Selbstmitgefühl in Beziehungen
Während Selbstmitgefühl erwiesenermaßen dem Individuum psychisch zugute kommt, gibt es auch Hinweise darauf, dass es sich positiv auf zwischenmenschliche Beziehungen auswirkt. In einer Studie mit heterosexuellen Paaren (Neff und Beretvas, 2013) wurden selbstmitfühlende Personen von ihren Partnern als emotional verbunden, akzeptierend und autonomiefördernd beschrieben und als weniger distanziert, kontrollierend und verbal oder physisch aggressiv als jene, denen es an Selbstmitgefühl mangelte. Selbstmitgefühl wurde auch mit größerer Beziehungszufriedenheit und Bindungssicherheit assoziiert. Da selbstmitfühlende Menschen gut für sich sorgen und sich unterstützen, scheinen sie mehr emotionale Ressourcen zur Verfügung zu haben, um ihren Partnern etwas geben zu können. Selbstmitgefühl ist ein negativer prädiktiver Faktor für Eifersucht in Beziehungen, ein Zusammenhang, der teilweise mit einer größeren Bereitschaft, dem Partner zu vergeben, erklärt wird (Tandler und Petersen, 2018). Selbstmitgefühl scheint auch Paaren zu helfen, bei denen ein Partner die Diagnose Lungenkrebs bekam: Eine Studie belegte, dass Personen mit mehr Selbstmitgefühl weniger unter der Diagnose ihres Partners litten und von einer besseren Kommunikation über den Krebs berichteten (Schellekens et al., 2016). Auf der partnerschaftlichen Ebene war Selbstmitgefühl darüber hinaus mit weniger Leiden assoziiert, wenn der Partner ein hohes Maß an Selbstmitgefühl angab. Mit anderen Worten: Wenn ein Partner weniger Selbstmitgefühl zeigt, kann der andere Partner das möglicherweise kompensieren, indem er mehr Selbstmitgefühl aufbringt, was dazu beiträgt, das Leiden beider Partner zu verringern.
Forscher fanden auch heraus, dass selbstmitfühlende Collegestudenten tendenziell mehr mitfühlende Ziele in Beziehungen mit Freunden und Mitbewohnern haben, was bedeutet, dass sie dazu neigen, anderen Menschen Unterstützung zu geben und in Beziehungen Vertrauen aufzubauen (Crocker und Canevello, 2008; Wayment, West und Craddock, 2016). Andere Studien (Yarnell und Neff, 2013) ergaben, dass selbstmitfühlende Menschen in Konfliktsituationen mit Müttern, Vätern und Beziehungspartnern eher bereit sind, Kompromisse zu suchen, während Menschen, denen es an Selbstmitgefühl mangelt, dazu neigten, ihre eigenen Bedürfnisse denen des Partners unterzuordnen. Dieses Muster ist plausibel, wenn man bedenkt, dass Menschen mit einem hohen Maß an Selbstmitgefühl von sich sagen, sie neigten dazu, sich selbst genauso freundlich zu behandeln wie andere, während Menschen mit wenig Selbstmitgefühl angeben, sie würden andere normalerweise besser behandeln als sich selbst (Neff, 2003a). Die Studie zeigte auch, dass sich selbstmitfühlende Menschen bei der Lösung von Beziehungskonflikten authentischer fühlten und weniger innere Erschütterung erlebten. Sie berichteten darüber hinaus von höherem Wohlbefinden in ihren Beziehungen. Selbstmitgefühl ist auch mit weniger pathologischer Fürsorge für andere assoziiert, die definiert wird als eine »Überinvestition« in die Befriedigung der Bedürfnisse anderer und die Tendenz, die eigenen Bedürfnisse zu unterdrücken oder zu leugnen (Gerber, Tolmacz und Doron, 2015). Schließlich wurde Selbstmitgefühl auch mit der Tendenz in Verbindung gebracht, sich für schädliches Verhalten in Beziehungen zu entschuldigen und es wiedergutzumachen (Breines und Chen, 2012; Howell, Dopko, Turowski und Buro, 2011; Vazeou-Nieuwenhuis und Schumann, 2018), was die Harmonie in Beziehungen fördert.
Eine zwei Studien umfassende Studienreihe veranschaulicht ebenfalls, wie sich Selbstmitgefühl auf die Art und Weise auswirkt, sich in Beziehungen zu entschuldigen und Entschuldigungen anzunehmen, (Allen, Barton und Stevenson, 2015). Die erste Studie untersuchte imaginierte Reaktionen auf hypothetische Szenarien, in denen die Teilnehmenden unabsichtlich jemanden »hängen ließen« (zum Beispiel 45 Minuten zu spät, um das Kind einer engen Freundin von der Schule abzuholen aufgrund eines Notfalls bei der Arbeit). Es stellte sich heraus, dass selbstmitfühlende Personen angaben, sie würden gegenüber der versetzten Freundin wahrscheinlich eher Aussagen machen, die Selbstmitgefühl dafür widerspiegelten, dass sie den Fehler gemacht hatten (zum Beispiel »Manchmal entstehen Situationen, die einen daran hindern zu tun, was man tun wollte«) im Gegensatz zu selbstkritischen Aussagen (zum Beispiel »Ich fühle mich wie ein ganz schrecklicher Mensch, der dich im Stich gelassen hat, als du mir vertraut hast«). Die zweite Studie untersuchte, welche Reaktion sich Menschen, die unabsichtlich im Stich gelassen wurden, idealerweise von einem anderen wünschten, – mit selbstmitfühlenden oder selbstkritischen Aussagen über den Fehler –, wobei ein ähnliches hypothetisches Szenario vorgegeben wurde wie in der ersten Studie. Die Forscher fanden heraus, dass selbstmitfühlende Teilnehmende auch selbstmitfühlende Reaktionen bevorzugten und mit ebenso großer Wahrscheinlichkeit dem anderen verzeihen würden, unabhängig von der Art der Reaktion. Personen mit weniger Selbstmitgefühl bevorzugten jedoch selbstkritische Reaktionen und waren auch eher bereit, jemandem zu verzeihen, der selbstkritische Aussagen machte. Das deutet darauf hin, dass, obwohl Selbstmitgefühl eine positive innere Antwort sein kann, wenn man andere »hängen lässt«, es tatsächlich besser funktionieren kann, nach außen hin selbstkritisch in Bezug auf Fehler zu sein, wenn man mit Menschen zu tun hat, die selbstkritisch sind.
Selbstmitgefühl und die Fokussierung auf andere
Eine interessante Frage ist, ob Selbstmitgefühl mit Mitgefühl für andere einhergeht oder nicht. Eine offene, freundliche Haltung gegenüber sich selbst zu entwickeln, die die menschliche Verbundenheit anerkennt, sollte es theoretisch erleichtern, anderen gegenüber freundlich, vergebend und empathisch zu sein. Obwohl zu diesem Thema noch mehr Forschung notwendig ist, deuten vorläufige Ergebnisse darauf hin, dass Selbstmitgefühl tatsächlich mit einer mitfühlenden, empathischen Haltung gegenüber anderen verbunden ist, dass es dabei aber abhängig von der Altersgruppe und Lebenserfahrung gewisse Abweichungen gibt.
Eine von Neff und Pommier (2013) durchgeführte Studie untersuchte den Zusammenhang zwischen Selbstmitgefühl und der fürsorglichen Haltung gegenüber anderen unter Collegestudentinnen und -studenten, einer älteren Population und Personen, die buddhistische Meditation praktizieren. In allen drei Gruppen war die Wahrscheinlichkeit geringer, dass selbstmitfühlende Personen bei der Konfrontation mit dem Leiden anderer auch persönlich litten, was bedeutet, dass sie eher in der Lage waren, sich mit dem Leiden anderer zu konfrontieren, ohne davon überwältigt zu werden. Darüber hinaus war Selbstmitgefühl mit einer signifikant höheren Fähigkeit zur Vergebung und Änderung des eigenen Blickwinkels verbunden. Diese Verhaltensweisen setzen voraus, dass man versteht, welches enorme Geflecht von Ursachen und Bedingungen Menschen dazu bringt, so zu handeln, wie sie es tun. Die Fähigkeit, die eigene menschliche Unvollkommenheit und Fehlerhaftigkeit zu vergeben und zu verstehen, scheint sich daher auch auf andere auszudehnen. Der Zusammenhang zwischen Selbstmitgefühl und Mitgefühl, Empathie, Altruismus gegenüber anderen war in buddhistischen Samples signifikant, aber schwach ausgeprägt. Diese Verbindung ist wahrscheinlich nicht so robust, wie man erwarten könnte, aufgrund der Tatsache, dass die große Mehrheit der Menschen mehr Mitgefühl mit anderen zeigt als mit sich selbst (Knox, Neff und Davidson, 2016), was den Zusammenhang abschwächt. Interessanterweise wurde bei den Studierenden kein Zusammenhang zwischen Selbstmitgefühl und Mitgefühl, Empathie, Altruismus gegenüber anderen gefunden. Das mag daran liegen, dass junge Erwachsene oft Schwierigkeiten haben, das Gemeinsame an ihren Lebenserfahrungen zu erkennen, und ihr Anderssein überschätzen (Lapsley, FitzGerald, Rice und Jackson, 1989). Ihre Vorstellung davon, warum sie Mitgefühl verdienen und warum andere Mitgefühl verdienen sind deshalb wahrscheinlich nicht so gut integriert. Der Zusammenhang zwischen Selbstmitgefühl und Mitgefühl für andere war bei den Meditierenden am deutlichsten, was möglicherweise auf Meditationspraktiken wie die Liebevolle-Güte-Meditation zurückzuführen ist, die bewusst auf das Entwickeln von Mitgefühl für sich selbst und andere ausgerichtet sind (Hofmann et al., 2011). Tatsächlich hat sich gezeigt, dass bei Menschen, die die Liebevolle-Güte-Meditation erlernt haben und sie praktizieren, das Mitgefühl sowohl für sich selbst als auch für andere zunimmt (Weibel, 2008). Untersuchungen zum MSC-Programm (siehe Kapitel 4) haben ebenfalls belegt, dass ein Training in Selbstmitgefühl das Mitgefühl für sich selbst und andere steigert (Neff und