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All dem lässt sich die ebenfalls zu § 11 Abs. 1 Nr. 2c a. F. ergangene „GTZ“-Entscheidung des 2. Senats des BGH[169] nicht entgegenhalten:[170]
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Dort führt der BGH aus, dass „der Umstand allein, dass der Staat sich in privatrechtliche Organisationen kleide“ kein zureichender Grund für die Einschränkung der strafrechtlichen Sanktionierung sei. Diese Erwägung liege im Übrigen auch dem KorrBekG zugrunde. Soweit der frühere § 11 Abs. 1 Nr. 2c durch die Worte „unbeschadet der zur Aufgabenerfüllung gewählten Organisationsform“ ergänzt worden sei, werde diese Einfügung – u. a. in der Begründung des Regierungsentwurfs – „zu Recht“ nur als „Klarstellung“ dessen gewertet, „was ohnehin schon galt“.[171] Was früher, d. h. zu Zeiten des § 359 a. F. „galt“, ist oben ausführlich erläutert worden.[172] Von einer – auch nur andeutungsweisen – Einbeziehung privatrechtlich organisierter Unternehmen in die Ausübung von öffentlicher Gewalt und damit ihrer Gleichstellung mit „Behörden“ kann keine Rede sein. Daher nimmt der 5. Senat in seiner Entscheidung vom 29.1.1992[173] auch zu Recht an, dass zu diesem Zeitpunkt „der Bundesgerichtshof … noch nicht über Fälle entschieden“ hatte, „in denen Aufgaben der Daseinsvorsorge von einer dem Staat gehörenden Kapitalgesellschaft in Privatrechtsform vorgenommen“ werden.
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Dass die Rechtsprechung in der Folgezeit, gleichsam in einer Gegenbewegung zu fortschreitenden Deregulierungs- und Privatisierungstendenzen des Staates, die wirtschaftliche Liberalisierung mit einem staatsbezogenen, rückwärtsgewandten strafrechtlichen Korsett versehen hat, ist unübersehbar:
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Die – in Ansehung des zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der in Privatrechtsform handelnden „GTZ“ geschlossenen öffentlich-rechtlichen Vertrages[174] – noch recht zurückhaltende „GTZ“-Entscheidung ist dem BGH im Weiteren offenbar immer mehr aus dem Blick geraten, mag der 5. Senat es nach 15 Jahren auch unternehmen, einen Bogen zu seiner „Wohnungsbaugesellschafts“-Entscheidung zu schlagen.[175]
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Ein nicht ganz unmaßgeblicher Grund für die immer weiter expandierende Fassung des „sonstigen Amtsträgers“ durch den BGH dürfte im Übrigen auch darin liegen, dass die Entscheidung aus dem Jahre 1992[176] äußerst harsche Kritik von öffentlich-rechtlicher Seite erfuhr, die sich der BGH offenbar zu Herzen genommen hat. Zu Unrecht:
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Soweit die Anzahl von Zitatstellen ein Indikator für eine entsprechende „Wirkung“ auf Entscheidungsfindungen ist, war insbesondere Ossenbühls (kurze) Rezension der Entscheidung BGHSt 38, 199 von erheblichem Einfluss auf die weitere Rechtsprechung. Immerhin wird Ossenbühls Anmerkung[177] in verschiedenen Entscheidungen nicht nur des 2. Senats noch lange nach Erscheinen als maßgebliche Stimme aus dem Verwaltungsrecht zitiert.[178]
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Das ändert allerdings nichts daran, dass Ossenbühl sowohl verwaltungs- als auch strafrechtlich nicht nur ungenau, sondern auch tendenziös argumentiert: Ossenbühl meint u. a., dass aus dem Wortlaut des § 11 Abs. 1 Nr. 2c a. F. ohne Weiteres (folge), dass der „Amtsträgerbegriff an den Verwaltungsaufgaben orientiert ist und nicht an den Organisationsformen der Verwaltung“.[179] Insbesondere bei dem Begriff „Aufgaben der öffentlichen Verwaltung“ handele es sich um einen „Verweisungsbegriff“, mit der Folge, dass das Strafrecht „kraft des gesetzlichen Verweisungsbegriffs „verwaltungsakzessorisch“ gestaltet“ sei. Dies verkenne der 5. Senat[180] mit einer „schon im Ansatz an Lustlosigkeit (grenzenden) Nachlässigkeit“, wenn er aus dem Umstand einer privatrechtlichen Organisationsform ableite, dass keine „Aufgaben der öffentlichen Verwaltung“ mehr wahrgenommen würden. Denn eine Verwaltungsaufgabe verliere nicht dadurch ihren Charakter als „öffentliche Aufgabe“, dass „sie in den Organisationsformen des Privatrechts erfüllt wird“.[181] Die Verwaltung weiche „aus vielerlei Gründen in privatrechtliche Organisationsformen aus“, im Wesentlichen, um die Aufgabenerfüllung „optimaler“(!) zu gestalten. „Völlig unbestritten“ sei, „dass die Grundrechtsbindungen … auch dann durchschlagen, wenn die Verwaltung in Privatrechtsform“ handele. „Warum sollte dies bei strafrechtlichen ‚Bindungen‘ anders sein …?“ Die Entscheidung schließe die Befugnis ein, „das Strafrecht ‚abzuwählen‘“[182] „Ganz verfehlt“ sei die Bezugnahme des 5. Senats auf die Entscheidung RGSt 60, 139, 141 aus dem Jahre 1926, weil es dort um eine sog. materielle Aufgaben-Privatisierung, nicht aber, wie im entschiedenen Fall, um eine bloß formelle, d. h. Organisationsprivatisierung gegangen sei.[183]
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Alle diese Argumente gehen fehl. Abgesehen davon sind die Ausführungen zur „Privatisierung“ entweder (absichtlich) unvollständig oder nicht auf dem – auch in Ansehung des Erscheinungsdatums der Anmerkung – letzten Stand der Diskussion:
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Selbst wenn der Begriff der „Verwaltungsaufgaben“ verwaltungsrechtsakzessorisch sein sollte, kann er nicht unabhängig von der „sonstigen Stelle“ gesehen werden, bei der diese Aufgaben gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 2c wahrgenommen werden müssen. Eine Aufgabe kann „an sich“ noch so sehr eine Verwaltungsaufgabe sein; wird sie von einem gänzlich privaten Träger außerhalb der Verwaltung wahrgenommen, macht die bloße Aufgabenerfüllung aus dem Privaten keine Behörde und auch keine „sonstige Stelle“. Wenn also – mit Ossenbühl – anzunehmen ist, dass eine sog. „materielle“ (im Gegensatz zur bloßen Organisationsprivatisierung) „Aufgabenprivatisierung“ dazu führt, dass das in Frage stehende Unternehmen selbst dann keine „Amtsträger“ beschäftigt, wenn dieses Unternehmen die früher von der Verwaltung erledigten „Aufgaben“ nunmehr auf Grund eines Vertrages mit der Verwaltung statt dieser erfüllt,[184] zeigt sich, dass es nicht darum geht, was „Aufgabe der Verwaltung“ ist, sondern darum, welches Rechtssubjekt (= „Stelle“) sie durchführt.
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Dass Ossenbühl darüber hinaus selektiv argumentiert, zeigt sich daran, dass er auf die seit jeher durchaus verbreiteten[185] gemischt-wirtschaftlichen, d. h. in sog. Public-Private-Partnership geführten Unternehmen überhaupt nicht eingeht.
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Derartige Unternehmen erfüllen in der Regel (auch) „Aufgaben“, die ansonsten der öffentlichen Verwaltung zugewiesen sind, gleichwohl werden Public-Private-Partnership-Unternehmen im Verwaltungsrecht ganz überwiegend nicht unter dem topos einer bloßen Organisationsprivatisierung geführt.[186]
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Wenn Ossenbühl die Verwaltungsrechtsakzessorietät der Begriffe in § 11 Abs. 1 Nr. 2c n. F. wirklich ernst nehmen würde, hätte er sich – zur Vermeidung von „Nachlässigkeiten“ – auch mit der „sonstigen Stelle“ auseinandersetzen müssen. Dabei hätte sich dann ergeben, dass im Verwaltungsrecht eine „Stelle“ entweder eine „Behörde“ ist oder ein „Behördenteil“ bzw. eine Organisationseinheit, die in der Verwaltung (aber außerhalb von Behörden)