Die Geschwistertypologien wiederholen sich im Dreierrhythmus: Die 4., 7. etc. Kinder zeigen die gleichen Ausdrucksformen wie das erste Kind, die 5., 8. etc. die gleichen wie das zweite und die 6., 9. etc. die gleichen Ausdrucksformen wie das dritte Kind.
Die ersten beiden Kinder zeigen Typologien, die in allem gegenteilig und ergänzend zueinander stehen. Diese polare Gegensätzlichkeit finden wir auch zwischen den vierten und fünften und wahrscheinlich auch zwischen den siebten und achten, etc. Kindern.
Die Geschwistertypologien bilden sich auch bei Zwillingen und im ersten Lebensjahr adoptierten Kindern aus.
Halbgeschwister, die in einem anderen Haushalt leben, haben keinen Einfluss auf die Prägung der Geschwisterrollen in der befragten Familie.
Die Ausbildung der Geschwistertypologien erfolgt unabhängig vom sozialen und kulturellen Einfluss und in den meisten Fällen auch unabhängig von individuellen, schicksalsmässigen Einflüssen.
Wir finden die gleiche Ausbildung der Geschwistertypologien auch in Familien mit alleinerziehenden Elternteilen.
Die Prägung zu den Typologien der einzelnen Geschwister erfolgt in den ersten Jahren bis zum 5./6. Altersjahr.
Diese Feststellungen zeigen, dass den Anwesenden eines Familienhaushaltes eine prägende Wirkung zufällt und dass es sich bei der Ausbildung der Geschwistertypologien um Rollenübernahmen innerhalb dieses Haushaltes handelt.
Im Folgenden stelle ich ein Modell vor, welches die Entstehung der Polarität der ersten beiden Geschwisterrollen beschreibt und versucht, aufzuzeigen, dass 3., 6. und 9. Kinder offensichtlich notwendig sind, um den polaren Zyklus der ersten beiden Kinder eines jeden Zyklus’ abzuschliessen. Das Modell ruht auf der folgenden Ausgangsfrage:
Welche Situation findet jedes Kind bei seiner Ankunft in diesem Haushalt vor; was für eine Entwicklungsmöglichkeit, welche Rolle steht dem ankommenden Kind zur Verfügung?
1 Die Prägung des ersten Kindes: Die Welt der Menschen
Ein erstes Kind ist geboren worden.
Es wird sich von nun an daran gewöhnen, seine beiden Eltern zu sehen. Immer sieht es dasselbe Gesicht der Mutter, dasselbe Gesicht des Vaters und es wird zu diesen beiden Eltern eine nachhaltige Beziehung entwickeln. Mit ihnen wird es zum ersten Mal in seinem Leben eine Form des Zusammenlebens aufbauen und wird diese Erfahrung durch sein ganzes künftiges Leben tragen.
Die einzigen Partner dieses Kindes in diesem Haushalt sind also die Eltern.
Wie alle Eltern weisen auch diese ihre eigenen Persönlichkeiten auf, die wiederum einen Einfluss auf die Individualität des Kindes ausüben. Auf diesen individuellen Teil des elterlichen Einflusses auf das Kind gehe ich in diesem Text nicht weiter ein.
Vielmehr wende ich mich dem Teil des elterlichen Einflusses zu, der in stereotyper Art in jeder Familie bewirkt, dass das erste Kind Verhaltensformen entwickelt, die bei allen Vertretern seines Geburtenranges zu erkennen sind.
Die Welt der Menschen
Bei den Eltern handelt es sich von Natur aus um Erwachsene. Diese unterscheiden sich vom Kleinkind durch ihr soziales Verhalten, das bestimmt ist durch einen menschlichen Kodex, durch menschliche Konventionen, verbindliche ethische und moralische Vorstellungen und Vereinbarungen, wie Regeln und Gesetze, aber auch durch menschliche Fähigkeiten, wie den aufrechten Gang, das Benutzen von Kleidung, Essbesteck, Werkzeug, Sprache und Schrift.
Der nachhaltige Einfluss auf die Typologie des ersten Kindes kommt weniger vom Inhalt dieser Konventionen; diese zeigen in verschiedenen sozialen oder kulturellen Bereichen Unterschiede. Vielmehr prägt die Tatsache selbst, dass der überwiegende Teil unserer ursprünglichen, instinktmässigen Regungen in eine soziale Form gebracht werden muss. Das Kind merkt verwundert, dass es Erlaubtes und Unerlaubtes gibt.
Dieser elterliche Kodex hat sich im Laufe der Entwicklung der Menschheit ausgebildet. Indem es bei jeder Generation zu kleinen Anpassungen und Veränderungen im Verhaltenskodex kam, entwickelte sich allmählich der Mensch zu dem, was er heute ist. Diese, durch eine endlose Generationenfolge gebildete «Familienspirale» stellt also gleichsam die Gebärmutter der Menschheit dar und bettet das Individuum zwischen der langen Ahnenkette der Vergangenheit und den Nachkommen der Zukunft ein.
Das erste Kind steht nun seinen Eltern gegenüber, die sich ihm als einzige menschliche Partner in diesem Haushalt anbieten. Es macht die Erfahrung, dass sich diese beiden Erwachsenen von ihm vor allem dadurch unterscheiden, dass sie nach einer sozial bestimmten Verhaltensform leben. Diese Verhaltensform regelt die menschlichen Beziehungen und schöpft seine grosse Macht aus der tiefen Verwurzelung in einer langen Ahnenkette. Es ist die grosse Kraft dieser Familienspirale, die für die Ausprägung der Typologie des ersten Kindes ausschlaggebend ist; die Eltern sind nur deren Träger.
Das Kind wird nun versuchen, seinen ursprünglichen Regungen ebenfalls eine Form zu geben, und es wird die Form wählen, die es im Verhalten seiner Eltern gesehen hat.
Jedes Kind ahmt seine Eltern nach. Schon nach wenigen Wochen wird es lächeln, überhaupt wird es zahlreiche Ausdrucksformen und Gesichtsausdrucke nachahmen. Später wird es den aufrechten Gang der Eltern nachahmen. Das erste Kind scheint aber schon früh die Tatsache zu erahnen, dass es nicht so wie die Eltern ist. Gegenüber diesem Anderssein macht sich der tiefe Wunsch des Dazugehörens immer mehr bemerkbar. Es wird also früher als die anderen Kinder ganze, durch die Kultur bedingte Verhaltenskomplexe, wie das Sauber-Werden oder das sich Ankleiden von den Eltern erlernen wollen und es zeigt seine Neugier, sein Interesse, sowie seine Sorgen um alles, was das menschliche Zusammenleben, die menschlichen Konventionen, und das menschliche Wissen und Können anbelangt.
Es beobachtet seine Eltern und ahmt sie nach. Es lernt, die Regeln des Haushaltes zu beachten, auch zu testen, um sie schliesslich zu assimilieren und selber zu benützen. Seine Freude und sein Stolz über das Aufnehmen dieser Regeln zeigen, wie wichtig ihm das Erwachsen-Werden ist.
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Zusammenfassung:
Das erste Kind wendet sein Interesse den sozialen Konventionen und allem, was uns Menschen vom Tier unterscheidet, zu. Die menschlichen Beziehungen erfasst es über seine Fähigkeit der Beobachtung, des Abwägens, der Unterscheidung und des Prüfens. Es fühlt sich im Denken wohl.
2 Die Prägung des zweiten Kindes: Die Welt der Dinge
Ein zweites Kind ist geboren worden.
Es sieht drei Gesichter. Sie gehören drei Menschen, die sich bereits an einen Dreierhaushalt gewöhnt haben. Zwei dieser Gesichter gehören Erwachsenen, das dritte Gesicht gehört einem älteren Kind, von dem es schon erwartet wurde und mit dem es später viel spielen und streiten wird. Dieses Kind ist in seiner Entwicklung fortgeschritten, es ist aber vor allem ein Kind. Die Situation hat sich gegenüber derjenigen des ersten Kindes grundsätzlich geändert. Dem zweiten Kind bieten sich nicht mehr nur die Erwachsenen als Partner an, sondern es ist auch ein Kind da, das zwischen ihm und der Familienspirale steht und es vor deren Einfluss abschirmt. Die Familienspirale hat also für das zweite Kind nicht die zwingende Wichtigkeit wie für das erste Kind. Es scheint die Verschiedenheit zwischen sich und den Erwachsenen einfach hinzunehmen, ohne dass diese Verschiedenheit es in seinem Sinnen und Trachten gross zu beeinflussen scheint. Es wendet sich viel mehr den umliegenden Dingen, die es entdeckt, zu.
Die Welt der Dinge
Für das erste Kind ist die Objektwelt eher Mittel zum Zweck, das heisst, es wird schon sehr früh darauf achten, was die Eltern wohl mit diesem oder jenem Objekt machen. Für das zweite Kind hat das Objekt eine viel zentralere Bedeutung. Über das Objekt entdeckt es die Natur und das Universum, als Teile der Schöpfung, die sich ihm in ihrer unbegrenzten Vielfalt anbietet. Das zweite Kind scheint in dieser Schöpfung