Ich kam aber nicht einfach zur Weltbank nach Washington, sondern für eine ganz bestimmte Tätigkeit – als Entwicklungsökonom. Und ich blieb dort dreissig Jahre lang – von 1966 bis 1996. Nach 28 Jahren wurde ich pensioniert, aber nur gerade für einen Tag, und arbeitete dann noch zwei Jahre als Berater weiter.
Ich war Ökonom bei der Weltbank und wollte nichts anderes sein. Titel bedeuten mir nichts. Aufsteigen in die Verwaltungsjobs, das wäre nichts für mich gewesen. Das ist etwas für Bürokraten und hat mich nie interessiert. Das Umfeld meiner Tätigkeit bei der Weltbank war ausgesprochen international, sowohl im Hauptquartier in Washington als auch im «Feld». Das war für mich ein Plus, das ich in dieser Art wohl nirgendwo anders gefunden hätte. Viele Freunde und Kollegen aus der ganzen Welt, alles faszinierende, gebildete Leute, viele mit einer interessanten Vergangenheit: ein ehemaliger Finanzminister aus Burkina Faso, ein ehemaliger Mönch aus Thailand, mein langjähriger Chef, Abkömmling einer alteingesessenen und prominenten syrischen Familie, mit dem ich viele Jahre lang eng zusammengearbeitet habe. Aber auch die Kontakte mit den amerikanischen Kollegen und im Verlaufe der Jahre vermehrt auch Kolleginnen waren immer sehr anregend.
Die Weltbank betrachtet sich keineswegs als eine UNO-Institution, trotz einiger weniger administrativer Verbindungen. Es besteht kein Vetorecht der Grossmächte wie im Sicherheitsrat; es hat aber auch nicht jedes Land eine Stimme wie in der UNO-Generalversammlung. Formell ist die Bank eine Aktiengesellschaft, und die sogenannten Mitgliedsländer sind formell Aktionäre, die verschieden viele Aktien besitzen; die grossen Staaten mehr, die kleinen weniger.
Die Weltbank macht es niemandem recht. Zu meiner Zeit war es jedenfalls so. Die Rechte argwöhnte, wir seien eigentlich verkappte Sozialisten, wenn nicht noch Schlimmeres; die Linke behauptete, wir seien Erzkapitalisten ohne jedes Gefühl für die Armen. Die Bank war schon immer für Globalisierung, unter anderem, um damit auch den Entwicklungsländern eine Chance zu geben, auf dem Weltmarkt tätig zu werden, und zwar nicht nur in ihrer angestammten Rolle als Rohstofflieferanten (Thema meiner Dissertation). Wenn ich daran denke, welche Mengen an Obst und Gemüse wir heute im Winter aus Südamerika beziehen, hat sich die Globalisierung für die Entwicklungsländer durchaus gelohnt – nicht zu vergessen Unterwäsche, Hemden und Socken aus Indonesien und Vietnam. Natürlich hat die Globalisierung auch ihre Nachteile und darf nicht übertrieben werden. Aber am Schluss bringt sie zweifellos auch den Entwicklungsländern wesentlich mehr Vor- als Nachteile.
Was die Weltbank im Allgemeinen für Erfolge erzielt hat, ist schwer zu sagen. Ständen die unterentwickelten Länder heute wesentlich schlechter da, wenn es sie nicht gäbe? Wahrscheinlich etwas schlechter, aber nicht viel. Zu den bedeutenden wirtschaftlichen Erfolgsgeschichten seit dem Zweiten Weltkrieg – Japan, Südkorea, Taiwan und seit kurzem China – hat die Bank wenig beigetragen. Die Entwicklungsdynamik muss primär aus dem Lande selbst kommen, und die einheimischen Eliten spielen dabei, oder sollten jedenfalls, eine vitale Rolle. Ohne eine solche lokale Dynamik kann auch die beste Entwicklungshilfe wenig ausrichten – nicht Null, aber wenig.
Die Schweiz, die seit 1992 Weltbank-Mitglied ist, spielt eine limitierte Rolle, aber doch eine, die gespielt sein musste und muss. Viel Geld wird verschleudert, aber das liegt in der Natur der Sache. Wenn alles so einfach wäre, gäbe es schon lange keine Entwicklungsländer mehr. War und ist die schweizerische Entwicklungshilfe besser als andere? Ich habe zwar Gutes gesehen, aber auch ganz anderes. Weil relativ klein – verglichen mit den USA und anderen –, ist unser Land etwas realistischer und überschaubarer und politischem Druck etwas weniger ausgesetzt. Das Bauen von kleinen Brücken in Nepal – seit Jahren ein Paradestück schweizerischer Entwicklungshilfe – ist sicher sinnvoll, wenn diese nachher auch unterhalten werden. Aber wenn die nepalesischen Eliten ihre Kraft und Zeit primär damit vergeuden, sich gegenseitig umzubringen, kann sich das Land trotz aller Brücken nicht wirtschaftlich entwickeln.
Meine Tätigkeit bei der Weltbank sah ich voll im globalen Verständnis. Natürlich kann man sich nie ganz von seinem Ursprung lösen, intellektuell wie gefühlsmässig. Aber es gibt ja keine speziell schweizerische oder amerikanische Art, an Entwicklungsprobleme heranzugehen. Als Schweizer war ich oft etwas weltoffener und flexibler. Im Gegensatz zu vielen Amerikanern sind wir – meistens – nicht felsenfest davon überzeugt, dass unser Heimatland das Beste der Welt ist, und alle anderen es so machen sollten wie wir. Als ich für eine Mission nach Benin insistierte, nur Mitarbeiter mitzunehmen, die genügend Französisch sprachen, erhielt ich die Antwort, die Beninois sollten gefälligst Englisch lernen; zum Glück ein seltener Vorfall, aber doch symptomatisch.
Ansonsten hat sich mein Schweizertum darauf beschränkt, gute Beziehungen mit den Schweizer Botschaften zu pflegen, wo immer ich war in Afrika oder im Nahen Osten. Es gab auf alle Fälle immer ein gutes Mittag- oder Abendessen, viel wichtiger aber, interessante Gespräche mit Schweizer Geschäftsleuten, die in dem Lande beruflich zu tun hatten oder sogar dort lebten und von denen man vieles erfahren konnte, was einem die Regierung nicht erzählt hätte. Es ist unglaublich, wie anders ein Land aussieht, wenn man mit dem Planungsminister spricht oder dem Direktor einer lokalen Kondensmilchfabrik.
Ich lebte meinen Traumjob. Ich habe mich zwar ein paar Mal in der Schweiz um einen Posten beworben, an meiner Alma Mater HSG um die neugeschaffene Professur für Entwicklungspolitik, an der ETH um die Chefposition der neugeschaffenen Abteilung für Entwicklungsfragen und als Direktor bei der DEZA in Bern – jedesmal ohne Erfolg. Wenn ich weg wollte, konnten sie mich bei der Weltbank immer wieder ködern!
Anfang der Siebzigerjahre reisten wir mit einem Trailer nach Kalifornien, in der Meinung, anschliessend in die Schweiz zurückzukehren. Und nun sind wir wieder vierzig Jahre länger hier. Schliesslich wurde ich im Jahre 2002 auch amerikanischer Staatsbürger, meine Frau und die Kinder schon viel früher. Wenn ich aber die Schweizer Staatsbürgerschaft dafür hätte aufgeben müssen, wäre ich wohl kaum Amerikaner geworden.
Ich habe absolut kein Problem, mich gleichzeitig als Schweizer und Amerikaner zu fühlen – nur während der Olympischen Spiele bin ich jeweils total Schweizer!
Die deutsche Schule in Washington war lange Jahre unser familiäres Zentrum und half, dass unsere Kinder auch ein Stück weit schweizerisch blieben. Wir sprachen zu Hause immer strikt Schweizerdeutsch. Meine Familie schimpfte zwar, ich sei das halbe Jahr im Ausland unterwegs. Was natürlich nicht stimmte. Aber ich war viel in Afrika unterwegs und nicht eben viel zu Hause, meine Frau hat die Familie gemanagt. Und dafür bin ich ihr ausserordentlich dankbar. Sie hat es sehr gut gemacht. Wenn ich so und so viele Auslandstage hatte, durfte meine Frau mal wieder mit auf eine Mission.
Wir zogen in all den Jahren auch immer weiter aus Washington raus – immer mehr aufs Land. In Amerika machte ich wenig negative Erfahrungen – in der Schweiz auch nicht. Und wenn ich jetzt so zurückdenke – ich lebte auf vier von fünf Kontinenten.
Zur Schweiz hatte und habe ich aber immer Kontakt. Auf meinen häufigen Dienstreisen nach Afrika und dem Nahen Osten habe ich jedes Jahr ein- bis zweimal für einige Tage Station in der Schweiz gemacht. Und alle zwei Jahre zahlte uns die Weltbank eine Reise in die Schweiz – dann blieben wir für fünf, sechs Wochen, meist im Ferienhäuschen am Untersee.
Und dann war ich ja auch sechs Jahre Präsident der Swiss American Historical Society. «Du musst nicht viel machen, ein-, zweimal im Jahr einen Brief unterschreiben», liess man mich wissen. Weit gefehlt. Es war eine recht aufwendige Aufgabe, aber ein schönes Amt.
Wir sind nicht mit einem Immigrationsvisum nach Amerika eingewandert, sondern als International Civil Servants mit einem Spezialstatus, wie alle Mitarbeitenden von internationalen Organisationen. Die amerikanische Regierung hatte nichts dazu zu sagen. Solange ich für die Weltbank arbeitete, reiste ich mit einem UNO-Pass und wurde überall quasi wie ein Diplomat behandelt.
Meine Frau ist eine passionierte Reiterin; ich komme mit zwei Beinen besser aus. Foxhunting wurde Ilses Leidenschaft; sie hatte immer eigene Vollblutpferde, und als ich nahe der Pensionierung war, fanden wir diesen Platz hier. Wo wir vorher wohnten, wurde alles überbaut, und zum Reiten gab es kaum mehr Platz. Hier im Montgomery County, in Comus, bauten wir unser Haus nach eigenen Plänen, dazu eine Pferderanch mit viel, viel Auslauf.