Beschränken wir unsere Analyse auf Reflektieren und Schreiben, lassen sich folgende Formen des Zusammenspiels von Schreiben und Reflektieren festhalten:
A.Reflektieren im Dialog mit anderen (vgl. dazu beispielsweise den Beitrag zu Onlineforen von Zimmermann & Rickert in diesem Band).
B.Textsammlungen von Lernschritten oder Erlebnissen (vgl. hierzu beispielsweise Keller 2014; oder auch den Beitrag von Hermann & Furer in diesem Band).
C.Berichte über das innere Lernerleben (vgl. Bräuer 2003, 12 f.).
Reflexion im Spannungsfeld von öffentlichem und privatem Schreiben
Seit der pragmatischen Wende in den 1980er-Jahren gehört die explizit als solche bezeichnete Reflexion zu den klassischen Schreibanlässen im Studium. Damit haben sich Portfolios und Lernjournale zu einer Textsorte entwickelt, die spezifisch und gleichzeitig halbmystifiziert funktioniert. So verlangen Leitfäden zu Lernjournalen die Verschriftlichung von inneren Prozessen, die im Gegensatz zu stofflichen Zusammenfassungen nicht wirklich einforderbar ist und stark an privates Schreiben erinnert (vgl. Bräuer 2003, 25). Anleitungen zum schriftlichen Reflektieren geben bisweilen eine rigide Struktur vor, in der die Lernenden ihre Lernwege dokumentieren, die vermeintlich oder tatsächlich stattgefunden haben (vgl. Beck, Guldimann & Zutavern 2000, und auch den Leitfaden zum Lernjournal der PH Zürich 2015).
Die »Fingerübung« des Reflektierens ist aber nicht nur sinnlos. Schließlich gehört es zum späteren professionellen Alltag, das Erwartete und das Geschehene mit Fokus auf Optimierbares zu reflektieren und Schlüsse für die weitere Tätigkeit zu ziehen. Wir üben mit Kindern bereits in der Primarschule oder in der Grundschule das Reflektieren. Denn es gilt als Paradigma, dass es zum Lernen gehört, übers Lernen nachzudenken. Nach einer Übungsstunde im Mathematikunterricht sollen die Kinder notieren, was sie Neues gelernt haben, wo sie persönlich Fortschritte erleben oder wo sie noch anstehen oder einen »Knopf« haben. Ein elfjähriger Grundschüler äußert sich dazu folgendermaßen: »Ich kann ja nicht schreiben, was mir nicht gefallen hat oder was ich nicht ganz verstehe, sonst kriege ich eine schlechte Note.« (Vgl. dazu den Beitrag zum Festhalten an Reflexion als Schreibanlass und Lernritual in der Tertiärbildung von Honegger & Beglinger in diesem Band.)
Reflexion und Reflektieren an der Hochschule
Reflexion beim Lernen bedeutet, dass sich Lernende bewusst werden und bewusst machen, was und wie sie lernen, dass sie etwas dazugelernt haben und was sie noch lernen werden. Wir können nicht etwas wissen, ohne es zu wissen oder zu kennen. Ebenso wenig können wir wissen, dass wir nichts oder (noch) zu wenig wissen, wenn wir es nicht wissen.
Dennoch bleibt im formellen Lernkontext die Regel bestehen, dass wir Studierenden das Reflektieren zu beschreiben haben. So erklärt ein Leitfaden Studierenden den zu leistenden Reflexionsprozess folgendermaßen: »Reflexion über das eigene Lernen und Denken: Reflexive Lernprozesssteuerung. In einem nächsten Schritt thematisieren und reflektieren Sie auf einer Meta-Ebene Ihren persönlichen Lern- und Entwicklungsprozess. Sie beobachten und reflektieren, wie Sie Ihr Lernen im Studium und in Ihrem Umfeld organisieren und vollziehen« (Leitfaden zum Lernjournal 2015, 3).
In diesem Sinne, im Leitfaden oben als »reflexive Lernprozesssteuerung« bezeichnet, ist Reflexion ein stark innerer Vorgang. Wie er dargestellt und gegenüber anderen kommuniziert wird, ist offen. Diesen Vorgang praktizieren alle – und alle Lernenden praktizieren ihn unterschiedlich.
Blicken wir auf die Lernziele an Hochschulen, gibt es zwei Reflexionsinhalte:
▸Reflexion (und Einschätzung) der eigenen Kompetenz als zukünftige oder sich weiterbildende Fachperson, um festzustellen, wo und wie das Lernen weitergehen soll.
▸Reflexion als Reflexionstraining, um später weiterhin erfolgreich reflektieren zu können.
Als Reflexionskanäle lassen sich kommunikationsspezifisch die folgenden unterscheiden:
▸Monolog; gedankliches oder verbalisiertes Selbstgespräch ohne Darstellung (z.B. unter der Dusche oder vor dem Einschlafen gedankliche Abläufe für sich selber artikulieren, »thinking aloud«),
▸Gespräch; vor Ort, online, in Gruppen mit Studierenden oder Nichtstudierenden (Dialog mit einem Gegenüber),
▸Schreiben; privat, nur für die reflektierende Person einsehbar oder (halb-)öffentlich (Tagebuch, »dialogic notebook«, Projektjournal, Lern- und Prozessportfolio, Reflexionsblog, geschlossenes und moderiertes Diskussionsforum im Netz (vgl. die Beiträge von Wyss & Ammann sowie Zimmermann & Rickert in diesem Band),
▸Nichtsprachlicher Ausdruck; bildnerisch oder musikalisch, kann möglicherweise in einem zweiten Schritt wieder versprachlicht werden (vgl. die Beiträge von Nyffenegger und Keller in diesem Band).
Gemeinsam ist reflexiven schriftlichen Lernaufgaben, dass Leitfragen und sogenannte Prompts die Lernenden anleiten und Vorgaben in Bezug auf die Art der Reflexion machen. Sie fordern in erster Linie dazu auf, Diffuses zu konkretisieren und schriftlich oder mündlich zu formulieren,
▸welche Erwartungen vor dem eigenen Handeln bestanden,
▸inwiefern diese Erwartungen erfüllt wurden oder nicht,
▸ob es andere irritierende Aspekte im persönlichen Erleben gab
▸und in Bezug auf das weitere persönliche Lernen und berufliche Handeln zu bilanzieren und zu planen.
Helfen diese mit Schreiben verbundenen Reflexionsanlagen beim Lernen? Die Schreibdidaktik versucht wiederkehrend, den kritischen Punkt, den Zusammenhang von Lernen und Schreiben zu erfassen (vgl. den Beitrag von Honegger & Beglinger in diesem Band; aber auch Klotz 1996, 85 ff.)
Wo genau setzt nun – wenn wir das Schreiben im Auge behalten – die Reflexion ein, und wie muss sie beschaffen sein, damit sie am Schluss bei der cognitio clara distincta adaequata, dem anzustrebenden kognitiven Bewusstseinszustand, wie ihn Klotz nach Leibniz umschreibt, anlangt? Und wie geht die cognitio schreibenderweise mit Schreibhemmungen, Zeigeblockaden oder Affekten und Emotionen einher?
Nach wie vor bestehen, trotz des für die Schreibdidaktik zentralen Modells von Hayes zum Schreibprozess (Hayes [1996] 2014, 57 ff.), Unklarheiten. Erstens: Welche Interferenzen bestehen zwischen Denken und eigenem Handeln beim schriftlichen Reflektieren? Zweitens: Wie beeinflusst affektives Erleben rund um das, was Hayes ([1996] 2014, 57 f.) Motivation nennt, schriftliches Reflektieren? Nachstehend fokussieren wir auf einen affektiven Aspekt, der bislang eher im Hintergrund geblieben ist, auf das Dilemma von Lust und Zwang, das reflektierendes Schreiben begleitet.
Reflektierendes Schreiben zwischen Lust und Zwang
Dass gerade Schreiben so häufig fürs verordnete Reflektieren gewählt wird, ist nicht immer lustvoll für Studierende, und dies beeinflusst die Wirksamkeit von reflektierendem Schreiben maßgebend.
Die Lust – wenn Reflexion lustvoll erlebt wird
Lernprozesse geschehen weitgehend unbewusst. Dies zeigt sich auch bei Schreibprozessen im Studium. Es gibt beispielsweise in jedem Schreibprozess für die Schreibenden einen kritischen Punkt (der kann auch mehrfach vorkommen), an dem sie nicht mehr weiterschreiben können. So sitzt beispielsweise eine Studentin vor ihrer Arbeit, und es scheint ihr sonnenklar zu sein, dass sie nur Banalitäten von sich gibt. Dies frustriert sie, denn sie hat sich in den vorangegangenen Tagen und vielleicht auch Monaten intensiv Fachwissen erworben und sich mit einer Fachfrage auseinandergesetzt. Nach dieser tiefen Auseinandersetzung erlebt sie jedoch an diesem kritischen Punkt keine Bereicherung und auch kein Sättigungsgefühl, sondern eine Leere. Was ihr vor einigen Monaten noch als neu erschienen