Teil der „oberen“ limbischen Ebene bzw. interagieren mindestens sehr eng mit ihr. Die obere limbische Ebene ist die Ebene bewusster Gefühle und Motive sowie zugleich der Sozialisation und Erziehung. Interessant ist, dass hier auch ethisches und reflexives Ich enthalten sind. „Diese Ebene bildet sich langsam bis zum Erwachsenenalter hin aus und ist entsprechend leichter zu verändern, hat aber einen geringeren Einfluss auf unsere Persönlichkeit.“36
… und das bedeutet für die EP
Zunächst einmal: Menschen werden stark von unbewussten Anteilen und frühkindlichen Erfahrungen geprägt. Diese Prägung ist mitverantwortlich für bestimmte Selektionen und individuelle Interpretationen von Information: Der Grund, warum wir die Welt unterschiedlich wahrnehmen und deuten, Gesagtes zwangsläufig nur gemäß unserer Sichtweise verstehen u.v.m. Wir können an diese prägenden, in der frühen Kindheit gemachten und unbewusst verarbeiteten Erfahrungen praktisch nicht herankommen. Dazu müssten sie versprachlicht werden können. Unbewusste Prägungen entziehen sich aber i.d.R. der Versprachlichung. Unbewusste Prägungen kann man auch nicht „löschen“ – maximal das daraus resultierende Verhalten kann „überlernt“ werden. Selbst Psychotherapie schafft „nur“ den Zugriff auf Vorbewusstes – was aber schon jede Menge ist! Dies bedeutet den Abschied von der Phantasie eines grundlegenden Wechsels des persönlichen „Betriebssystems“.
Dennoch: Soziales Lernen ist und bleibt sinnvoll. Denn wir können einen Zugang zu Ebenen schaffen, die für unter-/vorbewusst und bewusst erlebte Emotionen zuständig sind – auch und gerade mit Hilfe der Erlebnispädagogik. Wenn wir es schaffen, dass Emotionen bewusst erlebt und wahrgenommen werden – und wir via Reflexion sogar den Schritt der Versprachlichung schaffen (wodurch nochmal andere Gehirnareale aktiviert werden müssen) – dann können wir sehr begründet darauf hoffen, dass der erste Schritt neuer Verhaltens- und Sichtweisen von sozialem Miteinander gelungen ist. Dabei zu berücksichtigen: Bzgl. sozialer und kommunikativer Inhalte geht es nicht nur um Entwicklung neuer Verknüpfungen. Es geht auch um Wiederholung (= Verstärkung der neuen synaptischen Verschaltungen) und um die Anwendung in unterschiedlichen Situationen und Kontexten.37 Das kennen wir als „Soziales Training.“ Dies braucht gehirnphysiologisch Zeit – was uns nochmals darauf hinweist, über die sinnvolle Mindestdauer erlebnispädagogischer Programme nachzudenken.38
These Nr. 2: Bedeutsame Erlebnisse sind wichtig für unsere Persönlichkeit
Erkenntnisse aus den Neurowissenschaften:
„Beim Einspeichern sind Gestalthaftigkeit (also klare Erkennbarkeit und Abgrenzbarkeit), Sinnhaftigkeit, die Anschlussfähigkeit an früher erlernte Inhalte, die emotionale Einfärbung und der emotionale Kontext wichtig, und je schwächer diese Faktoren ausgeprägt sind, desto schneller vergessen wir die Inhalte.“39 Es muss beachtet werden, dass das hier beschriebene „Einspeichern“ sich bei Roth zunächst einmal auf Wissensinhalte bezieht – nicht primär darauf, neue Verhaltensweisen in unser Selbstkonzept zu integrieren. Das Zitat kann m.E. dennoch übertragen werden, denn all diese Faktoren gelten beim Sozialen Lernen ebenso. Eine wichtige Rolle hierbei spielen das „episodische“ bzw. das mit ihm in Zusammenhang stehende „autobiographische Gedächtnis“. Das sogenannte „episodische Gedächtnis“ wird von Hippocampus, Stirn- und Temporallappen (= Teile des oberen limbischen Systems) sowie der Amygdala und Teilen des mittleren limbischen Systems gebildet bzw. beeinflusst. (Man nimmt an, dass der Hippocampus für die Erinnerungen von Details, die Amygdala und das mittlere limbische System für die emotionale Färbung zuständig sind.40) Mit Hilfe des episodischen Gedächtnisses werden vergangene Ereignisse und Erfahrungen im Zusammenhang mit bestimmten Kontexten gespeichert, erinnert und abgerufen – sowie mögliche zukünftige Erfahrungen erdacht. Es gibt unterschiedliche Meinungen über Stärke und Dauer der episodischen Gedächtnisleistung. Damit eine Erfahrung autobiographisch relevant wird (das sog. ➔ „autobiographische Gedächtnis“ wird dem episodischen Gedächtnis zugeordnet) und dies auch langfristig bleibt, bedarf sie der Bedeutungsgebung durch das Individuum. Hierbei kann jegliche Form der Reflexion eine unterstützende Rolle spielen. Das o.g. Problem der Enkodierungsspezifität von Erlebnissen darf nicht zu schwarz-weiß betrachtet werden. Denn die gute Nachricht lautet: Hinweisreize (sog. ➔ „Cues“) triggern die Erinnerung – und die besten „Cues“ kommen von innen! „Können Informationen auf Aspekte des eigenen Selbst bezogen werden, ist die Erinnerung besser, als wenn Informationen mit Aspekten anderer Personen oder Objekte in Beziehung gesetzt werden. Die Cues erweisen sich als Elemente eines dynamischen, autoreferenten und wahrnehmungsabhängigen Triggersystems. Autoreferent: Episoden triggern Episoden und lösen Assoziationskaskaden aus. Aktuell erlebte Episoden und Erlebnisse der Vergangenheit gehorchen nicht der linearen Chronologie. Ordnende Funktion hat die emotionale Hierarchie der Erlebnisse, wobei die Skala von beiläufig emotional geprägten Episoden bis hin zu biographischen Schlüsselerlebnissen reicht.“41
… und das bedeutet für die EP
Die Entwicklung unseres Selbst-Entwurfs hat viel mit emotional einprägsamen, bewussten Erfahrungen zu tun, die wir als bedeutsam für uns selbst einstufen. Unser Selbst wird stark geprägt von unserem episodischen bzw. autobiographischen Gedächtnis. Dabei muss immer wieder hervorgehoben werden, dass darin sehr unterschiedliche Arten von Informationen integriert werden und sowohl der prozedurale als auch der semantische Speicher hieran ihren Anteil haben. Anders gesagt: Ganze Ketten von bedeutsamen Ereignissen und Erlebnissen werden bildhaft und mehrdimensional abgespeichert und nehmen Einfluss darauf, wie wir uns selbst sehen, verhalten und entwerfen. Auch wenn es jetzt eigentlich nicht mehr erwähnt werden müsste: Erlebnispädagogische Settings sind natürlich prädestiniert für Situationen, die auf eine solche Weise verarbeitet werden. Der Reflexion kommt hierbei eine wichtige Rolle zu, da sie die Bedeutungsgebung/Interpretation und den damit einhergehenden Selbst- und Sinnbezug unterstützt. Hierdurch steigt die Chance der Überführung von Inhalten in die für uns besonders interessanten Areale der Großhirnrinde. Ähnliches gilt für die Sensibilisierung im Vorfeld, da hierdurch die Erwartung von Relevanz entsteht – was Stoffe im Gehirn freisetzt, welche eine aufmerksame Fokussierung und damit das Lernen unterstützen. Denn: „Die Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Ausschnitt dessen, was gerade unsere Sinne erregt, bewirkt die Aktivierung genau derjenigen neuronalen Strukturen, die für die Verarbeitung eben dieses Ausschnitts notwendig sind.“42 Damit in Bezug auf die o.g. Hinweisreize der Selbstbezug unterstützt wird, bedarf es des (vielleicht nur emotionalen) Erfassens von Bedeutung und irgendeiner Form der Verankerung. Hier ist die Arbeit mit Metaphern zur Dekontextualisierung kein schlechtes Prinzip – und auch das Setzen von Körperankern oder das bewusste Fokussieren auf ein bedeutsames Bild können hilfreich
sein.43
These Nr.