Währenddes hatte sich, ohne von dem Streit Notiz zu nehmen, ein kurzer, runder Mann zu Fortunaten gesellt, der sich ihm als den fürstlichen Schulrat vorstellte, und in welchem er sogleich den dicken Schützen wiedererkannte, dem sie gestern vom Felsen geholfen. Fortunat wußte gar nicht, wie ihm geschah, da der Kleine auf einmal sehr gelehrt von Poesie, Kunst und Religion zu sprechen anfing und sich endlich angelegentlich erbot, ihn in den wenigen Augenblicken der Muße, die ihm blieben, mit den mancherlei Merkwürdigkeiten des Orts bekannt zu machen. Kaum hatte der kämpfende Maler Albert den Schulrat erblickt, als er vornehm den Streit abbrach und sich zu ihnen wandte. – »Vortrefflich«, sagte der Schulrat, sich an Fortunats Arm hängend, »so geleite ich Sie gleich zu einem Götterfrühstück, womit ich mich jeden Morgen für meine Berufsgeschäfte zu stärken pflege.« – So schritten sie eilig durch einen langen Korridor zu einer schweren, eichenen Tür, die Albert mit einer gewissen Feierlichkeit öffnete. Es war sein Atelier, ein hohes, ritterliches Gemach, an dessen schmuckloser Hauptwand ein großes, mit der Jahreszahl 1813 bezeichnetes Schwert hing, um das sich ein verwelkter Eichenkranz wand. »Das ist mein treuer Reisegefährte«, sagte Albert zu Fortunat, »und wenn mich schlaffe Ruh oder weichliche Lust überschleichen wollen, blick ich die Eisenbraut an und gedenke der ernsten, großen Zeit.« – »Ach, das ist schon eine alte Geschichte!« entgegnete Fortunat lachend. – »Sind Sie damals mit zu Felde gewesen?« fragte der Maler etwas spitzig. – »Freilich«, erwiderte jener, »das versteht sich ja aber ganz von selbst.«
Inzwischen befand sich der Schulrat schon mitten unter Alberts Arbeiten, die in dem Gemach umherstanden und von dem erstaunenswerten Fleiße des Malers zeugten. Da waren die ungeheuersten Anstalten zur Kunst: Gliederpuppen, sorgfältig gefaltete Mäntel, Modelle und Büsten, dazwischen mehrere vollendete Bilder, Historienstücke aus der antiken Heroenzeit von sehr zusammengesetzter, studierter und nicht leicht faßlicher Komposition. »Göttlich!« rief der Schulrat einmal über das andere aus, während er mit Kennermiene beschäftigt war, jedes Bild genau in das rechte Licht zu stellen. »Sehen Sie den ätherischen Hauch des Inkarnats, die Perspektive, diesen klassischen Ausdruck!« – »In der Tat, ein philosophischer Pinsel«, erwiderte Fortunat. Denn diese anmaßlichen, affektierten Heldengestalten voll Männerstolz und Männerwürde wollten ihm nicht im mindesten behagen, und die Jungfrauen mit ihrer langgesstreckten, anmutlosen Tugendlichkeit kamen ihm gar wie gemalte Begriffe der Jungferschaft vor.
»Nun, ich muß mich nur wieder mit Gewalt losreißen«, sagte endlich der Schulrat, seinen Hut ergreifend, »ernstere Gesschäfte rufen mich. – Ein Genie!« flüsterte er, im Fortgehen auf Albert deutend, Fortunaten zu. – »Ein tiefer, umfassender Geist!« sagte Albert, als der Schulrat verschwand.
Fortunaten aber hatte unterdes eines von den kleinern Bildern angezogen. Man sah Rom in der Ferne mit seinen phantastischen Trümmern und Palästen in der vollen Glut des südlichen Abendhimmels. Im Vorgrunde, von Rom fort, schritt einsam durch das schon dunkelnde, öde Feld ein einzelner Mann mit antikem Faltenwurf des Mantels und feierlich ernster Miene, an der Fortunat sogleich den Maler selbst erkannt hätte, wenn er auch nicht zum Überfluß noch mit dem obengedachten Schwerte vom Jahre 1813 umgürtet gewesen wäre. – »Aber warum in aller Welt kehren Sie dieser leuchtenden Wunderpracht hier so eilfertig den Rücken?« fragte er erstaunt. – »Dieses Bild«, erwiderte Albert, mit seinem allerlängsten Gesicht, »bezeichnet eigentlich die dunkle Führung überhaupt, die in meinem Leben waltet. Rom ist herrlich, und ich nahte voll Ehrfurcht den alten Heldenmalen. Aber das leichtsinnige Geschlecht und das Klingeln der Bonzen über den Gräbern versunkener Größe störte und empörte mich. Ich konnte mich den Anmutungen des Aberglaubens, auch nur zum Scheine, nicht gefällig erweisen und hatte beständig Verdruß. Dazu kam, daß das Geschick meines deutschen Vaterlandes, wo eine neue, große Zeit sich ausgebärt, heimlich an meinem Herzen fraß, ich hatte nirgends Ruhe. Meine Kameraden gefielen sich dort bald höchlichst – ich aber ermannte mich zur rechten Zeit und flüchtete vor den gleißenden Schlingen doppelter Knechtschaft nach dem ernsten, heimatlichen Norden.«
»Norden?!« – rief Fortunat erschrocken über dieses plötzlich wiederkehrende Lieblingsthema des Malers aus und griff hastig nach seinem Hute. Albert, welcher dies für eine Aufwallung übereinstimmender Empfindung halten mochte, drückte ihm stumm die Hand, aber mit so seltsamer Kreuzung der Finger, daß es Fortunat sogleich für das heimliche Zeichen irgendeines ihm fremden Bundes erkannte. Fortunat besann sich nicht lange, sondern erwiderte den Druck, zu Alberts Verwunderung, mit noch abenteuerlicheren Handgriffen und stürzte dann ins Freie hinaus.
»Verdammte Wirtschaft!« rief er draußen, durch den Baumgang eilend, »überall vertreten einem solche lange Gesichter das Morgenlicht! Lassen sich da von irgendeinem kritischen Kleinmeister eine angeräucherte Brille aufheften, womit sie dann in alle Welt gehen, die Völker zu richten. So zieht das Geschmeiß, wie die Wanderraupen, durch den Glanz der Länder in stillem Wahnwitz fort, wenn es sonst Wahnsinn ist, die Dinge anders anzusehen, als sie wirklich sind!« – Zuletzt mußte er selbst laut auflachen über den wunderlichen Zorn, in den ihn das Larven-Kunstkabinett des Malers versetzt hatte. Die Morgensonne spielte golden durch die Wipfel der Bäume, und unzählige Vögel sangen. Er blickte fröhlich umher und fand, daß die Welt trotz aller Narren so schön und lustig blieb, wie sie war.
Neuntes Kapitel
Es war schön anzusehen, wie auf der luftigen Rampe des Schlosses, die gleich einer Blumenzinne weit über die Wälder hinausragte, schlanke Frauengestalten und bunte Uniformen zwischen den dunklen Orangenbäumen hervorschimmerten. Oben saßen die Fürstin, Herren und Damen in der heiteren Morgenkühle auf buntgestickten Feldstühlen umher, die Abenteuer der gestrigen Jagd besprechend. Mehrere Bände von Shakespeare mit funkelndem Goldschnitt lagen auf einem zierlichen Tischchen, Notenhefte und eine Gitarre daneben; der Morgenwind blätterte lustig darin und ging durch die Saiten, daß es von Zeit zu Zeit zwischen dem Plaudern und Lachen einen fröhlichen Klang gab. – Weiter zurück aber standen die zur Musterung heraufbeschiedenen Schauspieler in ihren besten Feierkleidern, ganz verwirrt unter den Fürsten und Grafen, die sie doch so oft auf ihren Brettern gespielt hatten. Vergebens suchten sie unter den fremden Gesichtern den geraden Kriegshelden, den schlauen Beichtvater, den falschen Minister, Herr Sorti vergaß darüber ganz seine wohlersonnene, altmodische Anrede, sie fanden alles anders, als sie sich's unten eingebildet hatten. Mit ehrerbietiger Neugier blickten sie zuweilen seitwärts durch die offene Tür in die prächtigen Gemächer hinein, aus denen der glatte Fußboden, hohe Spiegel und Statüen zwischen bronzenen Kandelabern geheimnisvoll glänzten. Manches junge Herz aber wünschte sich hundert Meilen von hier, denn unter der Terrasse pfiffen die Vögel lustig in der alten Freiheit, und zwischen den Wipfeln blickte die Landschaft so heiter herauf, als riefe es: kommt nur wieder hinunter, da draußen ist's doch viel schöner!
Der Fürst, ein junger, schöner Mann in bequemer Jagdkleidung, war unterdes zu ihnen getreten und entschuldigte seine gestrige Vergeßlichkeit so leicht und vornehm, daß sie ihm für ihren schlichten Empfang noch danken mußten. Er belobte Herrn Sorti über die Eile, mit der er seiner Einladung gefolgt, und wußte in aller Geschwindigkeit durch Andeutungen seltner Belesenheit und Sachkenntnis allen zu imponieren. Dazwischen blickte er manchmal verstohlen nach Kordelchen, die das auch sogleich bemerkte und, schlau ihre Augen niederschlagend, die Verwirrte spielte. Kammerherren, junge Offiziere und Jagdjunker mischten sich nun mit in die Unterhaltung, die Schauspieler wollten in auserlesenen Redensarten ihren Weltton zeigen, die Mädchen waren naiv, die Junker charmant, zwischen ihnen