Bent Gebert
Wettkampfkulturen
Narr Francke Attempto Verlag Tübingen
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© 2019 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG
Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen
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ISBN 978-3-7720-8653-3 (Print)
ISBN 978-3-7720-0069-0 (ePub)
Vorwort
Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2017 von der Geisteswissenschaftlichen Sektion der Universität Konstanz als Habilitationsschrift angenommen. Für den Druck wurde sie überarbeitet.
Herzlich danken möchte ich Ludger Lieb, Michael Schwarze und Juliane Vogel für die Begutachtung der Arbeit und Anregungen aus vielfältigen Expertisen. Danken möchte ich gleichfalls meinen derzeitigen bzw. ehemaligen Konstanzer Kollegen Martin Baisch, Daniel Hütter, Norbert Kössinger, Michael Schwarze und Bernd Stiegler, die in Wettkampfbegegnungen auf dem Badmintonfeld, durch beflügelnde Gespräche und freundschaftliche Unterstützung den Fortschritt der Arbeit förderten. Burkhard Hasebrink hat mich mit ermutigendem Zuspruch, mit fachlichem wie persönlichem Rat seit vielen Jahren begleitet. Udo Friedrich, Burkhard Hasebrink und Susanne Köbele danke ich für die Aufnahme der Arbeit in die Bibliotheca Germanica und einlässliche, kritische Lektüren. Dankbar bin ich der Universität Konstanz für die Übernahme der Druckkosten durch den Young Scholar Fund sowie dem Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg für die Förderung des Forschungsprojekts, aus dem die Untersuchung hervorging. Viele haben mich von der Entwicklung des Projekts über dessen Ausarbeitung bis zu strapaziösen Korrekturgängen tatkräftig unterstützt: Luca Baumann, Lena Boehler, Elisa Fluk, Nico Kunkel, Céline Martins-Thomas, Martin Schneider, Pia Schüler und Philipp Sigg sei herzlich gedankt.
Die nachfolgenden Studien treten für eine mediävistische Literaturwissenschaft ein, die sich ebenso kritisch ihren theoretischen Grundlagen zuwendet wie ihren historischen Textgegenständen. Wie dieser Spagat produktiv gelingen kann, ist eine offene Frage – darüber und vieles mehr in kleinen und großen Gesprächen mit meiner Frau Eva diskutieren zu dürfen, bedeutet für mich ein großes Glück. Wettkampfkulturen leben, so will das Buch zeigen, von Überraschungen und Unbestimmtheit, die in Beziehungen intensiver Nähe erfahrbar werden. Daher widme ich es meinen Kindern Diana und Jonathan, die seine Entstehung an jedem Tag mit überraschendem Leben erfüllt haben.
Konstanz, im Dezember 2019 Bent Gebert
1 Zwischen Einfachheit und Vielfalt
»Mittelalterliche Geschichten handeln von Rittern, Prinzessinnen, Drachen, bösen Widersachern, Riesen und Zwergen«, bemerkt Armin Schulz lapidar in seinen Analysen zur Erzähltheorie, doch obwohl höfische Romane und Epen dazu immer wieder schematisch von Aventiure und Konfrontation, von Kampf und Liebe erzählten, erreichten sie bemerkenswerte »Komplexitätssteigerungen«.1 Ein solcher Eindruck trifft einen zweischneidigen Sachverhalt. Wer sich mit mittelalterlichen Erzählungen beschäftigt, kann kaum bestreiten, dass diese tatsächlich aus einem begrenzten Vorrat grundlegender Sujets und hochfrequenter Erzählkerne schöpfen.2 Ihre Protagonisten scheinen »alles andere als komplexe Charaktere«.3 Romane stützen sich auf ›einfache Formen‹, die z.B. dem Märchen ähneln,4 Epen und Kurzerzählungen greifen gleichermaßen zu Mustern und Erzählschablonen.5 Explizite produktionsästhetische Normen zielen auf Integration: Wenn die hochmittelalterliche Schulrhetorik etwa Bearbeitungsroutinen des Erweiterns und Kürzens empfiehlt, dann weniger zur Erzeugung origineller Sinnvarianten als vielmehr zum »Vereindeutigen des bereits Vorhandenen«.6 »Mittelalterliches Erzählen orientiert sich in großem Umfang an vorausgehenden Erzählungen«, deren Tradition durch Erneuerung gepflegt, deren »Grundmuster« als »konstantes Set von Wahrheiten« wiederholt und im »kulturellen Gedächtnis« gesichert werden.7
Andererseits bevorzugen mittelalterliche Geschichten zwar stereotype Elemente und einfache Basisschemata, kombinieren und variieren diese jedoch zu durchaus komplexen Erzählstrukturen und Figurenentwürfen, die mitunter hybrid oder gar brüchig wirken.8 Je nach Perspektive (und Kunst des Interpreten) scheint mittelalterliches Erzählen in seinem Dispositiv des Wiederholens und Erneuerns oft genug zwischen Einfachheit und Vielfalt zu schwanken.9 Kürzende Textbearbeitungen können nicht nur pointierend vereinfachen, sondern ebenso neue Sinnvarianten erzeugen,10 einstimmige Wissensbestände können in »plural fokalisierte[m] Erzählen« zugleich vielstimmig aufgeteilt werden.11 Auch lyrische Texte zielen auf »programmatische Steigerung von Komplexität« durch performative »Vielfältigkeit«, während sie gleichzeitig von »Standardisierung« ihres Themenvorrats ausgehen.12 Insgesamt nährt dies den Eindruck: »Wiederholung und Abweichung« scheinen gleichermaßen »zentrale Aspekte« der »mittelalterlichen Kultur« zu bilden, die sich schwer aufeinander reduzieren lassen.13 Und es scheint gerade dieses komplexe Zusammenspiel von Einfachheit und Vielfalt zu sein,14 das oft zu ebenso schwankenden Bewertungen der Modernität volkssprachlicher Literatur des Mittelalters verführt.15
Solches Schwanken ist der mediävistischen Literaturwissenschaft traditionell vertraut.16 Doch verdient es im Kontext kulturwissenschaftlicher Methodologie neue Aufmerksamkeit, insofern es auf grundsätzliche Schwierigkeiten der Kulturwissenschaften im Umgang mit historischen Texten verweist, deren Erzählformen zwischen Einfachheit und Komplexität changieren. Zu diesen Formen gehören nicht zuletzt auch Erzählmuster des Wettkampfs.17 Wenn höfische Romane geradezu obsessiv ritterliche Kämpfe umkreisen und dazu fortgesetzt Erzählschemata von Aventiure und Zweikampf durchspielen,18 erzeugen sie mittels einfachster Sujets und Erzählmittel oft Ergebnisse von schillernder Komplexität. Sie sind in ihren Voraussetzungen freilich reduktiv: Natürlich erzählen auch mittelalterliche Texte vom Zweikampf als Interaktion, bei der man gewinnt oder verliert; auch jenseits literarischer Inszenierung zielen z.B. mittelalterliche Gerichtskämpfe auf eindeutigen Ausgang der Wahrheitsfindung.19 Texte des hohen und späten Mittelalters stellen oft Zweikämpfe in den Mittelpunkt, deren Ausgänge irritierend offen bleiben, indem sie förmlich wuchern – und dies quer zu Sprach- und Gattungsgrenzen.20
Einen besonders eindrücklichen Fall dieser Art liefert in der deutschsprachigen Epik die Krone Heinrichs von dem Türlin (um 1230).21 Durch mehrdeutige Zugeständnisse ermutigt, hatte ein mysteriöser Ritter namens Gasozein die Königin Ginover zu vergewaltigen versucht, als die Aventiure zufällig den Musterritter Gawein zur Rettung herbeiträgt. Nach wenigen Reizworten fliegen die Ritter schemagemäß mit eingelegten Lanzen aufeinander: Beide mit gleichem zorn (V. 11872). Trotzdem bemühen sich die Aggressoren äußerst rücksichtsvoll umeinander. Nach dem ersten Waffengang pausieren Gawein und Gasozein einträchtig in ruowe miteinander (V. 11926), bis ihnen neue Kräfte zuwachsen. Sobald Gasozein sein Schwert entgleitet, lässt ihn Gawein bereitwillig die Waffe aufnehmen (V. 11958–11969) und hilft dem Gegner sogar wieder in den Sattel, als dieser entkräftet vom Pferd fällt (V. 11997–12006). Statt auf Sieg oder Niederlage zielt die Episode immer wieder auf Gleichstand: Jähzornig ersticht Gasozein sein ermüdetes Tier, woraufhin Gawein zum Ausgleich sein eigenes Pferd tötet (V. 12009–32). Wieder brechen beide erschöpft zusammen. Als Gawein schließlich als erster erwacht, eilt er sogleich Dâ hin, dâ sein geselle lak / Vnd noch seins slaffes phlak. / Den began er suoz wechen (V. 12212–12214). Obwohl Vergewaltiger und Beschützer also auf Zweikampfsieg und Niederlage des anderen zielen, suchen sie fürsorglich Symmetrie herzustellen. Dies nimmt geradezu intime Züge an (Gawein weckt Gasozein suoz) – und wird in auffälligen Wiederholungen erzählt. Insgesamt viermal brechen beide ohnmächtig zusammen und pausieren, sobald sich der Zweikampf asymmetrisch zu neigen droht, um sodann den Kampf fortzusetzen. Gawein