Von diesem Augenblick an war er ganz in ihrer Macht. Sie sagte: sie hätte ihn nur versuchen wollen, ob er's ehrlich meine, sie wisse den Weg besser als er, sie wolle ihn heimführen. Mit diesen Worten lenkte sie rasch herum, und in den Klüften bald hernieder, bald wieder aufwärts, an schwindelnden Abgründen vorüber, ging es immer tiefer in die Nacht und die Wälder hinein – er konnte kaum folgen durch das Gestrüpp, wie ein getreuer Hund, und als sie endlich unerwartet ins Freie kamen, sah der Entsetzte eine Guerillabande vor sich im Waldgrund gelagert. Unzählige Röhre, da sie die französische Uniform erkannten, waren plötzlich auf ihn gerichtet, aber ein zorniger Blick der Gräfin bändigte alle; die grimmigen Bestien, ihre schwarzen Mähnen schüttelnd, zogen sich knurrend zurück und wärmten wieder ihre Tatzen an den Wachtfeuern. Nun bemerkte St. Val mit Erstaunen, wie diese wilden Männer die Gräfin, gleich einer Königin, verehrten und bedienten. Ein junger Bursch hob sie aus dem Sattel, einige breiteten einen bunten Teppich über den Rasen, während andere rasch ein lustiges Zelt darüber aufschlugen, dann war auf einmal alles wieder still und feierlich. Unterdes war auch der Mond aufgegangen und beleuchtete die Wälder. Die Gräfin saß unter ihrem Zelt und spielte auf einer Zither, St. Val lag gedankenvoll zu ihren Füßen, ihm war noch nie so himmlisch gewesen. – Es war eine von den prächtigen Sommernächten jenes Landes, die alles wunderbar in Traum verwandeln. Die Gräfin hatte sich bald mit einem Teil der Bande wieder entfernt, nur wenige bewaffnete Bauern bewachten den Gefangenen, die Luft kam von der Ebene und wehte Wohlgerüche aus den blühenden Gärten herauf, die unter den Bergen lagen. Da hörte St. Val die Trompeten seines Regiments durch die weite Stille herüberklingen, sie bliesen ein fröhliches Reiterlied aus der alten, guten, Zeit. Das wandte ihm das Herz, er war wieder ganz Franzose, der die Ehre über alles stellt. Er merkte gar wohl an der geheimnisvollen Geschäftigkeit der Abenteurer, daß sei einen Hauptstreich vorhatten, da war kein Augenblick zu verlieren. So, in höchster Angst vor dem Zelt sitzend und umherspähend, sann er eben, heimlich zu entfliehen und die Seinigen zu warnen, als auf einmal die ganze Bande mit Windlichtern wieder aus dem Walde zurückkehrte. Die Gräfin, mitten unter ihnen, tritt rasch hervor und, zwischen den schweifenden Lichtern mit den losgegangenen Locken wieder über ihn geneigt, wie in jener Nacht am Schloß, blickt sie ihn streng an in ihrer ganzen furchtbaren Schönheit. Da springt er auf, entreißt einem Bauer die Fackel und, ganz verblendet und verwirrt, führt er selber den Haufen zum Überfall gegen seine Landsleute! – So, rasch und schweigend, gehen sie durch den stillen Wald.
Kaum hatte der Rittmeister diese Worte ausgesprochen, als plötzlich ein Schuß hinter uns fiel und bald ein zweiter und noch einer. »Teufel! da ist St. Val!« schrie der Rittmeister aufspringend, und ich erblickte in einem Erker des Schlosses einen schönen jungen Mann, totbleich beim Fackelschein, ohne Hut, in einer halb zerrissenen französischen Uniform, hinter ihm im roten Widerschein der Windlichter, der seltsam über die vergüldeten Wände der Säle schweifte, wurden wilde, trotzige Gestalten mit Dolchen und langen Vogelflinten sichtbar, wie sie der Rittmeister vorhin beschrieben. Sie schossen aus allen Fenstern auf uns, und mancher Franzose sank ins Gras, eh sich unser Häuflein nur besinnen konnte. Unterdes hatte sich das Gerücht verbreitet, die wilde Gräfin sei im Schlosse; der Rittmeister verlor keinen Augenblick den Kopf, er traute mir nicht mehr in solcher Gefahr und ließ mich tiefer in den Wald zurückbringen, dann erbrachen sie mit gewaltiger Anstrengung Tor und Riegel und drangen in die Burg hinein. Der erste, der ihnen dort begegnete, war St. Val, er focht wie ein Rasender und stürzte sich zuletzt in wildem Wahnsinn selbst in die französischen Klingen.
Über seinen Leichnam nun ging der Kampf von Treppe zu Treppe entsetzlich durch alle Gänge. Die Franzosen waren kriegsgewandter und zahlreicher als ihre Gegner, die Gräfin und die Ihrigen wurden immer höher hinaufgetrieben – es war keine Rettung mehr für sie. Da schlug plötzlich aus dem einen Fenster ein heller Schein hervor, dann wieder aus einem andern, immer mehr rötliche Flammen züngelten schnell an allen Ecken auf, der Sturm faßte die wachsenden Lohen und wildkühn kletterte das Feuer an den Gebälken empor, wie ein prächtiges Laubgewinde in der Nacht, mitten in der Glut sah man die dunklen Gestalten noch ringen. In dieser Not erblickte der Rittmeister auf einmal die Gräfin hoch über sich wie den Todesengel zwischen den Flammen. Ihm vergingen die Sinne bei dem Anblick, er vergaß Heimat, Liebchen und Ruhm, er wollte nur sie retten oder sterben. Vergebens riefen ihm die Seinigen nach, er hörte nicht mehr und drang verblendet die brennende Treppe hinan, unter sich in der wilden Beleuchtung sah er den Garten, die Schlüfte und den Strom, der wie eine glühende Schlange an dem Schlosse vorüberschoß – schon lange er nach ihr, sie zu umschlingen und hinabzutragen, da stieß sie ihn mächtig von der Zinne hinab, daß die Flammen wie fliegende Fahnen den braven Soldaten bedeckten.
Bald darauf stürzte der ganze Bau donnernd über Freund und Feind zusammen – man hat seitdem die Gräfin nicht wiedergesehen.«
Alles schwieg, als der Lord endigte, nur der Baron, der während der Erzählung eingeschlummert war, fuhr auf seinem Stuhle erschrocken auf über die plötzliche Stille. – »Nun – und weiter?« sagte endlich der Fürst ganz zerstreut. – Der Lord sah ihn verwundert an. »Was wollen Sie noch weiter in der spanischen Nacht, nachdem dieser schöne Stern gesunken? Das andere lohnt nicht mehr: da der Rittmeister tot war, ergriffen die wenigen noch übriggebliebenen Franzosen voll Entsetzen die Flucht, auch meine Wächter waren verschwunden. Ich eilte nun in der neuen Freiheit sogleich zum Schloß, um die Gräfin, von der ich so viel gehört, womöglich mit eigenen Augen zu schauen – es war zu spät. Als ich aber an die Brandstätte kam, da war's, als wüchsen dunkle Reitergestalten aus dem feurigen Boden, die wühlten mit ihren Degen in den Trümmern, daß überall blaue Flämmchen aufschlugen. »Sie ist mitverbrannt«, hört ich einen von ihnen sagen. – »So war denn alles nur ein prächtiger Traum!« rief ein anderer schmerzlich aus; dann stürzten sie in den Wald, den Flüchtlingen nach. – »Später hörte ich, daß die schwarzen Gesellen von der englisch-deutschen Legion gewesen, welche das Schloß hatten entsetzen wollen.«
»Und sahen Sie den Offizier nicht, der sie anführte?« fragte der Fürst wieder. »Ich erblickte ihn nur fern und flüchtig in der wilden Nacht«, erwiderte der Lord, »bei meinem Regiment aber nannten sie nachher einen deutschen Grafen: Victor von Hohenstein.«
»Nun wahrhaftig, ihr werdet uns am Ende gar noch überreden wollen, daß die Novelle wahr ist«, sagte hier die Fürstin, indem sie sich erhob und das Signal zum allgemeinen Aufbruch gab. Man vermißte jetzt erst die Gräfin Juanna. Der Baron sagte, sie promeniere schon seit länger als einer Stunde mit seiner Tochter durch alle Winkel des Schlosses und sei dadurch um die ganze spanische Reitergeschichte gekommen. Er ergriff nun eine seidene Klingelschnur und zog erst gelassen, dann immer heftiger, aber der Draht war durch den langen Nichtgebrauch verrostet, es wollte durchaus nicht klingen, bis er endlich ganz zornig zur Tür hinausschrie. Mehrere Bedienten in alten verschossenen Livreien stürzten herein, und setzten sich mit massiven Armleuchtern an die Spitze des Zuges, den der Baron, die Fürstin an den Fingerspitzen haltend, feierlich eröffnete, in der Perspektive erblickte man durch die offenen Flügeltüren ein