Die Probanden, die zu Beginn ein hohes Maß an Depressivität gezeigt hatten, profitierten mehr im Selbstmitgefühls-Setting als diejenigen in der Wartelistengruppe, der kognitiven Neubewertungsgruppe oder der Akzeptanzgruppe. Interessanterweise ergab eine Studie derselben Forschergruppe (Diedrich, Hofmann, Cuijpers und Berking, 2016), dass Personen mit schweren depressiven Störungen, denen beigebracht wurde, Selbstmitgefühl als vorbereitende Strategie anzuwenden, eine signifikant deutlichere Reduzierung der depressiven Stimmung während der kognitiven Neubewertung erlebten als die Personen der Wartelistengruppe, was darauf hindeutet, dass sich diese Fähigkeiten der Emotionsregulation gegenseitig unterstützen können.
Eine Veränderung Selbstmitgefühls-Niveaus scheint eine Schlüsselrolle bei therapeutischer Intervention zu spielen (Baer, 2010; Galili-Weinstock et al., 2018; Germer und Neff, 2013). Neff, Kirkpatrick und Rude (2007) führten beispielsweise eine Studie durch, bei der sie Veränderungen des Selbstmitgefühls-Levels bei Patienten in Therapie in monatlichen Intervallen verfolgten. Sie wandten eine gestalttherapeutische Zwei-Stuhl-Technik an, die den Klienten und Klientinnen helfen soll, Selbstkritik zu verringern und sich mehr Mitgefühl entgegenzubringen (Greenberg, 1983; Safran, 1998). Die Studienergebnisse zeigten, dass gestiegene Selbstmitgefühls-Levels über den monatelangen Zeitraum (die unter dem Deckmantel einer nicht mit dieser in Bezug stehenden Studie erhoben wurden) mit weniger Depressionen, Selbstkritik, Grübelei, Gedankenunterdrückung und Angst einhergingen. Eine weitere Studie ergab, dass Selbstmitgefühl eine Rolle bei den Therapieerfolgen von Personen zu spielen schien, bei denen Cluster-C-Persönlichkeitsstörungen diagnostiziert worden waren (Schanche, Stiles, McCullough, Svartberg und Nielsen, 2011). Die Ergebnisse zeigten, dass eine Zunahme des Selbstmitgefühls vom Beginn bis zur Endphase der Therapie ein prä- und posttherapeutisch signifikanter Prädiktor für einen Rückgang psychiatrischer Symptome, zwischenmenschlicher Probleme und pathologischer Zustände war.
Eine interessante Frage bezieht sich auf die Richtungsabhängigkeit der Verbindung zwischen Selbstmitgefühl und Psychopathologie im Laufe der Therapie. Eine Studie verwendete Cross-lagged-Zeitanalysen, um die Richtungsabhängigkeit der Verbindung zwischen Selbstmitgefühl und depressiven Episoden bei Patienten in ambulanter Therapie zu untersuchen. Diese Verbindung wurde direkt nach der Therapie sowie sechs und zwölf Monate später bewertet (Krieger, Berger und Holtforth, 2016). Es wurde festgestellt, dass die Zunahme der SCS-Scores ein Prädiktor für eine spätere Verringerung der depressiven Symptome war, dass aber depressive Symptome nachfolgende Selbstmitgefühls-Levels nicht vorhersagten, was auf eine kausale Rolle des Selbstmitgefühls bei der Verringerung von Depressionen hindeutet. In ähnlicher Weise wurde wissenschaftlich untersucht, ob Selbstmitgefühl den Veränderungsprozess in der Therapie bei Patienten mit der Diagnose PTBS beeinflusst (Hoffart, Øktedalen und Langkaas, 2015). Die Selbstmitgefühlswerte wurden im Laufe einer zehnwöchigen Behandlung wöchentlich erhoben, und es wurde festgestellt, dass Veränderungen im Selbstmitgefühl ein Prädiktor für PTBS-Symptome waren (wobei ein Zuwachs an Selbstmitgefühl verringerte Symptome prognostizierte), während das Gegenteil nicht zutraf. Dies deutet darauf hin, dass Selbstmitgefühl ein wichtiger kausaler Faktor der therapeutischen Veränderung sein kann.
Die Neurophysiologie des Selbstmitgefühls
Selbstmitgefühl scheint das körperliche und emotionale Wohlbefinden zu fördern. So berichten Patienten mit höheren Selbstmitgefühlswerten seltener von Gesundheitsproblemen wie Bauchschmerzen, Hautausschlägen, Ohrenschmerzen oder Atembeschwerden (Dunne, Sheffield und Chilcot, 2018; Hall, Row, Wuensch und Godley, 2013). Höhere Werte auf der Selbstmitgefühlsskala wurden bei Personen mit der Autoimmunerkrankung Sklerodermie mit einem niedrigeren Übererregbarkeits-Level assoziiert, der im Zusammenhang mit einer Immunfunktionsstörung angesichts stressiger Ereignisse steht (Kearney und Hicks, 2016), sowie bei Frauen mit der Diagnose Brustkrebs (Kearney und Hicks, 2017). Diese letztgenannte Studie ergab außerdem, dass Selbstmitgefühl mit einem höheren Alter bei Ausbruch des Krebses korrelierte, was die Autoren vermuten lässt, dass dies auf eine verbesserte Immunfunktion bei selbstmitfühlenden Personen zurückzuführen ist. Tatsächlich fanden die Forscher bestätigt, dass eine Intervention, bei der Selbstmitgefühl vermittelt wird, die Immunfunktion verbesserte (anhand der gemessenen Werte des Immunglobulins A [IgA]).
Immer mehr Forschungsergebnisse legen nahe, dass Selbstmitgefühl auf das autonome Nervensystem einwirkt, wobei Selbstmitgefühl zu einer stärkeren Aktivierung des Beruhigungssystems und einer geringeren Aktivierung des Bedrohungssystems führt (Kirschner et al., 2019), wie von Gilbert (2009) dargelegt. Anders ausgedrückt: Selbstmitgefühl scheint die Reaktion des Bedrohungssystems auf Stress zu reduzieren, indem es die Aktivität des sympathischen Nervensystems unterdrückt und die parasympathische Aktivität durch die Stimulation des Vagusnervs erhöht (Porges, 2003). So baten beispielsweise Rockliff, Gilbert, McEwan, Lightman und Glover (2008) die Teilnehmenden, sich vorzustellen, Mitgefühl zu empfangen und es in ihrem Körper zu spüren, und stellten fest, dass dadurch der Cortisolspiegel im Speichel (ein Indikator für die Aktivität des sympathischen Nervensystems) sank und sich die Herzfrequenzvariabilität erhöhte (ein Indikator für die Aktivität des parasympathischen Nervensystems, die mit flexiblem Reagieren und der Fähigkeit, sich bei Stress selbst zu beruhigen, verbunden ist; Porges, 2007).
Laut einer weiteren Studie (Herriot, Wrosch und Gouin, 2018) war ein höheres Maß an Selbstmitgefühl mit niedrigeren Cortisolwerten am Tag bei älteren Erwachsenen verbunden, die zuvor von intensiveren Gefühlen der Reue, körperlichen Problemen oder funktionellen Störungen berichtet hatten. Höhere Selbstmitgefühls-Levels werden mit einer größeren vagusvermittelten Herzfrequenzvariabilität assoziiert (Svendsen et al., 2016), auch als Reaktion auf experimentell induzierten Stress (Luo, Quiao und Che, 2018). Eine Studie, bei der die Teilnehmenden gebeten wurden, an ein kürzliches Ereignis zu denken, bei dem sie sich geschämt hatten oder von sich enttäuscht waren, und dann selbstmitfühlend mit sich zu sprechen, während sie in einen Spiegel schauten, kam zu dem Ergebnis, dass Selbstmitgefühl eine Zunahme positiver, beruhigender Gefühle bewirkte sowie die Herzfrequenzvariabilität erhöhte (Petrocchi, Ottaviani und Couyoumdjian, 2016). Höhere Selbstmitgefühlswerte wurden mit einer geringeren Erregung des Sympathikus als Reaktion auf einen standardisierten laborbasierten Stressor (den Trier Social Stress Test [TSST]) assoziiert, was durch Erhebung des Alpha-Amylase-Werts im Speichel (Breines et al., 2015) und des Interleukin-6-Werts (Breines, Thoma et al., 2014) gemessen wurde. Ähnlich wirkte sich auch ein kurzes Training in Selbstmitgefühlsmeditation aus: Es führte zu einer Verringerung des Alpha-Amylase-Werts im Speichel und von subjektiven Angstreaktionen auf Stress, während die Herzfrequenzvariabilität im Vergleich mit Kontrollbedingungen stabilisiert wurde (Arch et al.,