die darauf basiert, dass beide engstens miteinander sprechen, doch ohne den Wissenshorizont des anderen zu besitzen.11 Semantisch gipfelt sie in der Kampflogik der Fehde: Statt an ihrer friuntschaft funktionaler Interdependenz festzuhalten (V. 421, vgl. schon ab V. 59), beschreiben sie ihren Konflikt als Blutrache (V. 385–393) und wünschen sich gegenseitig den Tod (V. 41, gemeinsamer Suizid: V. 71; ehrenhafter Freitod: V. 396f.) – doch ohne ihre Kommunikation je zu unterbrechen.

      Wie die folgende Analyse in vier Schritten nachzeichnet, liegt darin ein produktives Paradox,12 das die Form der Latenz innovativ ein- und ausfaltet, ohne sich zu blockieren. (1.) Hartmann verstärkt dafür Szenarien kommunikativer Kontingenz, (2.) welche der Streitdialog als Selbstbeziehung im strukturellen Sinne unterläuft. (3.) Formal betrachtet verwandelt solches Erzählen eine geschürte Krisenerfahrung der Kontingenz in eine Kommunikationsbeziehung der Latenz, die zwar Probleme zuspitzt und Lösungsangebote generiert, aber genau genommen weder problematisch noch lösungsorientiert funktioniert. Bis heute begründet dieses Doppelprofil sowohl Reiz wie Schwierigkeiten des kurzen Textes, der einerseits programmatische Aussagen, aber ebenso fortwirkende Dissonanzen bietet. (4.) Statt eines ethischen oder erkenntnistheoretischen Programms13 führt solche latente Verinnerlichung zu keiner festen Position: Wenn die Klage mit einem Lob der stæte schließt, wird dies angestoßen von der Dynamik eines Wettstreits, der statt auf Erkenntnis oder Ordnung auf permanente Fortsetzung zielt.

      (1.) Von Unsicherheit zur Schweigekunst: Kontingenzverstärkung. Noch vor alle Fragen der anthropologischen Organisation und Seelenkonzeption stellt die Klage ambivalente Erfahrungen mit kommunikativer Kontingenz.14 Die Gedanken sind frei (V. 132; vgl. auch 1049) – doch ist damit im Umkehrschluss grundsätzlich zu bezweifeln, je verlässlich auf Absichten und Erfahrungsdimensionen des Kommunikationspartners schließen zu können. Nicht bloß an Zurückweisung leide das Rahmen-Ich, so rekapituliert der Körper zu Beginn des Dialogs, sondern vielmehr an den uneinschätzbaren Intentionen seiner Dame: ir muot ze fremder wîse stât (V. 112) – ouwê daz sî mir niht enseite / wes sî von mir geruochte (V. 194f.). Unverhoffte Widerstände der Dame gehören selbstverständlich zum topischen Argumentationsschatz des Liebesdiskurses, den die höfische Lyrik des Hochmittelalters kultiviert (und bes. V. 88f. und 113 zitieren). Und dass Innen- und Außenreferenzen sich weder kommunikativ noch ästhetisch decken müssen, weist weit über die höfische Literatur des Mittelalters hinaus.15 Aber Hartmann verdoppelt diese grundsätzliche Kontingenz zu einem komplexeren Kalkül, das der Körper zu einem allgemeinen Krisenszenario der ungewisheit ausweitet (V. 227, insgesamt V. 217–286).16 Es umfasst sämtliche Akteure des Kommunikationsspiels Liebe, nämlich auch die Frau könne grundsätzlich nicht wissen, ob der Wahrheit entspreche, was Männer mit eiden (V. 223) beschwörten. Schlecht sei es denjenigen Frauen ergangen, die im Vertrauen auf Liebeserklärungen (V. 231: ûf stæter minne wân) den Wünschen von treulosen Männern mit schlechten Absichten folgten, welche sie nach erreichtem Ziel lieblos fallen ließen, während diese sich öffentlich ihres Erfolgs rühmten. Exempel solchen Betrugs (bilde, V. 267) verstärkten leit (V. 228), indem sie allseits um sich greifen: einerseits als schlechter Anreiz für Männer, auf den Spuren des Teufels ebenfalls Frauen zu betrügen (V. 250f.;17 V. 265–271); andererseits als warnendes Beispiel für Frauen, jeder Aussage als lügelicheit (V. 282) zu misstrauen und sich aller Interaktion zu entziehen. Das Leitwort der stæte bringt diese Krisengeschichte von enttäuschtem kommunikativen Vertrauen (V. 231) zu permanenter Täuschungsfurcht in Kommunikation auf den Begriff.18 Liebeserfahrung liefert somit zwar den Anlass, nicht aber den Problemgrund solch allgemeiner »Erkenntnisunsicherheit«, die im Anspruch von Intimkommunikation allenfalls besonders intensiv erfahrbar ist.19

      Entscheidend für das Wettkampferzählen der Klage sind die Verstärkungseffekte dieses Kreislaufs. Sie gehen von der Stimme des Körpers aus, der die kommunikative Unerreichbarkeit der Dame als Kontigenz für beide Seiten reflektiert. Wie nimmt die Dame meine Äußerungen wahr, wenn grundsätzlich zu bezweifeln ist, ob solchen Äußerungen innere Einstellungen entsprechen?20 Was kann ich dann überhaupt sagen (V. 301)? Doch läuft der Zweifel nicht nur vom ›ego‹ zum ›alter‹. Schon die Eingangsverse der Klage leiten daraus auch umgekehrt ab: Wenn Frauen artikuliertes Begehren als lügelicheit betrachten, d.h. als prinzipiell kontingent misstrauen, und sich infolgedessen zurückziehen, wie lassen sich dann noch Chancen zum Gelingen wahren? Das Exempel der Anderen inkorporiert Hartmann im wahrsten Sinne des Wortes als eigene Sorge (vom ›alter‹ ins ›ego‹):21 des kreftigônt die sorgen mîn, / wan so fürht ich daz sî [= meine Dame, B.G.] mirz ouch tuo (V. 290f.). Jeder Versuch, die Dame der eigenen Absichten zu versichern – nach innen zu bringen, wie der Körper sagt (V. 106) – riskiert neuerliches Scheitern: dâ mite hân ich sî verlorn (V. 110). Um dieses Risiko zu entschärfen, entscheidet sich das Rahmen-Ich zu schweigen und stattdessen in sinem muote zu klagen.22 Im Unterschied zur öffentlich artikulierten herzeklage (V. 288), die den Kreislauf des Misstrauens nur wiederholen würde, wählt die Klage den Weg in narrative Latenz, die paradoxerweise ausstellen kann, was sie als verborgen erklärt.

      Hartmann bezeichnet diese Redeform als list (V. 307), weil sie dadurch neue Komplexitäten kommunikativer Selbstbeziehung bahnt – »Unerreichbarkeit« der Dame und Vertiefung des Ich sind zu Textbeginn interdependent.23 Das Narrativ vom Kampf in der Seele wird damit zu einer autokommunikativen Latenzform zweiter Stufe, welche die Kontingenz der täuschungsanfälligen äußeren Rede zur Kontingenz verborgener Gedankenrede verpuppt.24 Dass dieses Erzählen unter den Bedingungen doppelter Kontingenz einem einzigen Kalkül entspringt, unterstreicht Hartmann mit einem polysemen Einheitsbegriff,25 der schon zu Beginn des Streitdialogs unübersteigbare Differenz markiert: Der muot der Dame sei ze fremder wîse entzogen (V. 112; vgl. auch V. 97), wie auch der Körper den muot seines Begehrens vor ihr verheimlicht (V. 99; vgl. auch V. 134 u.ö.).

      Doch weder steht damit ein bloß theoretisches Kommunikationsproblem in Rede noch eine bloß negative Fassung von Ungewissheit menschlicher Existenz, wie sie die Seelenkampfliteratur vom Früh- bis zum Spätmittelalter durchspielt,26 sondern eine dialogische Produktionsform im erzählerischen Rahmen. Ihre Produktivität zeigt sich nicht nur daran, dass die Reflexionen über kommunikative ungewisheit den Übergang vom Rahmen-Ich zum Streitdialog von Körper und Herz herstellen. Auch systematisch lässt sich von hier aus der experimentelle Zug der Klage genauer rekonstruieren. Wenn höfische Kommunikation um 1200 in besonderer Weise von doppelter Kontingenz fasziniert und belastet ist, so wird die Form der inneren Klage als Ausweg lesbar, die radikale Kontingenz des Anderen zu respektieren, ohne auf Kommunikation verzichten zu müssen.27 Grundlage bieten Gestaltungsfreiräume der literarischen Adressierung und erzähltechnischen Konventionen: An die Stelle des / der Anderen als