Die Schweizer Armee wollte mich bei der Aushebung 1952 nicht, obwohl ich sportlich und gut trainiert war. Die Relation zwischen Brustumfang und Grösse stimmte nicht. Sie sagten, mein Brustumfang sei zu klein; ich behauptete dagegen, ich sei einfach zu lang. Dabei wäre ich so gerne Offizier geworden wie mein älterer Bruder; der hat mir imponiert. Und überdies wäre damals eine Offizierslaufbahn für Karriere und Beziehungen von Vorteil gewesen.
Beim Weitsprung.
Nach meinem VOLG-Jahr entschied Vater, ich solle mein Studium in Genf aufnehmen, um meine miserablen Französischkenntnisse aufzubessern. So begann ich, Science Economique zu studieren. Nie hätte ich gedacht, dass es mir in der Westschweiz so gut gefallen würde. Mein erster Abend am Genfersee war allerdings eher blamabel. Über Beaudelaire hätte ich wunderbar diskutieren können, aber ein Nachtessen mit Suppe, Rösti und Bratwurst auf Französisch bestellen, konnte ich kaum.
Dass ich mich im Oktober 1954 dann an der Handelshochschule St. Gallen einschrieb, lag fast auf der Hand. Mein Vater war unterdessen Professor für Angewandte Volkswirtschaftslehre an der HSG geworden und die Familie lebte bereits seit einem Jahr in der Ostschweiz. Onkel Willi half wacker mit, dass sich meine Eltern bald inmitten des gesellschaftlichen Zentrums der Stadt bewegten.
Im Frühling 1956 erhielt mein Vater ein Sabbatjahr, und die UNO erteilte ihm einen Beratungsauftrag auf den Philippinen. Unsere Familie fand, Vater könne man nicht alleine nach Asien fahren lassen, und so ging ich mit. Knappe zwei Monate vor der Abreise erfuhr ich von diesem Abenteuer. Ich sprach kein Wort Englisch und musste in aller Eile ein paar Privatstunden nehmen. Mit dem Flugticket, mit dem man damals noch x Umwege einbauen konnte, reiste ich über München,Athen, Kairo, Bangkok und Hongkong – wo ich billige Tropenkleider erstand – nach Manila. Es war wunderbar dort, Englisch lernte ich in kürzester Zeit und daneben noch Spanisch, ostasiatische Geschichte und Entwicklungsökonomie. Vater und ich mieteten eine Wohnung, und mein jüngerer Bruder Ruedi und Mutter stiessen nach einem halben Jahr zu uns. Die Entwicklungsprobleme interessierten mich sehr, und wir reisten viel herum. Auf den Philippinen fand ich sogar mein Doktorandenthema «Die Zollpolitik der Industriestaaten als Hindernis für die Entwicklung unterentwickelter Länder». Ein Jahr später, im April 1958 schloss ich meine Studien in St. Gallen mit dem Lizenziat ab, und im Oktober heirateten Ilse und ich.
Meine Frau bereitete sich inzwischen an der Juventus-Schule in Zürich neben ihrer Arbeit als Sekretärin bei Georg Fischer in Schaffhausen auf die Matura vor. Doktorieren wollte ich nicht in St. Gallen im Schlepptau meines professoralen Vaters. Es sollte aber an einer deutschsprachigen Universität sein. Die Freie Universität in Berlin wäre mir lieb gewesen; aber Mutter befürchtete, ich würde dann in den Ostsektor reisen und dort stänkern. Sie fand, ich sei zu antikommunistisch eingestellt und in Berlin in Gefahr! So entschied ich mich für Wien, und zwei Jahre lang war es ein «On & Off» mit Reisen in die österreichische Hauptstadt; Ilse und ich wohnten mittlerweile wieder in Neuhausen, und sie schrieb meine 309-seitige Dissertation mit einer einfachen Schreibmaschine und auf Matrizen. Meine wunderbare Ehefrau korrigierte meine vielen Schreibfehler, die vierzig Kopien wurden gebunden, und schliesslich doktorierte ich 1960 in Wien.
Eine Optimierungsstudie der Bäcker und Müller aus der Westschweiz mit dem Ziel, die Konkurrenzsituation mit Migros und Coop besser zu überstehen, war mein erster Job. Die Aufgabe hätte mein Vater übernehmen sollen, aber der war wieder irgendwo auf einer Auslandsmission, und so sprang ich für ihn ein.
Meine erste eigentliche Stelle bekam ich 1961 bei der IBM in Zürich. Wir hatten unterdessen zwei kleine Kinder, Heinz Georg, geboren 1959, und Urs, geboren 1961. Bei IBM war ich unter anderem für die Marktforschung für Kugelkopfschreibmaschinen verantwortlich. IBM war damals schon eine fortschrittliche Unternehmung; «THINK» stand in fetten Lettern auf einem Plakätchen auf jedem unserer Tische. Diese Botschaft hätte Anfang der Sechzigerjahre kaum eine Schweizer Firma den Angestellten als Leitspruch mit auf den Weg gegeben!
Erste Computer kamen im Winter 1961/62 in die Schweiz. Wir begannen uns zu überlegen, was man mit diesen wohl anfangen könnte. Im Rückblick ist das lustig: Primär dachte man nicht an administrative Aufgaben. Wir meinten viel mehr, Computer könnten etwa zur Steuerung der Maschinen in der Glas-, Eisenerz- und Stahlindustrie eingesetzt werden. Mein Job machte mir Spass, aber lieber noch wollte ich zurück in die internationale Entwicklungsarbeit. Das war nicht einfach dazumal, weil ich, ausser meinem Studium in den Philippinen, kaum Erfahrungen mit Entwicklungsproblemen vorweisen konnte.
Ich dachte zu jenem Zeitpunkt, wir in Europa und die Amerikaner hätten unsere Wirtschaftsprobleme voll im Griff; die Probleme der Entwicklungsländer hingegen seien ein offenes Feld. In Europa und Amerika gäbe es nichts Spannendes mehr zu tun – nun seien die Entwicklungsländer interessant. Wie falsch diese Ansicht war, hat sich allerdings bald gezeigt.
IBM wollte mich nach Paris ins europäische Headquarter versetzen; aber das kam für mich und meine Familie nicht in Frage. Mit einer Diplomatenlaufbahn liebäugelte ich auch eine kurze Zeit. Als aus dem Departement des Äusseren in Bern die Anfrage kam, ob ich nach Rabat reisen würde, sagte ich sofort zu. Die amerikanische Entwicklungsagentur suchte einen französisch sprechenden Ökonomen aus einem neutralen Land, um ihre Beziehungen zur marokkanischen Verwaltung auszubauen und zu verbessern und hatte «Bern» um Hilfe gebeten. Ilse und ich kauften uns ein Auto. Wir waren eine «old fashioned» Familie, die erst Kinder und dann ein eigenes Auto hatte!
Den Opel-Stationswagen packten wir bis unters Dach mit unserem Hab und Gut und fuhren im März 1962 von St. Gallen nach Rabat. Wir hatten vor, nach ein bis zwei Jahren in die Schweiz zurückzukehren und eventuell dort eine akademische Laufbahn einzuschlagen. Fünfzig Jahre später sind wir immer noch nicht zurück. Die beiden Buben kamen später mit der Grossmutter im Flugzeug nach. Wir brauchten vier Tage und fuhren durch Spanien, nach Barcelona, dann alles der Küste entlang und mit dem Schiff hinüber nach Marokko – keinen einzigen Kilometer Autobahn. Die anderthalb Jahre in Marokko waren herrlich. Wir reisten viel mit den beiden kleinen Buben und lebten uns schnell ein. Meine Frau liebte es, auf dem Markt auf Arabisch zu handeln; handeln hatte sie im Krieg in Deutschland schon von ihrer Mutter gelernt. Wir hatten ein Haus mit Garten und für die Kinder einen Sandhaufen – ich hatte mein Büro auf der amerikanischen Botschaft und schrieb Wirtschaftsberichte. Für mich war es hochinteressant.
Anschliessend gings für zwei Jahre nach Monrovia für ein Projekt, das von der UNO finanziert und von der Harvard University organisiert war. Unser Team hatte die wirtschaftliche Entwicklung von Liberia zu planen. Die UNO meinte tatsächlich, man könnte das. Was für ein Blödsinn! Unsere Pläne wurden nie umgesetzt; die Verantwortlichen im Staat machten, was sie wollten. Sie hielten sich nie an ihr eigenes, jährliches Budget und noch viel weniger an unseren Vierjahresplan. In Monrovia kam im Juni 1965 unsere Tochter Monika auf die Welt – in einem kleinen Spital, das von spanischen Mönchen geführt wurde. Um die Mittagszeit waren die Padres zwar bei der Siesta, als bei Ilse die Wehen losgingen. Beim dritten Kind waren wir beide glücklicherweise nicht mehr so aufgeregt, und schliesslich ging für Mutter und Kind alles sehr gut; die Kleine wurde kurz nach der Geburt, frisch gewaschen und in eine Decke gehüllt, der Mutter in den Arm gelegt – so was war damals in der Schweiz noch undenkbar.
In Monrovia hatte ich erste Kontakte mit der in Washington beheimateten Weltbank, die schon damals die führende Institution im Bereich der Entwicklungsarbeit war. Ein dort tätiger Schweizer besuchte uns ab und zu in Liberia. Die Institution interessierte mich je länger je mehr. Und als eines Tages gleich zwei Stellenangebote auf meinem Tisch landeten – eines von UNIDO in Genf und eines von der Weltbank in Washington –, entschied ich mich klar für die Weltbank. Erstens reizte mich diese beruflich mehr, und zweitens waren wir noch nie in Amerika gewesen. Nach Genf konnte ich immer noch – später. Amerika war damals für viele Schweizer ein Traum, und überdies gab es in Washington eine sehr gute deutsche Schule für unsere Kinder, die vom Kindergarten bis zur Matura führte.
Von Land