Klassiker der Romantik in Poesie und Prosa: Die berühmtesten Werke von Joseph von Eichendorff. Joseph von Eichendorff. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Joseph von Eichendorff
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4066338128522
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schüttelnd, ruhig an und hieb mit dem einen Hinterfuß nach den Komödianten, die ihn heimlich zwickten. Otto aber, von der allgemeinen Lust mit angesteckt, antwortete: »Meine großmächtige Frau Libuschka, ich komme von Haus und bin willens, in der Welt ein mehreres zu studieren oder einen Dienst zu bekommen, denn ich bin ein armer Schüler.« – »Daß dich Gott behüte, mein Kind!« versetzte die alte Zigeunerin » – »aber zum Teufel! Laßt die Faxen, ich falle wahrhaftig herunter!« rief sie dazwischen den Schauspielern plötzlich mit grober Stimme zu, an der Fortunat sogleich Herrn Ruprecht erkannte. Dieser aber ließ sich dadurch nicht irremachen. »Wann du Lust hast, bei uns zu bleiben«, fuhr er fort, »so ist der Sache bald abgeholfen.« – »Ich will noch ein paar Tage mit mir selbst zu Rat gehen«, erwiderte Otto, »des Studierens und Tag und Nacht über den Büchern zu hocken, bin ich schon vorlängst müd worden.« – »Du hast einen weisen Menschensinn, mein Sohn«, versetzte hier Ruprecht, »und kannst hierbei leicht abnehmen und probieren, was unsere Manier vor anderer Menschen Leben für einen Vorzug habe, wenn du nämlich siehst, wie wir hier in unserer Freiheit auf den alten Kaiser leben, wie die Marder und Füchse. Was ist Reichtum, was ist Geld, Habe? Wenn ich's nicht habe, acht ich's für gar nichts, und wenn ich's habe, schmeiß ich's gleich wieder weg. Man muß immer als Philosoph denken, glaube einem alten Genie, mein Sohn, und werden die Lichter ausgeputzt und es kommt die Nacht und die Schlafenszeit, so sind doch alle wieder gleich, Zigeuner und andere Leut'!«

      »Oho!« riefen hier die anderen darein, denen der Sermon schon zu lang wurde, »eine moralische Libuschka! Eine philosophische Zigeunerin!« Ruprecht schimpfte sie ganz erbost Ignoranten, die wie Ochsen mit eingelegten Hörnern ins Blaue hineinrennten. Aber sie hörten nicht auf ihn. Ein paar rüstige Gesellen erwischten Otton bei den Beinen, und schwangen ihn vor die Frau Libuschka auf den Esel, den Kordelchen unterdes mit bunten Bändern ausgeschmückt hatte; andere faßten die Zügel, und so wälzte sich der ganze tolle Zug nach dem Gartenpalaste hin.

      Hier aber wurden sie selbst überrascht, die Zurückgebliebenen hatten sich schnell verkleidet und unter den Bäumen bunte Zelte aufgeschlagen, so lagen sie an lustigen Feuern umher, und zu Fortunats Verwunderung kam es nun nach und nach heraus, daß sie Otton als ein neues Mitglied ihrer Truppe heute hier erwartet hatten. Unter ihnen erwies sich Guido besonders geschäftig, der junge, hübsche Maler aus der Kapelle, der in seiner sorgfältigen Zigeunertracht sich selbst sehr hübsch zu finden schien und, von Zeit zu Zeit Kordelchen feurige Blicke zuwerfend, wohlgefällig sein Schnurrbärtchen strich. Er hatte brennende Pechkessel besorgt und war eifrig bemüht, die phantastischen Gestalten malerisch um die Flammen zu gruppieren und überall die rechten Lichteffekte anzubringen. Er mußte indes gar bald alles gehenlassen, es war schlechterdings keine Ordnung und kein künstlerisches Motiv hineinzubringen. Über dem dunkelen Berge aber trat plötzlich der Mond aus einer Wolke und beschien die stillen Wälder und Gründe; da war auf einmal alles in der rechten, wunderbaren Beleuchtung: das öde Haus, der altmodische, halbverfallene Garten, die wildverwachsenen Statüen und die abenteuerlichen Gestalten, die auf den Bassins der vertrockneten Wasserkünste umhersaßen, wie eine Soldatennacht im Dreißigjährigen Kriege. – »Preziöschen!« rief Fortunat Kordelchen zu, »bellt von fern ein Hund liegt ein Dorf im Grund, schläft Bauer und Vieh, gibt was zu schnappen hier!« – Kordelchen antwortete munter: »Heult der Wolf in der Heid', ist mein Schatz nicht mehr weit; stellt aus die Wacht, gibt heut eine gute Zigeunernacht.« – »Willewau, wau, wau, witohu!« riefen die andern jauchzend dazwischen. Kordelchen aber schwang plötzlich ein Tamburin, daß es schwirrte, tanzte mit ihren roten polnischen Stiefeln auf zigeunerisch und sang dazu:

      Am Kreuzweg, da lausche ich, wenn die Stern

       Und die Feuer im Walde verglommen,

       Und wo der erste Hund bellt von fern,

       Da wird mein Bräut'gam herkommen.

       Fortunat antwortete lustig:

       Und als der Tag graut' durch das Gehölz,

       Sah ich eine Katze sich schlingen,

       Ich schoß ihr auf den nußbraunen Pelz,

       Die macht' einmal weite Sprünge!

       Kordelchen sang wieder:

       's ist schad nur ums Pelzlein, du kriegst mich nit!

       Mein Schatz muß sein wie die andern:

       Braun und ein Stutzbart auf ungrischen Schnitt

       Und ein fröhliches Herze zum Wandern.

      Hier schlug sie das Tamburin dem Ruprecht, der ihrem Tanze verliebt zusah, dröhnend an den Kopf und setzte sich, in der Tat wie ein Kätzchen, dem träumerischen Otto auf den Schoß.

      »Weißt du« sagte sie, ihre Haare aus dem erhitzten Gesicht schüttelnd, »weißt du noch, wie wir uns zum erstenmal sahen? Du kamst vom Giebichenstein herab mit einem studentischen Helm, daß der Federbusch dir in die Augen hing; damals gefielst du mir besser als jetzt so mit dem närrischen Frack.« – Otton war's bei diesen Worten, als tauchte seine ganze, schöne Jugendzeit wieder vor ihm auf, das Mädchen war nur so wild, das störte ihn heimlich. – »Es war in den ersten Frühlingstagen«, sagte er, »überall zogen Studenten durchs Grün, du saßest auf der Bank vor dem Wirtshause unter den Linden und spieltest die Harfe.« – »Ja, ja«, fiel ihm Kordelchen in die Rede, »und du glaubtest, ich spielte für Geld, und setztest dich neben mich und drücktest mir einen Taler in die Hand.« – »Und du«, versetzte Otto, »besahst verwundert das Geld, dann stecktest du's lachend ein, gabst mir schnell einen Kuß und verschwandst im Hause, und ich sah dich nicht mehr wieder. Ach Kordelchen! nun ist ja alles, alles wieder gut, und« »Nun und was denn?!« rief Kordelchen lustig, sprang schnell auf und verlor sich in dem dicksten Haufen.

      Kamilla, die es mit angesehen, ging eben vornehm vorüber und sprach halbleise von wilden Waldbeeren, womit man Gimpfel fange. Otto aber hielt sich nun nicht länger und fiel ganz glückselig dem Fortunat um den Hals. »Ach«, rief er aus, »ich bin so von Grund der Seele vergnügt, wie ein Vogel in der Luft!« – Sie gingen miteinander auf den mondbeschienenen Gängen weit fort, daß sie die Stimmen der Schauspieler kaum mehr vernahmen, und Otto erzählte nun, wie entsetzlich einsam es nun auf Hohenstein geworden, nachdem Walter und Fortunat fortgezogen. Er habe sich gleich nach ihrer Abreise mit redlichem Ernst und Eifer ganz auf die Bücher geworfen, nichts anderes gedichtet und getrachtet und selbst jede Erinnerung an sein früheres Leben gewissenhaft vermieden. »Aber«, fuhr er fort, »die Seele des Dichters ist wie eine Nachtigall, je tiefer man ihren Käfig verhängt, je schöner schlägt sie, und ich hörte sie oft in Träumen wunderbar klagen, aber ich hütete mich wohl, wenn ich erwachte, dem weiter nachzuhängen. Und wie nun so der Amtmann täglich um dieselbe Stunde auf das Feld hinausritt und wieder zurückkehrte und Florentine ihre Tauben fütterte und ihre Blumen band, und ringsum in der ländlichen Stille allmählich alles wuchs und wuchs, als wollte das Grün die Menschen begraben – es war mir nicht anders, als säß ich viele hundert Klaftern tief im Meer und hörte die Abendglocken meiner Heimat von weitem über mir. So verzehrte ich mich sichtbar selbst, der gute Amtmann sah mich oft insgeheim bedenklich an, die Amtmannin steckte mir die besten Leckerbissen zu, sie dachte, wenn ich nur erst fetter wäre, so würde schon alles gut werden. – In einer schönen Nacht aber träumte mir von Halle, ich stand auf dem Giebichenstein, die Kirschgärten unten blühten wieder, und lustige Kähne mit Studenten glitten die Saale hinab, da erklang ein Lied aus dem Tale, das ich damals gehört, auf das ich mich aber seitdem durchaus nicht wieder besinnen konnte. Ich wachte vor Freude darüber auf, das Fenster stand noch offen, und als ich mich hinauslehnte, klang das Lied wirklich draußen durch die stille Nacht herüber. – Seht, ein solcher Lufthauch wendet oft das Narrenschiff des Menschen! Ohne selber recht zu wissen, was ich tat oder wollte, kleidete ich mich rasch an, schnürte mein Bündel, im Hause schliefen noch alle, und ehe eine Viertelstunde verging, wanderte ich schon durch die dunkle Kastanienallee das stille Dorf entlang. Als ich ins Freie kam, tönte das Lied noch immerfort, aber sehr fern.«

      Hier hielt er plötzlich erschrocken inne, man hörte tief im Garten singen; die Luft kam von dort herüber; sie konnten deutlich folgende Worte vernehmen:

      Hörst du nicht die Bäume rauschen

       Draußen durch die stille Rund?

       Lockt's dich nicht, hinabzulauschen