Neben den eher kognitiven Aspekten, welche persönliche und professionelle Lernprozesse betreffen, findet man in der Literatur Hinweise darauf, dass die Reflexion auch Einfluss auf das eigene Wohlbefinden und die Berufszufriedenheit haben kann. Durch die Reflexion werden wir der äußeren Gegebenheiten wie auch der persönlichen Voraussetzungen und Bedürfnisse gewahr. Wird die Reflexion bereits während der Ausbildung erlernt und gefördert, hilft dies, den Einstieg ins Berufsleben erfolgreich zu meistern und sich bei der Arbeit längerfristig wohlzufühlen (Stokking et al. 2003, 335). Die Reflexion ermöglicht, die Diskrepanz zwischen den eigenen Ansprüchen und realen Handlungsmöglichkeiten zu erkennen, die gemäß Dauber (2006, 31) die Hauptursache für berufliches Burn-out darstellt. Dank Reflexion kann sich diese Diskrepanz und damit das Burn-out-Risiko verringern. Außerdem gibt es Hinweise darauf, dass reflektierte Lehrpersonen ein besseres Verhältnis zu ihren Schülerinnen und Schülern haben, was das Wohlbefinden im schulischen Alltag positiv beeinflussen kann (Banoobhai 2012, 177).
Reflexion kann die persönliche und berufliche Entwicklung im Sinne des lebenslangen Lernens anregen und fördern, denn »thinking about one’s experiences is believed to enhance professional learning and growth« (Hume 2009, 247). Reflexion kann damit verhindern, dass Lehrpersonen in einförmige Berufsausübung verfallen, und gibt ihnen die Möglichkeit, den beruflichen Alltag aktiv und selbstbewusst selber zu gestalten sowie sich an der schulischen, politischen und gesellschaftlichen Entwicklung zu beteiligen (Zeichner & Liston 1996, 6 f.; Brookfield 1995, 298).
Professionelle Reflexion fordert von einer Lehrperson verschiedene Kenntnisse und Fähigkeiten, die nicht selbstverständlich als vorhanden angenommen werden können: »[…] reflection, as we argued earlier, is an active, effortful enterprise; it does not just happen« (Wildman et al. 1990, 148). Um sich gezielt und gekonnt mit beruflichen Handlungen und Aktivitäten auseinandersetzen zu können, braucht eine Lehrperson professionelles Wissen, das ihr ermöglicht, Situationen adäquat einzuschätzen, zu beurteilen und allfällige Handlungsalternativen auszuarbeiten. Neben dem Professionswissen muss eine Lehrperson auch überfachliche Kompetenzen, metakognitive Fähigkeiten und intrapersonelle Intelligenz aufweisen, um eine Reflexion erfolgreich durchführen zu können (Sellars 2012, 463). Außerdem ist die Umsetzung von Reflexionsprozessen abhängig vom Umfeld, in dem sich die angehende Lehrperson befindet. Reflexion ist eine hochgradig persönliche Aktivität. Sich selber und die eigenen Handlungen zu hinterfragen, berufsbezogene Kognitionen bewusst zu machen, diese zu analysieren und gegebenenfalls zu ändern, kann Unbehagen, Demotivation oder gar Widerstände auslösen. Nicht selten wird die Reflexion als überflüssige Zusatzbelastung betrachtet und deshalb abgelehnt (Erlacher & Ossimitz 2009, 9; Hatton & Smith 1995, 36).
Da in der Praxis ein verbindliches Orientierungsschema oder musterhafte Beispiele häufig fehlen, herrscht bezüglich thematischer Ausrichtung und Tiefe der Reflexion meist Unsicherheit. Im Folgenden schlagen wir ein praktikables Raster für das Verfassen und Begleiten von Reflexionen vor, in das sich bisherige Ansätze und komplexere Modelle ohne Weiteres integrieren lassen.1 Die Reflexionstriade (Abb. 1) soll in erster Linie die Lernenden selber in ihrer Reflexionsarbeit anleiten und ihnen dabei helfen, beim mündlichen oder schriftlichen Reflektieren systematisch und ausgewogen vorzugehen. Ebenso sollen die Peers in der Lerngruppe, Praxisbegleiter und -begleiterinnen oder Mentorinnen und Mentoren beim Verfassen von konstruktiven Rückmeldungen und förderorientierten Kommentaren unterstützt werden. Die Segmente Rückschau, Fokus und Ausblick dienen als Orientierung und Vorgabe. Als Assoziationsfelder, Prompts oder Merkpunkte werden jeder dieser Phasen drei weitere Stichworte beigefügt. Diese müssen keineswegs in jeder Reflexion gleich gewichtet oder stur abgearbeitet werden. Vielmehr wollen wir die Begriffe im Sinne einer Checkliste als Denkanstöße verstehen und Reflektierende wie Betreuende dazu anregen, es nicht einfach bei einem »Handlungsbericht, garniert mit Pauschalurteilen« (Bräuer 2014, 56), bewenden zu lassen. Nicht zuletzt ist das systematische Abklopfen von Erfahrungen dabei behilflich, Entwicklungen nachzuverfolgen, Irritationen offenzulegen und blinde Flecken aufzuspüren (vgl. dazu den Beitrag von Honegger & Beglinger in diesem Band).
Abb. 1:Triadisches Modell der Reflexion (nach D. Ammann, T. Hermann und C. Wyss; Illustration C. Ammann)
1. Rückschau
In einem ersten Schritt wird aus der Erinnerung auf eine Aktivität zurückgeschaut, vielleicht unmittelbar im Anschluss daran, und diese in knapper Form geschildert. Im Sinne einer Bestandsaufnahme oder eines kurzen Tätigkeitsprotokolls wird das Ereignis in seinen wichtigsten Phasen vergegenwärtigt und dokumentiert. Was war der Anlass? Was ist in chronologischer Abfolge passiert? Welche Vorgaben, Handlungen, Materialien, Reaktionen oder Interventionen haben den Prozess mitbestimmt? Was ist dabei herausgekommen? Wie habe ich mich dabei gefühlt? In Ergänzung zur rein beschreibenden Rekapitulation kann hier bereits bewertend festgehalten werden, ob ein gesetztes Ziel erreicht wurde und wie der Prozess für die Teilnehmenden verlaufen ist.
▸Kontext: Unter diesem Stichwort werden Umstände und Voraussetzungen geklärt. Wie lautete der Auftrag, die konkrete Aufgabenstellung, wer waren die Beteiligten? Was habe ich mir persönlich vorgenommen (Ziele, Absichten)? In welchem weiteren Handlungszusammenhang steht die betrachtete Episode (z.B. Praktikumseinsatz, Übungslektion im Rahmen einer Unterrichtsreihe, Referat, Workshop)? Welches war dabei meine Rolle?
▸Verlauf: Was habe ich, was haben andere der Reihe nach gemacht? Wie ist es im Überblick gelaufen? Lässt sich die Gesamthandlung in einzelne (dramaturgische) Sequenzen oder Phasen unterteilen? Sind klare Höhe- und Tiefpunkte auszumachen? Gab es auffällige Reaktionen oder Rückmeldungen während der oder im Anschluss an die Veranstaltung?
▸Hintergrund: Für das weitere Verständnis dienen zusätzliche Hinweise auf Rahmenbedingungen, Vorüberlegungen (z.B. Konsequenzen aus früheren Reflexionen oder der Vorgeschichte), Rollenverteilung sowie Informationen zum Setting und zu den beteiligten Personen (zeitliche und inhaltliche Vorgaben, Diversität in der Klasse, Arbeitsklima, Vorwissen der Lernenden usw.). Welche Überzeugungen und Vorannahmen liegen meinem Handeln zugrunde? Auf welche Theorie stütze ich mich?
In der Rückschau soll also vorwiegend abgebildet und beschrieben werden. In erster Linie gilt es, Fakten und Beobachtungen zu dokumentieren. Vor dem Hintergrund von Aufgabenstellung, Planungsskizze oder früheren Erfahrungen können hier erste Vergleiche angestellt oder persönliche Befindlichkeiten und Aha-Erlebnisse notiert werden. Wo bin ich vom ursprünglichen Fahrplan abgewichen? Was hat den Ausschlag dazu gegeben? Was ging mir bei einer unvorhergesehenen Situation durch den Kopf? Aus welchen Überlegungen oder Zwängen heraus habe ich so reagiert? Wie ist es mir dabei ergangen? Erkenne ich Parallelen zu früheren Episoden?
2. Fokus
In der Fokus-Phase wird ein Ausschnitt gewählt und unter der Lupe betrachtet. Nachdem in einem ersten Schritt ein Überblick und eine grobe Auslegeordnung entstanden ist, soll nun bewusst ein Schwerpunkt gesetzt, ein besonderer Aspekt herausgepickt, ein übergreifendes Thema oder eine bestimmte Episode genauer sondiert und interpretiert werden. Was sticht positiv oder negativ heraus? Welches Element hat überrascht, verstört oder zur Klärung beigetragen, vielleicht eine Entwicklung angestoßen und zu neuen Einsichten geführt?
▸Auswahl: Um die Reflexion nicht zu überfrachten, ist es wichtig, eine klare Eingrenzung vorzunehmen und das Augenmerk auf einen definierten Bereich zu richten, z.B.: Rollenverteilung, Gruppendynamik, Körpersprache, Auftrittskompetenz, Arbeitsformen, Aufträge, Lernendenfeedback, Informationsdichte, Medieneinsatz, Kompetenzstufen.
▸Analyse: Bei der Analyse hilft es, die eigene von anderen Positionen abzugrenzen, das Geschehen allenfalls aus einer anderen