Teil I Grundlagen › § 4 Die Entstehung von Schuldverhältnissen › III. Unbestellte Leistungen (§ 241a)
1. Zweck und Systematik
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Gem. § 241a werden durch die unbestellte Lieferung beweglicher Sachen an Verbraucher keine vertraglichen Ansprüche begründet und gesetzliche Ansprüche nur im Einzelfall. Sie wurde im Zuge der Umsetzung der Verbraucherrechte-RL zum 13.6.2014 neu gefasst. § 241a dient der Prävention unerwünschten Wettbewerbsverhaltens[23] und dem Verbraucherschutz.[24] § 241a Abs. 3 beinhaltet daher auch das übliche Umgehungsverbot und stellt klar, dass von § 241a nicht zu Lasten des Verbrauchers abgewichen werden kann. § 241a dient der Prävention. Die Norm soll verhindern, dass Verbrauchern unbestellte Waren zugesendet werden, wodurch sie sich nicht nur belästigt, sondern auch zur Zahlung verpflichtet fühlen könnten. Auch das Vertragsrecht kann, wie § 241a illustriert, verhaltenssteuernde Wirkung haben. Es unterstützt insofern die speziellen Regelungen des Wettbewerbsrechts (insbesondere im UWG, aber auch im GWB), dessen Kernaufgabe in der Verhinderung unlauterer Wettbewerbsmethoden liegt.
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Aus marktliberaler Perspektive ist die Instrumentalisierung des Vertragsrechts für die Zwecke der Verhaltenssteuerung rechtspolitisch kritisiert worden.[25] Allerdings lässt sich eine klare Trennung der Ordnungsaufgaben von Vertragsrecht und Wettbewerbsrecht ohnehin kaum durchhalten, bildet doch der Vertrag – wie Leistner treffend betont – den „gemeinsamen Fluchtpunkt“[26] von Vertrags- und Wettbewerbsrecht. In regulativer Perspektive bildet die Instrumentalisierung des Vertragsrechts Vorzüge.[27] Zu diesen gehört, dass es einen „Selbstvollzug“ der jeweiligen Präventionsziele ermöglichen kann. Kosten der Rechtsdurchsetzung werden so vermieden. § 241a ist ein anschauliches Beispiel dafür: Die von der Norm aufs Korn genommene wettbewerbswidrige Praxis scheint ohne nennenswerte Gerichtsbelastung deutlich zurückgegangen zu sein.[28] So greifen Vertragsrecht und Wettbewerbsrecht funktionsorientiert ineinander. Hier zeigt sich einmal mehr, dass die regulative Perspektive der Verteilungsgerechtigkeit auch im Vertragsrecht unentbehrlich ist.[29]
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Systematisch gehört die Norm nur teilweise in das Allgemeine Schuldrecht: Ihr Abs. 1 betrifft das Zustandekommen vertraglicher Schuldverhältnisse, gehört also systematisch zur Rechtsgeschäftslehre und damit in den Allgemeinen Teil.[30] Ihr Abs. 2 betrifft allerdings gesetzliche Schuldverhältnisse; insoweit ist die systematische Stellung im Allgemeinen Schuldrecht konsequent.
2. Voraussetzungen
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§ 241a setzt voraus, dass ein Unternehmer (§ 14) einem Verbraucher (§ 13)[31] Waren liefert oder eine sonstige Leistung an ihn erbringt, die der Verbraucher nicht bestellt hat. Waren sind nach der Legaldefinition des § 241a Abs. 1 bewegliche Sachen, die nicht auf Grund von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen oder anderen gerichtlichen Maßnahmen verkauft werden. Das schließt – in richtlinienkonformer Auslegung – auch Wasser, Gas und Strom ein, „wenn diese Gegenstände „in einem begrenzten Volumen oder in einer bestimmten Menge zum Verkauf angeboten werden“, wie Art. 2 Nr 3 Verbraucherrechte-RL verlangt.
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Die Leistung (einschließlich der Warenlieferung) ist unbestellt, wenn sich der Verbraucher nicht aktiv um sie bemüht hat – etwa durch ein Vertragsangebot oder die Bitte, die Waren zur Prüfung zu übersenden.[32] Eine Leistung wird aber nicht etwa dadurch zur „unbestellten Leistung“, dass der Verbraucher nach Erhalt der Ware seine Willenserklärung anficht (beispielsweise wegen Inhaltsirrtums).[33] Das folgt aus dem oben beschriebenen Regelungszweck: Von einer wettbewerbswidrigen Verhaltensweise des Unternehmers kann dann keine Rede sein, denn er weiß ja bei Leistungserbringung noch nicht, dass die Anfechtung erfolgen wird.
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Eine ähnliche teleologisch einschränkende Auslegung ist auch geboten, wenn der Unternehmer zwar nicht die bestellte, aber eine in Qualität und Preis gleichwertige Leistung erbringt: Dann liegt keine unbestellte Leistung vor, wenn der Unternehmer darauf hinweist, dass der Verbraucher die Sache kostenfrei zurückschicken kann.[34] Das war in § 241a Abs. 3 BGB a.F. ausdrücklich geregelt. Die teleologische Auslegung führt aber auch in der Neufassung der Norm zu keinem anderen Ergebnis. Denn auch in dieser Situation handelt der Unternehmer nicht wettbewerbswidrig.[35]
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Wenn eine mangelhafte Sache geliefert wird, greift § 241a nach Sinn und Zweck ebenfalls nicht ein, vielmehr ist das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht anzuwenden.[36] Bei aliud-Lieferungen ist nach dem Zweck der Norm zu differenzieren: Wenn der Unternehmer bewusst eine ganz andere als die vom Verbraucher bestellte Leistung liefert (etwa: Lautsprecherboxen statt eines Smartphones) greift § 241a Abs. 1 ein.[37] Bei einer unbewussten aliud-Lieferung kommt dagegen § 434 Abs. 3 zur Anwendung.[38] Hier ist nach dem Schutzzweck des § 241a Abs. 1 (Prävention unlauteren Wettbewerbs) eine einschränkende Auslegung geboten.[39]
a) § 241a Abs. 1: Ausschluss vertraglicher Ansprüche
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Die Rechtsfolge des § 241a Abs. 1 besteht darin, dass ein Anspruch gegen den Verbraucher durch die nicht bestellte Leistungserbringung nicht begründet wird. Das schließt aber nicht aus, dass ein Vertrag durch Willenserklärung begründet wird. In der Leistungserbringung bzw. der Zusendung durch den Unternehmer liegt ein konkludentes Vertragsangebot, das der Verbraucher gegebenenfalls auch konkludent annehmen kann. Der Zugang der Annahmeerklärung kann gem. § 151 entbehrlich sein. Allerdings ergibt sich aus dem Schutzzweck des § 241a, dass dafür strenge Voraussetzungen gelten: Die bloße Ingebrauchnahme der Sache oder ihr Verbrauch genügt nicht.[40] Denn der Verbraucher schuldet, wie sich aus § 241a Abs. 2 ergibt, weder Nutzungsersatz noch Herausgabe irgendwelcher Surrogate. Aus dem Verbrauch der Sache oder ihrer Weiterveräußerung kann daher nach §§ 133, 157 nicht auf einen Annahmewillen geschlossen werden. Anders liegt es beispielsweise dann, wenn der Verbraucher den Kaufpreis zahlt.[41]
Wenn etwa K in Fall 13 nach Empfang des Pakets einen freudigen Brief schreibt und sich unter Bezugnahme auf die Rechnung für die Zusendung des Waschmittels bedankt, kann guten Gewissens eine Annahme des Angebots bejaht werden.
b) § 241a Abs. 2: Gesetzliche Ansprüche
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Gem. § 241a Abs. 2 sind gesetzliche Ansprüche grundsätzlich ebenfalls ausgeschlossen. Eine – vom Unternehmer darzulegende und zu beweisende – Ausnahme besteht nur dann, wenn die Leistung nicht für den Empfänger bestimmt war oder in der irrigen Vorstellung einer Bestellung erfolgte und der Empfänger dies erkannt hat oder bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können. In diesem Ausnahmefall ist der Verbraucher nicht schutzwürdig. So kann ein Verbraucher, der ein an eine ganz andere Person adressiertes Päckchen erhält, nicht ohne Weiteres annehmen, er könne die Leistung einfach behalten.