Schließlich stellte eine Studie von Friis und Kollegen (2015) fest, dass Selbstmitgefühl die negativen Auswirkungen von diabetesbedingten Leiden auf den Hämoglobin-A1C-Test (HbA1C, ein Test zur Messung des durchschnittlichen Blutzuckerspiegels) abmilderte, sodass die Beschwerden bei Individuen mit einem höheren Maß an Selbstmitgefühl nicht zu höheren HbA1C-Werten führten. Dieselben Forscher führten auch eine randomisierte kontrollierte Studie des MSC-Programms für Patienten mit Diabetes durch (Friis et al., 2016) und fanden heraus, dass diejenigen, die am MSC-Programm teilnahmen, im Vergleich mit einer Warteliste-Kontrollgruppe sowohl weniger diabetesbezogene Beschwerden als auch geringere HbA1C-Werte hatten und dass diese Verbesserungen noch drei Monate später anhielten (siehe Kapitel 4). Das ist die Magie des Selbstmitgefühls: Indem wir in schwierigen Zeiten unterstützender mit uns selbst umgehen, lindern wir unser Leiden und steigern unser körperliches und psychisches Wohlbefinden.
Wichtige Punkte, an die wir uns erinnern sollten
Die wissenschaftliche Forschung über Selbstmitgefühl expandiert exponentiell. Diese Forschungsarbeiten umfassen hauptsächlich Korrelationsstudien unter Verwendung der SCS, aber es werden auch zunehmend andere Forschungsmethoden angewandt, wie beispielsweise die Untersuchung der Ergebnisse von Selbstmitgefühlstraining oder experimentelle Stimmungsinduktionen. Alle Methoden führen zu ähnlichen Studienergebnissen.
Die Forschung widerlegt falsche Vorstellungen über Selbstmitgefühl. Individuen mit einem hohen Maß an Selbstmitgefühl neigen dazu,mehr Selbstvertrauen zu haben, und sind stärker motiviert, sich nach einem Scheitern zu verbessern;eher persönliche Verantwortung für Fehler zu übernehmen;mehr auf ihre Gesundheit zu achten und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen;mehr innere Stärke zu haben, um mit herausfordernden Lebensumständen umgehen zu können;fürsorglichere Beziehungen zu haben.
Selbstmitgefühl ist verbunden miteinem Rückgang negativer Zustände wie Depressionen, Ängsten und Scham sowie einer Zunahme positiver Zustände wie Glücksempfinden und Lebenszufriedenheit;weniger Problemen in Verbindung mit dem Streben nach Selbstwertgefühl wie Narzissmus, sozialen Vergleichen, Selbstwertkontingenz und emotionaler Instabilität;einem gesünderen Körperbild und weniger Essstörungen;einem geringeren Risiko für Burn-out als Pflegekraft oder Betreuungsperson;einer besseren körperlichen Verfassung und Immunfunktion, teilweise aufgrund einer verstärkten Aktivität des Parasympathikus und einer verringerten Aktivität des Sympathikus.
Frauen neigen dazu, etwas weniger selbstmitfühlend zu sein als Männer, obwohl auch die Geschlechterrollenorientierung, das Alter und der Kulturkreis einen Einfluss auf den Selbstmitgefühls-Level haben.Während Selbstmitgefühl mit mehr Mitgefühl für andere einhergeht, neigen die meisten Menschen dazu, anderen mitfühlender zu begegnen als sich selbst.Positive familiäre Interaktionen in der frühen Kindheit steigern in der Regel das Selbstmitgefühl, während frühe Traumata gewöhnlich den Selbstmitgefühls-Level senken.Personen mit klinischen Störungen haben in der Regel weniger Selbstmitgefühl, und eine Zunahme an Selbstmitgefühl scheint ein wichtiger Mechanismus der Veränderung in der Therapie zu sein.
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Selbstmitgefühl lehren
Das Individuum ist sowohl zu großem Mitgefühl als auch zu großer Gleichgültigkeit fähig. Es liegt an uns, Ersteres zu nähren und Letzteres zu überwinden.
Norman Cousins (1991)
Da die positiven Auswirkungen des Selbstmitgefühls gut belegt sind, dreht sich eine entscheidende Frage darum, ob Menschen lernen können, selbstmitfühlender zu sein. Die Antwort lautet eindeutig: »Ja.« Forschungsergebnisse zeigen, dass eine Vielzahl von Methoden die Zunahme des Selbstmitgefühls fördern können. Dieses Kapitel gibt einen Überblick über die Forschung hinsichtlich des Trainings, und wo immer möglich wird der prozentuale Zuwachs an Selbstmitgefühl angegeben (Gesamt-Scores auf der SCS).
Ein Weg zum Selbstmitgefühl schließt körperbasierte Ansätze wie Yoga ein. So nahm das Selbstmitgefühl bei jungen Erwachsenen, die an einem viermonatigen Yoga-Programm mit Unterbringung teilnahmen, im Vergleich zu demografisch abgestimmten Kontrollgruppen zu (um 11 Prozent), und diese Zunahme war wiederum mit einer Zunahme an Lebensqualität und einer Reduktion von Stress verbunden (Gard et al., 2012). Eine qualitative Studie über die Auswirkungen von Yoga auf den Selbstmitgefühls-Level bei Opfern sexuellen Missbrauchs (Crews, Stolz-Newton und Grant, 2016) identifizierte Aspekte, die darauf hindeuten, dass Yoga eine wichtige Form der Selbstfürsorge war. Eine Teilnehmerin erklärte das so:
»Früher habe ich nie etwas für mich selbst getan. Und das ist so etwas wie meine kleine Auszeit … Es ist meine ›Liebe-mich‹-Zeit. Es ist, als würde ich meinen Körper, meine Schultern und meinen Geist entspannen, und manchmal fühlt es sich an, als könnte ich einfach ein Nickerchen auf der Matte machen, weißt du? Es ist einfach so entspannend … Man spürt es in seinem Körper … Das zu tun und physisch zu spüren, dass ich etwas für meinen Körper tue, hilft mir also … so als würde ich mir ein Wundpflaster aufkleben. [Yoga] hilft mir, mir selbst zu sagen: ›Hey, du bist in Ordnung.‹«
Für diese Teilnehmenden waren das Akzeptieren ihres Körpers und der sanfte, freundliche Umgang mit ihm ein direkter Weg, insgesamt akzeptierend und liebevoll mit sich umzugehen.
Die Liebevolle-Güte- oder Metta-Meditation (LGM) scheint ebenfalls ein effektiver Weg zu sein, das Selbstmitgefühl zu erhöhen. Bei der Metta-Meditation geht es darum, eine wohlwollende Haltung zu entwickeln: normalerweise gegenüber sich selbst, einem Wohltäter, einer neutralen Person, einer herausfordernden Person und schließlich gegenüber allen Wesen. Sätze wie die folgenden werden gesprochen, um diese guten Absichten auszudrücken: »Mögest du sicher sein. Mögest du glücklich sein. Mögest du in Frieden leben. Mögest du mit Leichtigkeit leben.« Die LGM kann angewandt werden, um Selbstmitgefühl zu entwickeln, wenn man selbst das Ziel der guten Wünsche inmitten einer leidvollen Situation ist (siehe Kapitel 13). Bei der traditionellen LGM oder Metta-Meditation ist das »Selbst« nur eines von vielen »Zielobjekten«, aber die Zeit, die man darauf verwendet, sich selbst Gutes zu wünschen, scheint das Selbstmitgefühl zu erhöhen (siehe Boellinghaus, Jones und Hutton, 2014). In einer Pilotstudie wurden beispielsweise bei Veteranen, die an PTBS litten und einen zwölfwöchigen Metta-Meditationskurs belegten, signifikante Steigerungen des Selbstmitgefühls festgestellt (25 Prozent) und diese Zuwächse waren unter anderem eine Erklärung für eine Reduktion der PTBS-Symptome und der Depressionen, die die Teilnehmenden im Laufe des Trainings zeigten (Kearney et al., 2013). Ähnliche Ergebnisse erbrachte eine randomisierte kontrollierte Studie (Shahar et al., 2015): Höchst selbstkritische Personen, die ein siebenwöchiges Training in Metta-Meditation absolvierten, zeigten signifikante Zuwächse an Selbstmitgefühl (17 Prozent) im Vergleich mit einer Wartelistenkontrollgruppe.
Selbstmitgefühl in achtsamkeits- und akzeptanzbasierten Interventionen
Achtsamkeitsbasierte Interventionen sind ein weiterer wichtiger Weg, um Selbstmitgefühl zu erhöhen. Das ist nicht verwunderlich, da Achtsamkeit ein Kernelement des Selbstmitgefühls ist. Die bekannteste und verbreitetste achtsamkeitsbasierte