Sie wollten immer. Überhaupt war es Ihre Leichtigkeit, die mir von Anfang an besonders imponierte. Sie konnten auf andere Spieler zugehen, hatten Witz, Charme und Humor und sorgten für eine gute, ausgelassene Stimmung bei allen Mitspielern. An Ihnen war einfach nichts Böses, vielmehr waren Sie das Herz der Mannschaft, ein fröhlicher Mensch, nie missmutig. Ich erinnere mich noch gut, als Sie nach dem Gewinn der ersten Meisterschaft 1993 mit Werder Bremen gemeinsam mit Stürmer Manfred Bockenfeld Wiener Walzer getanzt haben – mitten auf dem Platz des Stuttgarter Neckarstadions. Bilder, die man nicht vergisst. Doch selbst wenn Sie kein begnadeter Tänzer waren – ein Zauberer waren Sie allemal. Manchmal eine Spur zu leichtsinnig, doch das machte Sie andererseits auch wieder aus – eben ein Schuss Genialität.
Herzog über Rehhagel: „Er ist wie ein zweiter Vater für mich!“
Apropos Zauberer: Neben dem Fußball sind es die alten deutschen Dichter und Denker, die mich mein Leben lang begleiten haben und die ich heute noch gerne zitiere – allen voran Goethe und Schiller. Es ist ein Genuss für mich, diese zu studieren und zu rezitieren. Die Ballade vom „Zauberlehrling“ hat mich seit jeher begeistert – und hier insbesondere die Hauptfigur selbst, die vom Meister allein gelassen wird und sich ausprobieren möchte. Das Bestreben, gegen die Autorität aufzubegehren, selbstständig zu handeln, und die Tatsache, wie schnell Übermut und Überheblichkeit zum Chaos führen können – und der Meister am Ende rettend eingreifen muss.
Mag sein, dass Sie, Andreas, in Ihren ganz jungen Jahren auch ein Zauberlehrling waren – wie ein jeder von uns, der auf der Suche nach der eigenen Profession ist, sich ausprobiert, aus Fehlern lernt und zunächst auch Unterstützer an seiner Seite braucht, um sich zu entwickeln. Ihnen stand Ihr Vater zur Seite. Und später ich. Doch in unserer gemeinsamen Zeit bei Werder Bremen entwickelten Sie sich wie von selbst zum Zaubermeister – selten brauchten Sie Anweisungen, immer dagegen Freiraum.
Es ist eine große Freude, seine Bestimmung schon in ganz jungen Jahren zu entdecken, dieser von klein auf zu folgen und zu wissen, wofür man steht und was für eine Aufgabe man im Leben hat. Und es ist schön für mich zu sehen, wenn Menschen ihr Talent voll ausschöpfen, mit ganzem Herzen und ganzer Begabung leben.
„Vor dir Unendlichkeit …“, drückt es Schiller in seinem Gedicht „Die Größe der Welt“ aus. Ich habe es für mich immer so interpretiert: Wir sind nur einen kleinen Moment auf dieser Welt. Da gilt es, das Beste aus sich und seinen Fähigkeiten herauszuholen. Denn am Ende wird dir genau diese Frage gestellt: Wie hast du deine Aufgaben des Lebens gemeistert, was aus dir und deinen Talenten gemacht?
Ich habe immer versucht, mit dem ganzen Herzen dabei zu sein: Unter schwierigsten Bedingungen in der Kriegs- und Nachkriegszeit, als junger Fußballer, späterer Trainer, Familienvater und Mensch. Mir ging es immer darum, das Beste aus jeder Situation zu machen und die Dinge geduldig so hinzunehmen, wie sie sind. Auch der Fußball ist ein Geduldspiel – doch niemand hat heute mehr Geduld. Das darf ich im stolzen Alter von mittlerweile 83 Jahren getrost behaupten.
Auch bei mir war es – wie in Ihrem Leben – immer der Fußball. Um so mehr freut es mich, dass ich Sie als meinen ehemaligen Spieler auf Ihrem Lebensweg begleiten und prägen durfte und bis heute inspiriere – durch meine Werte, Prinzipien und mein Tun.
Am Ende ist es immer auch ein Austausch auf Augenhöhe, denn auch ich lerne von meinem Gegenüber. Daher sei zu guter Letzt noch Folgendes erwähnt: Das Erscheinen Ihrer Biografie inspirierte mich, mir über den Titel meines ganz eigenen „Buch des Lebens“ Gedanken zu machen. „Aus Ruinen zum Olymp“ würde ich es wohl nennen – doch das ist eine ganz andere Geschichte.
Den werten Leserinnen und Lesern wünsche ich nun ganz viel Freude mit Ihrer Biografie „mit Herz und Schmäh“.
Ihr Freund und Mentor
Otto Rehhagel
Essen, Herbst 2021
PS: Habe in meinen persönlichen Zeilen ganz vergessen zu erwähnen, wie sehr es mich freut, dass auch ich Sie inspirieren konnte, den Weg des Trainers zu gehen. Denken Sie immer daran: Erfahrung ist ein hohes Gut. Sie haben alles in sich. Von der Pike auf gelernt …
VORWORT
DER MENSCH WIRD ERST AM DU ZUM ICH – ODER EINS VORWEG …
In einer Zeit, in der sich Egoismus, Starallüren, Selbstbezogenheit und Entfremdung immer mehr ausbreiten, Mitmenschlichkeit und Empathie dagegen anscheinend immer unwichtiger werden oder sogar verloren zu gehen scheinen, ist es wohltuend, sich mit der Biografie von Andreas Herzog befassen zu dürfen, da er sich einfach so gibt, wie er ist – authentisch, ehrlich und echt. Wie brachte es der österreichische Kabarettist und Freund Andreas Herzogs, Alex Kristan, so treffend auf den Punkt: „Wenn Herzerl erzählt, trägt er sein Herz auf der Zunge.“ Genau das berührte auch uns von Anfang an – und so ist es immer eine große Freude, wenn wir uns treffen, austauschen und voneinander lernen dürfen.
Andi Herzog ist in der Tat mit einem feinen Humor gesegnet, er kann darüber hinaus auch über sich selbst lachen, und er ist vor allem eines: ein Meister seines Fachs. All das durfte er sich in endlosen Trainingseinheiten aneignen, in unzähligen Begegnungen mit europäischen Topteams sowie in 103 Spielen für die österreichische Nationalmannschaft. Experten sprechen hier von der seltenen Gabe des intuitiven Erfahrungswissens. Mindestens genauso entscheidend ist jedoch seine Fähigkeit, andere als Mensch und Trainer berühren zu können – mit Herz und Schmäh. Und so hören auch wir ihm seit unserer ersten Begegnung gerne zu.
Es heißt, dass man die wirklich wichtigen Ereignisse im Leben nicht planen kann. So trafen wir auch auf den Rekordnationalspieler. Wie es zu dieser ganz persönlichen Zusammenkunft kam, möchten wir hier in den ersten Zeilen erzählen. Um uns anschließend nur noch dem Protagonisten dieses Buches zu widmen: dem Spieler, Trainer und Menschen Andreas Herzog.
Wir begegneten ihm erstmals im August 2013 auf einem Flug von Wien nach Sarajevo. Damals waren er wie wir in Sachen „US-Nationalmannschaft“ unterwegs – Herzog gehörte zum Trainerteam von Jürgen Klinsmann, und wir waren mit dem Weltstar und dessen Familie verabredet. Klinsi war immer schon ein wenig seiner Zeit voraus. Und da ihm viele junge amerikanische Nationalspieler seiner Meinung nach in Europa „totally lost“ schienen, wünschte er sich, dass wir uns zukünftig um diese Spezies kümmern sollten. Denn fußballerisch entwickeln konnten sich die jungen US-Boys in Europa wesentlich besser als in den USA, so seine Meinung. Für uns logisch und nachvollziehbar wurde in Europa nun einmal weltweit ein besonders gepflegter Fußball gespielt – mit den Besten der Besten in den Topligen Englands, Spaniens oder Deutschlands. Da lag es auf der Hand, dass auch junge Amerikaner an der Herausforderung wachsen würden, wenn denn für das entsprechende Umfeld gesorgt wäre. Und hier sollten wir ins Spiel kommen – uns eben um die Persönlichkeit der Kicker kümmern, genauer gesagt um das Selbst- und Umfeldmanagement, „Mindset and Soul“.
Typisch Jürgen Klinsmann, ging es ihm doch immer um Wachstum und Entwicklung auf der menschlichen Ebene und nicht um Statusdenken oder Komfortzone. In anderen Worten: dynamisches statt statisches Selbstbild. So stießen wir in Bosnien zwecks erster Annäherung zum Trainerteam. „Klinsmanns Eleven“ – wie er selbst sein Team von Spezialisten gerne bezeichnete. Doch das ist eine andere Geschichte.
Da wir in den Bosnien-Tagen in erster Linie mit Klinsmann und Familie unterwegs waren, ehemalige Spielstätten der Olympischen Spiele von 1980 besichtigten (wenn sie denn nicht in den Kriegswirren zerstört worden waren) und auch den Ort aufsuchten, an dem der österreichisch-ungarische Erzherzog Franz-Ferdinand und seine Frau Sophie von einem serbischen Nationalisten umgebracht worden waren, durften wir Andi Herzog in diesen Tagen nur am Rande