a) Allgemeine Rechtsgeschäftslehre
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Rechtsgeschäftliche Schuldverhältnisse kommen durch ein Rechtsgeschäft zustande. § 311 Abs. 1 verlangt für die Begründung eines Schuldverhältnisses durch Rechtsgeschäft einen Vertrag zwischen den Beteiligten, soweit nicht das Gesetz ein anderes vorschreibt.[2] Ausnahmsweise kann ein rechtsgeschäftliches Schuldverhältnis auch ohne Vertrag zustande kommen. Das wichtigste Beispiel ist die Auslobung (§ 657), die wir schon kennengelernt haben.[3]
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Für das Zustandekommen von Verträgen gilt die Allgemeine Rechtsgeschäftslehre: Grundlegendes Erfordernis ist eine Einigung zwischen den Parteien, in der Regel durch Angebot und Annahme gem. §§ 145 ff. Die Einigung muss sich auf die essentialia negotii beziehen. Fehlt der Rechtsbindungswille, kommt es zu keinem Vertrag. Das ist bei den Gefälligkeitsverhältnissen relevant.[4] Das Zustandekommen von Verträgen kann in vielerlei Hinsicht problematisch sein. Das ist in den Lehrbüchern zum Allgemeinen Teil des BGB dargelegt. In schuldrechtlichen Prüfungsarbeiten ist das Zustandekommen eines Vertrags häufig völlig problemfrei. Dann zeichnen sich gute Lösungen dadurch aus, dass sie das auch nur kurz im Urteilsstil festhalten und nicht etwa einzelne Voraussetzungen detailliert erörtern. Häufig genügt beispielsweise im Rahmen der Prüfung des § 280 Abs. 1 ein Satz wie: „Zwischen A und B besteht ein vertragliches Schuldverhältnis in Form eines Kaufvertrages.“
b) Die Draufgabe (§§ 336-338)
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Die in den §§ 336-338 geregelte Draufgabe hat heute keine große praktische Bedeutung mehr. Die Draufgabe (auch Angeld oder Handgeld genannt) ist heute nur mehr eine als Beweiszeichen für den Vertragsabschluss gegebene Leistung. Ein Beispiel für eine Draufgabe ist die Hingabe eines Verlobungsringes anlässlich der Verlobung. Dieser Fall hat in § 1301 eine eigene Regel gefunden.[5] Im Gegensatz zur Draufgabe dient die Anzahlung lediglich der (teilweisen) Erfüllung der Schuld, so dass sich ihre Auswirkungen nach dem Erfüllungsrecht richten.[6]
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Nach § 337 Abs. 1 ist die Draufgabe – anders als der Wortlaut nahelegt – im Zweifel auf die von dem Geber geschuldete Leistung anzurechnen. Das gilt auch, wenn der Empfänger Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangt (§ 338 S. 2). Nach § 337 Abs. 2 muss sie nach Vertragsaufhebung zurückgegeben werden. Das gilt nach § 338 S. 1 nicht, wenn die vom Geber geschuldete Leistung infolge eines Umstands, den er zu vertreten hat, unmöglich wird oder wenn der Geber die Wiederaufhebung des Vertrags verschuldet.[7]
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Nach § 336 Abs. 2 gilt die Draufgabe im Zweifel nicht als Reugeld. Das Reugeld ist in § 353 geregelt: Vertraglich kann vereinbart sein, dass ein Rücktritt unter Zahlung eines Reugelds möglich ist (also „erkauft“ werden muss). Aus der Draufgabe folgt im Zweifel kein Rücktrittsrecht: Weder kann der Geber unter Verzicht auf die Rückzahlung der Draufgabe zurücktreten, noch kann der Empfänger unter Verzicht auf die Draufgabe zurücktreten. Freilich können die Parteien etwas anderes vereinbaren.[8]
Teil I Grundlagen › § 4 Die Entstehung von Schuldverhältnissen › II. Kontrahierungszwänge
1. Allgemeine Charakteristiken
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Wenn Kontrahierungszwänge eingreifen, sind die Parteien durch Gesetz dazu verpflichtet, einen Vertrag zu schließen (Einschränkung der Abschlussfreiheit).[9] Auch der Inhalt der jeweiligen Verträge ist häufig weitgehend durch das Gesetz vorgegeben (Einschränkung der Inhaltsfreiheit). Kontrahierungszwänge dienen oft dem Schutz Schwächerer und ermöglichen in Teilbereichen deren materielle Freiheit. So ermöglicht etwa das Basiskonto nach den §§ 31 ff ZKG auch Obdachlosen, ein Girokonto zu erhalten und so am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Oft geht es bei Kontrahierungszwängen um Allgemeinwohlbelange: Sie sichern beispielsweise allen Menschen Zugang zu lebenswichtigen Ressourcen (wie Wasser oder Energie).
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Kontrahierungszwänge kann man aus einem eher formalen Verständnis der Vertragsfreiheit heraus[10] als Eingriff in die Vertragsfreiheit charakterisieren.[11] Kontrahierungszwänge beschneiden das formale Ablehnungsrecht der verpflichteten Partei und schränken insofern deren Freiheitssphäre ein. Insoweit kann man auch davon sprechen, dass Kontrahierungszwänge die Vertragsfreiheit aufheben. Auf der anderen Seite erweitern Kontrahierungszwänge die rechtlichen Befugnisse der begünstigten Partei und fördern insoweit deren materiell verstandene Freiheit. Insoweit verwirklichen sie materielle Selbstbestimmung: Ohne die Möglichkeit, Verträge über die Versorgung mit Wasser oder Energie abzuschließen, wäre die formale Freiheit, ein Haus zu kaufen, wenig hilfreich. Kontrahierungszwänge sind ein besonders deutlicher Ausdruck der Verteilungsgerechtigkeit im Vertragsrecht.[12] Denn sie berücksichtigen vertragsfremde Aspekte und lassen sich normativ nur mit Blick auf die ökonomischen und sozialen Kontexte erklären.
a) Spezialgesetzliche Kontrahierungszwänge
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Kontrahierungszwänge sind in sehr vielen Spezialgesetzen vorgesehen, die spezifische Lebensbereiche betreffen. Man spricht insoweit auch vom „spezialgesetzlichen Kontrahierungszwang“. Solche Kontrahierungszwänge dienen dem Gemeinwohl. Oft geht es um den Zugang zu Ressourcen, die für uns alle lebenswichtig sind. So müssen etwa Energieversorger Letztverbraucher an die Energienetze anschließen (§§ 18, 36 EnWG), Postanbieter müssen grundlegende Postleistungen gewähren (§§ 12 und 18 PostG iVm § 3 Postdienstleistungsverordnung), Personenbeförderer müssen in Straßenbahnen, Omnibussen oder Kraftfahrzeugen jeden befördern (§§ 22, 47 PBefG, § 10 AEG und §§ 8, 9 EVO). Auch Sie selbst könnten betroffen sein, wenn Sie Anwältin werden: Für die Rechtsberatung besteht in den Grenzen der §§ 48 und 49 BRAO ein Kontrahierungszwang. Im Wirtschaftsrecht kann sich aus § 33 GWB iVm §§ 19, 20 GWB für marktstarke oder marktherrschende Unternehmen ein Kontrahierungszwang ergeben, wenn der Nichtabschluss eines Vertrages wettbewerbsrechtlich diskriminierend wäre.[13] Ein solch spezialgesetzlicher Kontrahierungszwang lässt sich mit Blick auf Fall 12 nicht finden. Sport ist für viele von uns wichtig, aber doch keine allgemein lebenswichtige Ressource.
b) Kontrahierungszwänge nach allgemeinen Regeln (§ 826 BGB, § 21 Abs. 1 AGG)
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Kontrahierungszwänge ergeben sich auch aus den allgemeinen Regeln des