Wettkampfkulturen. Bent Gebert. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bent Gebert
Издательство: Bookwire
Серия: Bibliotheca Germanica
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783772000690
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auf Rückkopplung individuell empfundener Unbestimmtheit an äußere Rahmen der (politischen und religiösen) Bestimmung.

      Aufräumen und Ausräumen: Kampf-Allegorien gegen den latenten Streit. Wenn der Mensch damit als Schnittstelle von interner und kosmischer Widerspruchsordnung inszeniert wird,16 so zielt diese Inszenierung letztlich jedoch nicht auf unendlichen Kampf, sondern auf Stabilität. Daher mündet die Psychomachia, trotz aller transgressiven Gewalt, in einer Begrenzungsszene des Wettkampfs. In den Worten der Concordia klingt dies als explizites theologisches Programm an: pax belli exacti pretium est pretiumque pericli / […] / nil placitum sine pace deo (V. 770–772) – »Friede ist der Lohn des vollendeten Krieges und der Gefahr« und »nichts erfreut Gott ohne Friede«. Kampf wird damit zwar zur notwendigen Bedingung für Frieden erhoben, aber eben nur zur Durchgangsform, die zu überwinden ist.17 Wie der Text durchgehend unterstreicht, ist Krieg gleichwohl unverzichtbar, um die verworrene Form des Menschen zu ordnen;18 effektiver als auf dem Schlachtfeld poetischer Imagination lässt sich das innere Haus kaum aufräumen. Aus diesem zugleich verstärkten und begrenzten Streitverständnis resultiert an vielen Stellen der Psychomachia eine ambivalente Einschätzung des strukturellen Inneren. Wird die Sichtbarkeit des anthropologischen Konflikts auf der einen Seite bekräftigt, so gilt Verborgenes auf der anderen Seite als verdächtig: Heimlicher Zorn befördere Irrlehren (V. 759f.), so mahnt Concordia nach der vereitelten Intrige der Zwietracht; wer sich an Gott wende, während er Zorn und Hass in sich verborgen trage, gleiche dem Wolf im Schafsfell, der wie die Häretiker Photinus und Arianus grausamen Schaden anrichte. Da Verborgenes grundsätzlich zur Ordnungsstörung neige, verbinden sich Gefährdungen häufig mit Bezeichnungen von Latenz (gehäuft etwa V. 791: latere; V. 794: occultare, V. 797: furtiua manus). Bis zum Schlussgebet warnt der Text vor versteckten Gefahren (V. 891) in der Dunkelheit des Herzens (V. 893, 906).

      Wo also liegt der Schauplatz des Kampfes, welche Raumordnung intendiert der Text? Während die ältere Forschung die Psychomachia vorrangig als Gestaltung eines ›inneren Kampfes‹ (bellum intestinum) las, hat erst die jüngere Forschung deren diffizile Raumordnung wahrgenommen. So plädierte etwa Katharina Philipowski dafür, statt nach Disjunktionen zwischen Innen und Außen eher nach der Form ihrer Verbindung zu fragen: In letzter Konsequenz entwerfe die allegorische Konstruktion weder Innen- noch Außenräume, sondern einen »utopischen Raum der bereits vollzogenen Aufhebung der Spaltung zwischen Körper und Seele«.19 Aber verstärkt die Inszenierung von Tugend- und Lasterkämpfen nicht geradezu extreme Spaltungen? Und steigern die Gewaltbilder der Kämpfe nicht vielmehr Ordnungsprobleme von Körperlichkeit, statt diese utopisch zu überwinden? Hält man sich an die Transformationsschritte, die Vorrede und Eingangsgebet, Narration und Schlussgebet vollziehen, zeigt sich eher ein dynamisches Raumverfahren: Innen wird veräußerlicht und wieder verinnerlicht. Ihre Differenz wird dadurch weder aufgehoben noch utopisch entgrenzt, sondern mehrfach hin- und hergelagert. Veräußerlichung wird dabei als imaginativer Bestimmungsmodus zur Ordnung eines Konflikts beschrieben, der auf der Innenseite verworren – latent – weiterläuft.

      Die zentrale Projektionsform, um Latenz auszuräumen, liefert für Prudentius die Allegorie.20 Denn sie ermöglicht zum einen, verschachtelte Differenzverhältnisse auszufalten: Neigen Körper und Geist im Inneren des Menschen dazu, Ordnung zu verwirren, veräußert die allegorische Figuration von Tugenden und Lastern ihre Differenz zu krasser Opposition auf dem Kampffeld. Die schematische Konfrontation der Psychomachia reagiert so gesehen auf einen Ordnungsbedarf, der Latenz externalisiert und damit ausräumt. Zum anderen führen Allegorien strukturell stets weiter über sich hinaus,21 indem sie etwa zu weiteren Zeichenkomplexen überleiten oder generell zum Wechsel zwischen Signifikanten und Signifikaten einladen. Wenn Prudentius von Anfang an den Kampf der Seele auf alttestamentarische Vorbilder wie Abraham, Loth und Melchisedech bezieht, öffnen sich weitere ›Wege‹ (Praefatio, V. 1: credendi uia) und ›Strecken‹ (Praefatio, V. 50: praenotata est linea), über die verräumlichte Differenz zugleich typologische Zeitbezüge schlagen kann. Konsequent berufen sich die Tugenden nach jedem Sieg auf biblische Exempel. Allegorien produzieren dadurch Meta-Allegorien:22 Sie führen nicht nur heilsgeschichtlich über sich hinaus, sondern wenden sich mit moralisch-adhortativer Rede an den Rezipienten. Die Erzählung vom inneren Streit potenziert damit Auslagerungen in räumliche, zeitliche wie auch kommunikative Dimensionen.

      Die Pendelbewegungen von Innen nach Außen und zurück, die das Raumprogramm der Psychomachia bestimmen, finden somit im Erzählverfahren der fortgesetzten Allegorisierung ihre formale Entsprechung. Sie zielen darauf, Unordnung zu Unterscheidungen zu stabilisieren, ohne den Unruhegrund auszulöschen, von der die Anthropologie der Rahmenpartien spricht. Unsichtbarkeit und Unzugänglichkeit im Menschen sollen zwar verstärkt sichtbar werden (durch allegorische Figurationen und bildliche Intensivierung), indem sie gezielt aus der Einschlussform herausgeholt werden, die den Menschen bezeichnet – gänzlich ausräumen lassen sie sich nicht. Zentrale Transformationsleistung der Psychomachia ist, diese Spannung zwischen latenter Unordnung und transzendentem Ordnungsverlangen als Selbstverhältnis zu imaginieren.

      2.2 Streit um den Menschen (II): Zur Anklageordnung der Vorauer Sündenklage

      Für die gesamte Seelenkampf-Literatur des Mittelalters lieferte die Psychomachia des Prudentius ein maßgebliches Grundlagenmodell. Doch selbst wo Texte andere Wege einschlagen, erweist sich die Strategie der Externalisierung als Standard anthropologischer Reflexion. Dies zeigt die in der Vorauer Handschrift 276 aus dem letzten Viertel des 12. Jahrhunderts überlieferte Sündenklage. Ihren pragmatischen Rahmen bildet die Selbstanklage. Flehend wendet sich das Ich an Sancte Maria, die als Fürsprecherin zu einer Gerichtssituation vor Gott ›geladen‹ wird: zuo miner helve wis geladet (V. 8–10).1 Ausführlich wird die Gottesmutter für ihre Mitwirkung am Auferstehungs- und Erlösungswerk Christi gepriesen, um Hilfe für die eigene Rettung und Auferstehung zu erbitten (V. 188). Denn aus eigenem Verschulden (V. 11: von minen sculden) sei alle Ehre verloren, die Gott an Seele und Körper des Menschen gewendet habe (V. 196–201), das Ich dem Teufel und drohenden Höllenqualen überantwortet (V. 233).

      Über die Mittlerin Maria wendet sich das Ich zu Gott (ab V. 291), wobei es sich exemplarisch verallgemeinert: Die Welt mit ihren Verführungen hat mir armen getan / also vil manegem man (V. 421f.). Reumütig zählt es sämtliche Todsünden auf, die es von Geburt an begangen habe (V. 463–558). Ähnlich der Psychomachia, wenngleich selbstverschuldet, sieht auch das Ich der Sündenklage den Menschen in gefährlicher Unordnung: Seit Adams Fehltritt seien alle Menschen (wir) in einen Schlangengarten der Sünde geworfen (V. 70–76).

      Befreiung sucht die Sündenklage, indem sie Ordnungsansprüche nach dem Modell hierarchischer Rechtsbindung schrittweise überträgt. Statt auf das Selbst richtet sich die Anklage nun auf einen Erbstreit mit dem Teufel: nu gip [= Gnaediger herre] mir geleite / heim zuo minem erbe, / daz wil mir <der> tievel wergen (V. 726–728; ebenso V. 733f.). Während Sünde wie Buße eigene Handlungsentscheidung und Aktivität voraussetzen (V, 11–13 und V. 339), betont das Ich in solchem Bemühen um Rechtsschutz nun vor allem Passivität und Abhängigkeit. Einerseits vom Teufel gefesselt (V. 233) und von der Welt betrogen (V. 423f.), sieht es sich andererseits gegenüber Gott als Diener ohne eigenständigen Rechtsstatus: ja chouftest du mich armen / mit din selbes bluote (V. 430f.); nu ist ouch billich unde reht, / daz du enphahest dinen armen choufchneht (V. 638f.). Aller Kaufmannssemantik zum Trotz ruft diese Übertragungsgeste die Rechtslogik feudaler Gesellschaftsordnung auf, welche die Abhängigkeit des unterstellten Subjekts zugleich an Schutzpflichten des Vormunds koppelt. Treffend apostrophiert das Ich daher Gott als voget aller armen (V. 731).

      Wie konsequent diese Vertretungslogik die Sündenklage durchzieht, zeigt die Schlusspartie (V. 729–858), die den Gerichtskampf in ein kämpferisches Selbstverhältnis transformiert. Wenn das Ich gegen die Ansprüche des Teufels um Leib und Leben kämpfen müsse (V. 735: sol aver ich ein kampf mit ime vehten), dann geschützt durch den Panzer (V. 775: chamfwat) christlicher Tugenden (V. 751–774). Zielte Prudentius darauf, Differenz im Inneren des Menschen auszuräumen, schließt die Vorauer Sündenklage dieses Innen metaphorisch ab: Zum Schutz vor den Pfeilen des