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Zugleich hat das BVerfG betont, dass ein derartiges Verfügungsrecht nicht schrankenlos gewährleistet sein kann. Trotz des Menschenwürdebezuges erlaubt die Gemeinwohleinbindung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung eine Öffnung gegenüber Beschränkungen, die durch überwiegende Allgemeininteressen gerechtfertigt sind. Diese bedürfen aber einer gesetzlichen Grundlage, die insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dem Gebot der Normenklarheit entsprechen muss.[11] In der Folge ist ein entsprechendes Grundrecht auf Schutz personenbezogener Daten in zehn der 16 Landesverfassungen der Bundesländer verankert.
Anmerkungen
Skeptisch gegenüber der Verselbstständigung als eigenes Grundrecht Simitis, NJW 1984, 398 (399).
BVerfG, Urt. v. 15.12.1983, 1 BvR 209/83 u.a. = BVerfGE 65, 1 (43) – Volkszählung.
BVerfG, Urt. v. 15.12.1983, 1 BvR 209/83 u.a. = BVerfGE 65, 1 (43) – Volkszählung; Urt. v. 17.7.1984, 2 BvE 11/8367 = BVerfGE 67, 100 (143) – Flick-Untersuchungsausschuß.
BVerfG, Urt. v. 2.3.2006, 2 BvR 2099/04 = BVerfGE 115, 166 (184) – Kommunikationsverbindungsdaten.
Vgl. BVerfG, Urt. v. 15.12.1983, 1 BvR 209/83 u.a. = BVerfGE 65, 1 (43) – Volkszählung.
BVerfG, Urt. v. 15.12.1983, 1 BvR 209/83 u.a. = BVerfGE 65, 1 (43) = NJW 1984, 419 (423) – Volkszählung.
Siehe dazu Deutscher Ethikrat, Big Data und Gesundheit – Datensouveränität als informationelle Freiheitsgestaltung, 2018; Kühling, DuD 2020, 182 (185 ff.).
BVerfG, Urt. v. 15.12.1983, 1 BvR 209/83 u.a. = BVerfGE 65, 1 (46) – Volkszählung; siehe auch Urt. v. 27.6.1991, 2 BvR 1493/89 = BVerfGE 84, 239 (280) – Kapitalertragssteuer; Beschl. v. 7.3.1995, 1 BvR 1564/93 = BVerfGE 92, 191 (197) – Personalienangabe.
Zur Bedeutung der Unterscheidung zwischen einer Datenverarbeitung durch private und öffentliche Stellen vgl. auch Kingreen/Kühling, JZ 2015, 213.
BVerfG, Urt. v. 15.12.1983, 1 BvR 209/83 u.a. = BVerfGE 65, 1 = NJW 1984, 419 (422) – Volkszählung.
BVerfG, Urt. v. 15.12.1983, 1 BvR 209/83 u.a. = BVerfGE 65, 1 (43 f.) – Volkszählung; Beschl. v. 4.4.2006, 1 BvR 518/02 = BVerfGE 115, 320 = MMR 2006, 531 (532) – Rasterfahndung II.
b) Weiterer dogmatischer Ausbau
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Seit dem Volkszählungsurteil hat sich das BVerfG in zahlreichen weiteren Entscheidungen mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung befasst und das Grundrecht dabei konkretisiert und fortentwickelt.
aa) Schutzbereich
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Die Weite des Schutzbereichs prägt auch die Folgerechtsprechung des BVerfG. Entsprechende Ausführungen hat das Gericht in der Entscheidung zum Abruf der Daten der Kontenevidenzzentrale[1] gemacht, in der es § 93 Abs. 8 AO wegen Verstoßes gegen das Gebot der Normenklarheit für verfassungswidrig erklärte.[2] Diese Bestimmung zielte darauf ab, verschiedenen Behörden Zugriff auf Informationen zum Bestehen von inländischen Konten und Depots zu verschaffen. Das BVerfG stellte fest, dass der grundrechtliche Schutz von Verhaltensfreiheit und Privatheit durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung schon auf der Stufe der Persönlichkeitsgefährdung beginnt.[3] Diese Gefährdungslage könne bereits im Vorfeld konkreter Bedrohungen benennbarer Rechtsgüter entstehen.[4]
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Eine weitere Klarstellung nahm das BVerfG in der Entscheidung zur automatisierten Erfassung von Kraftfahrzeugkennzeichen im Jahr 2008 vor. Das Gericht hatte über die Verfassungsmäßigkeit von polizeirechtlichen Vorschriften in Hessen und Schleswig-Holstein zu befinden, die zur automatisierten Erfassung der amtlichen Kennzeichen von Kraftfahrzeugen ermächtigen. Dabei werden die Fahrzeuge zunächst von einer Videokamera aufgezeichnet, wobei mittels Software aus dem Bild das Kennzeichen ausgelesen und schließlich automatisch mit polizeilichen Fahndungsdateien abgeglichen wird. Das Gericht stellte hier fest, dass der grundrechtliche Schutz nicht bereits aufgrund der öffentlichen Zugänglichkeit der betroffenen Informationen entfällt. Auch wenn die betroffene Person sich in die Öffentlichkeit begebe, erstrecke sich der Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung auch auf ihr Interesse, dass die damit verbundenen personenbezogenen Informationen nicht im Zuge automatisierter Informationserhebung zur Speicherung mit der Möglichkeit der Weiterverwertung erfasst werden.[5] Dabei hatte das BVerfG zunächst einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zunächst von zusätzlichen Voraussetzungen abhängig gemacht und einen solchen für den Fall eines „Nichttreffers“ im Regelfall verneint.[6] Inzwischen hat das BVerfG die Grundrechtssensibilität durch die automatische Kennzeichenerfassung in einer weiteren Entscheidung noch stärker betont und diese Linie ausdrücklich aufgegeben.[7]
Anmerkungen
BVerfG, Beschl. v. 13.6.2007, 1 BvR 1550/03 u.a. = BVerfGE 118, 168 = DStRE 2007, 1196 – Kontostammdaten.
Vgl. dazu bereits Kühling, ZRP 2005, 196.
BVerfG, Beschl. v. 13.6.2007, 1 BvR 1550/03 u.a. = BVerfGE 118, 168 = DStRE 2007, 1196 (1200) – Kontostammdaten.
BVerfG, Beschl. v. 13.6.2007, 1 BvR 1550/03 u.a. = BVerfGE 118, 168 = DStRE 2007, 1196 (1200 f.) – Kontostammdaten.