Grundwissen Eigensicherung. Группа авторов. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Группа авторов
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783866766549
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anpasst. Zu weiteren vegetativen Reaktionen verweise ich auf die Ausführungen in der Abbildung 4, in der die Reaktionen im Körper schematisch dargestellt werden.

       Muskuläre Ebene

      Bei Stressbelastungen besteht die Möglichkeit, dass unterschiedliche muskuläre Folgen entstehen. Massive Stressoren führen häufig zu unkontrolliertem, deutlich sichtbaren Zittern. Der Körper reagiert mit Anspannung der gesamten Skelettmuskulatur und ist auf Aktion eingestellt. Durch einen länger andauernden Stressreiz ermüdet der Körper schneller. Dies ist insbesondere bei längerfristigen Einsätzen zu beachten. Die Koordination lässt ebenfalls nach und einfache Handgriffe können schwierig werden. Problematisch wird dies bei Einsatzlagen, in denen Einsatzmittel eingesetzt werden müssen. Bei Dunkelheit wird dieser Umstand noch verstärkt, da zusätzlich zu normalen Einsatzmitteln auch die Handhabung der Taschenlampe koordinativ bewältigt werden muss. Unter die muskuläre Ebene wird auch Stottern und eine starre Mimik gefasst.

       Verhaltensebene

      Bei den Reaktionen in Stresssituationen wird zwischen aktiven und defensiven Verhalten differenziert. Bei aktiven Verhalten in Stresssituationen besteht die Möglichkeit, dass die Gemütsverfassung in Aggressivität und Gereiztheit umschlägt. Das Verhalten zeigt sich nicht nur gegenüber den von der polizeilichen Maßnahme Betroffenen sondern auch im Kollegen- und Familienkreis. Jede Kleinigkeit führt zu Gereiztheit und negativen Reaktionen. Werden die Probleme größer, entsteht ein Teufelskreis. Das Familien- und Berufsleben leidet aufgrund des erlebten Stresses und entwickelt sich eventuell zu einem ernsten Problem im zwischenmenschlichen Bereich. Entgegengesetzt führt passives Verhalten in Bezug auf Stressreize langfristig zu Hilflosigkeit und Selbstzweifel bis zum Realitätsverlust. Das Gefühl von grenzenloser Traurigkeit kann sich einstellen bis zur Entwicklung einer psychischen Störung (Depression). Mit zunehmendem Stresseinfluss vermindert sich das Sprachvermögen. Persönlich Ziele werden aufgegeben und am Arbeitsplatz nehmen Abwesenheitszeiten zu. Weiterhin sind Schlafstörungen die Folge und anstehende Probleme werden nur noch oberflächlich gelöst. Freilich müssen Stressreaktionen nicht zu diesem einschneidenden Ergebnis führen. Im Einsatzgeschehen sind negative Stressreaktionen jedoch kontraproduktiv und sollten vermieden werden.

       Stress im Einsatzgeschehen und mögliche Konsequenzen

      Problematisch in Einsatzsituationen ist die Kumulation unterschiedlichster Eindrücke (Heubrock, 2001). Die Wahrnehmungen leiden unter den Einwirkungen des Stressors und können nicht mehr verarbeitet werden wie im Normalzustand. Gehen wir auf das Eingangsbeispiel des Kollegen zurück. Die Informationen zum Sachverhalt waren nach seinen Aussagen sehr dürftig. Nun erweitern wir den Informationsgehalt um einen Faktor. Nehmen wir an, es wäre im Vorfeld klar gewesen, dass der Bruder des späteren Täters sich in das Café geflüchtet und der Vater versucht hat, auf den draußen stehenden jüngeren Bruder beruhigend einzuwirken. Die Wahrnehmung einer eventuellen Gefahr wäre vermutlich anders gewesen. Im Ursprungssachverhalt hat der Informationsmangel zu einer (verständlichen) Fehleinschätzung des Polizeibeamten mit einem lebensbedrohlichen Ausmaß geführt.

      Ungerer & Ungerer (2008, S. 39 ff.) haben die „Stressentstehung im Augenblick des Divergierens von Lageinformation und Informationskapazität …“ beschrieben. Eine polizeiliche Lage- oder Einsatzbewältigung beginnt mit den Informationen zum Sachverhalt, die der Streifenbesatzung über die Dienststelle mitgeteilt werden. Erst durch diese Informationen und deren Verarbeitung sind Polizeibeamte in der Lage, sich emotional auf den Einsatz bei der Anfahrt vorzubereiten und gegebenenfalls untereinander abzusprechen. Erhalten die Einsatzkräfte in der Einsatzvorphase (Anfahrt) zu viele Informationen, entsteht durch den Informationsüberschuss eine Bedrohung (Hyperstress). Informationen können durch den Stress nur noch begrenzt verarbeitet werden. Die Einsatzbewertung ist aufgrund der fehlenden Inhalte nur noch bedingt möglich. Dies führt im weiteren Einsatzverlauf eventuell zu situativ falschen Entscheidungen, durch die eine Überforderung entsteht.

      Im Gegensatz zum Informationsüberschuss führen Informationsdefizite ebenfalls zur Auslösung von Stress. Das Informationsdefizit kann Unsicherheiten verursachen, die sich auch im Einsatzverlauf als Stressbelastung manifestieren. Merkenswert ist also, dass die Differenz zwischen Information und Informationsverarbeitung den Stress im Einsatz fördert (Hypostress).

       Konsequenzen

      Führt die Informationsflut und die Einsatzentwicklung zu einer Überlastung, sollte eine personelle Unterstützung angefordert werden, um diesem Stressreiz effektiv begegnen zu können. Dies ist auf den ländlicher gelegenen Dienststellen mit geringer Schichtstärke leider nicht immer sofort möglich, so dass an einsatztaktische Maßnahmen gedacht werden sollte. Eventuell ist ein „taktischer Rückzug“ als sinnvoll in die Lagebewertung einzubeziehen, um den Einsatz mit Verstärkung anschließend optimal lösen zu können. Idealerweise stellt sich eine optimale Konstellation zwischen den individuellen Fähigkeiten einer Person und den unterschiedlichen Einsatzbelastungen, die bearbeitet werden müssen, ein. Führt eine Einsatzsituation zu einem Kontakt mit einem unbekannten flüchtenden Täter, entsteht durch die Stressbelastung häufig ein „Jagdtrieb“. Durch die hormonellen Reaktionen ist der Körper auf Aktion eingestellt. Ein weiter Faktor ist der Erfolgsdruck, also die Festnahme eines Täters, der sich automatisch einstellt. Dieser „Erfolgsgedanke“ führt im Einsatzverlauf zu einer erhöhten Risikobereitschaft bei der Verfolgung von Personen oder Fahrzeugen.

      Der sogenannte „Jagdtrieb“ sollte in Lagen mit extrem wenigen Informationen vermieden werden. Gerade die direkte Verfolgung von potentiellen Tätern ohne Zusatzinformationen birgt massive Gefahren für die eingesetzten Polizeibeamten. (Pokojewski, B., 2009, S. 21 ff.)9

       Beispiel

      Auf einem Volksfest kommt es zu Streitigkeiten zwischen Polizeibeamten und einer Gruppe junger Männer. Einer der Männer zieht ein Klappmesser und verletzt einen Polizeibeamten mit diesem durch Glück nur leicht am Hals. Bei der anschließenden Flucht wird der Täter durch einen anderen Polizeibeamten verfolgt. Hinter einer Haus wand tritt eine weitere Person (Mittäter) plötzlich hervor und schlägt dem verfolgenden Polizeibeamten eine volle Bierflasche unvermittelt in das Gesicht. Der Polizeibeamte erlitt tiefe Schnittwunden im Gesicht.

      Doch was kann Polizeibeamten bei Stress wirklich helfen und welche kurzfristigen Maßnahmen im Einsatz sind möglich, wenn die optimale Lösung aufgrund personeller Schwierigkeiten oder akuter Lageentwicklung nicht möglich ist?

       Verhaltensempfehlungen bei akutem Stress im Einsatz

      In Einsatzfällen mit akuten Stressbelastungen ist das Wissen um die eigenen Bewältigungsmöglichkeiten ein großer persönlicher Vorteil. Die Möglichkeiten der Stressbewältigung mit dem SOR-Modell (Stressoren-Organismus-Reaktionen) werden in Abbildung 8 übersichtlich dargestellt.

      Tritt ein Stressor auf, wird dieser aufgrund der vorhandenen Einstellungen, Erfahrungen, Veranlagungen, der persönlichen Verfassung und der individuellen Fähigkeiten eingeschätzt. Je nach Bewertungsergebnis kommt es dann zu unterschiedlichen Reaktionen.

       Grundsätzliche Fragen, die sich in Stresssituationen und deren Analyse bewährt haben:

       • Welche Ereignisse zählen zu den persönlichen Stressoren?

       • Was sind typische Reaktionen in der Belastungssituation?

       • Welche Bewältigungsstrategien sind persönlich verfügbar? (ebda., S.10 ff.)

       Abbildung 7

      Durch diese Fragestellungen ist es möglich, eine akute Einsatzlage und den auftretenden Stress individuell bestimmen zu können. Werden die eigenen Fähigkeiten als ausreichend angesehen, kann der Stressor beseitigt werden. Polizeiliche Einsatzlagen lassen diese Möglichkeit aufgrund der zu treffenden Maßnahmen jedoch nicht immer zu, so dass andere Ansätze gewählt werden müssen. Ein weiterer Ansatz, möglichen Stressoren zu begegnen, besteht in der Veränderung der Stresseinschätzung.